Donnerstag, 25. April 2024

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Wissenschaft in der Vertrauenskrise
"Forscher sollten zuweilen etwas weniger vollmundig sein"

Wissenschaft sei ein expandierendes System, dessen Arbeit von immer größerer Bedeutung werde, sagte der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Peter Strohschneider, im Dlf. Das werde von der Gesellschaft stärker beobachtet, da mit der Umgestaltung der Welt auch Macht und Lebenschancen neu verteilt würden.

Peter Strohschneider im Gespräch mit Uli Blumenthal | 25.01.2018
    Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Peter Strohschneider, spricht am 19.03.2013 in Berlin während der Verleihung des Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preises.
    Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Peter Strohschneider. (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
    Uli Blumenthal: Sie haben auf der Festveranstaltung im Rahmen der Jahresversammlung der DFG im Juli 2017 über Wissenschaft in Zeiten des Populismus gesprochen. Das Seminar für Allgemeine Rhethorik der Uni Tübingen hat dies dann als Rede des Jahres ausgezeichnet. Und Sie haben in dieser Rede eigentlich von der Qualitäts-, Vertrauens- und Reproduzierbarkeitskrise in der Wissenschaft gesprochen. Wodurch ist diese Krise ausgelöst worden in diesen drei Positionen?
    Peter Strohschneider: Ob es so etwas gibt wie eine Vertrauenskrise, ist seinerseits eine nicht unumstrittene Hypothese. Ich meine, dass das Wissenschaftssystem, die Wissenschaftler, die Wissenschaftsorganisationen an dieser Stelle ganz besonders sensibel sein sollen. Und unter diese Prämisse würde ich mir selbst und den Kolleginnen und Kollegen empfehlen, zuweilen etwas weniger vollmundig zu sein. Wenn ich jetzt Ihre Frage beantworte, woher kommt diese Krise, dann muss ich mich entscheiden, auf welcher Ebene ich sie beantworte. Ich würde jedenfalls sagen, es gibt nicht eine monokausale Erklärung, und im weitesten Sinne hat all das damit zu tun, dass Wissenschaft ein expandierendes, finanziell, personell, intellektuell expandierendes System ist, dessen Arbeit und dessen Arbeitsergebnisse für die Gesellschaft und für die Individuen in all ihren Lebensvollzügen von immer wachsender Bedeutung werden. Und daraus ergeben sich Lasten für dieses System, daraus ergibt sich, dass es von der Gesellschaft in anderer Weise beobachtet wird, als es zu Zeiten der Fall war, als die Wissenschaft ein kleines, relativ auratisches und abgeschlossenes System war.
    Und vor diesem Hintergrund scheint mir dann es eben wirklich sehr problematisch, dass in einem jedenfalls zum großen Teil experimentalwissenschaftliche Ergebnisse nicht reproduziert werden können. Das ist nämlich das entscheidende Prüfkriterium für die Gültigkeit eines wissenschaftlichen Wissensanspruchs in den Experimentalwissenschaften. Vor diesem Hintergrund scheint es mir zwar naheliegend und trotzdem riskant, wenn die Wissenschaften zu vollmundig Versprechungen machen über den Nutzen, und zwar über die Kurzfristigkeit eines direkten Nutzens dessen, was da erforscht wird. Wir wissen alle, dass der Krebs nicht abgeschafft ist, geschweige denn die menschliche Sterblichkeit, um das jetzt mal ironisch zu sagen. Wir machen als System in einem Umfang Verheißungen, die wir in diesem Umfang nicht und jedenfalls nicht in absehbarer Zeit erfüllen können. Und das wird von der Gesellschaft beobachtet. Es wird von ihr beobachtet unter dem Eindruck, dass das Wissen der modernen Wissenschaften die Welt ja tatsächlich umgestaltet, und bei dieser Umgestaltung der Welt auch Macht und Lebenschancen ganz neu verteilt und bei der Verteilung von Macht und Lebenschancen durch die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung und ihre Umsetzung in gesellschaftliche Praxis, dabei wird es Gewinner und Verlierer geben. Und es ist ziemlich klar, dass die Verlierer solcher Prozesse nicht mit heitersten Augen auf die Wissenschaft, um jetzt mal diese Einheitsfiktion weiter zu verwenden, gucken, dass also der Blick kritischer wird. Und darauf müssen wir reagieren. Das können wir nicht mit denselben Legitimationsstrategien, die es schon vor 50 Jahren gegeben hat, beantworten.
    Blumenthal: Worin besteht die Qualitätskrise der Wissenschaft oder in der Wissenschaft? Wo sehen Sie da konkrete Anhaltspunkte?
    "Die Kampfformen in der Wissenschaft verändern sich"
    Strohschneider: Die Replikationskrise, die Debatten um die Plagiate, die Diskussion um gute wissenschaftliche Praxis, das scheinen mir schon Indikatoren zu sein für eine Qualitätskrise. Ich glaube auch, dass unter wachsendem Druck, unter - wie soll man sagen - der Verwettbewerblichung von allem und jedem, der Innendruck in der Wissenschaft wächst, auch durch anwachsende gesellschaftliche Anforderungen an die Wissenschaft. Und damit verändern sich auch die Kampfformen innerhalb der Wissenschaft. Die Ökonomisierung des Publikationswesens ist ein anderer. Das ist alles, was unter Open Access und DEAL, Stichwort der Verhandlung mit den Verlagen, im Bibliothekswesen und so weiter, verhandelt wird. Der Gedanke, dass alles und jedes messbar sei, das sind alles Wettbewerbsverschärfungen, die das Verhalten der Subjekte im Wissenschaftssystem modulieren, und durchaus nicht nur zum Guten.
    Blumenthal: Sie haben von der Innenansicht eben gesprochen. Wie ist es mit der Außenansicht? Wie reagiert die Wissenschaft und auch die Förderorganisation DFG auf die aktuelle Glaubwürdigkeitskrise gegenüber der Wissenschaft? Wo sehen Sie da möglicherweise ein grundlegendes Problem?
    Strohschneider: Sie verlocken mich, Herr Blumenthal, ein bisschen zu grundsätzlich vielleicht zu werden, als es jetzt hier sein kann. Ich will aber doch sagen, dass das, was wir beobachten politisch, gesellschaftlich, mir in vieler Hinsicht eine - sagen wir jedenfalls, ein kritischer Zustand der liberalen Demokratie zu sein scheint. Und es gibt ja auch ganz konkrete Gegenentwürfe. Der ungarische Ministerpräsident Orbán spricht von der illiberalen, programmatisch von der illiberalen Demokratie. Es gibt populistisch-autokratische Strömungen in vielen modernen Gesellschaften. Dabei werden Vorbehaltlichkeiten, Komplexitäten kritisch, die für die pluralistische Gesellschaft konstitutiv sind, aber auch für den demokratischen Verfassungsstaat, und auch für die Wissenschaften. Denn wissenschaftliches Wissen ist ein Wissen, das man nur beanspruchen kann, wenn man zugleich immer damit rechnet, dass man es selbst künftig vielleicht besser wissen kann, oder dass andere es jetzt schon besser wissen. Also ein Wissen, das ich unter Vorbehalt stellen muss, unter methodischen Vorbehalt. Ein verlässliches, aber kein gewisses Wissen. Und damit ist natürlich eine gewisse Zumutungshaftigkeit des wissenschaftlichen Wissens verbunden, und diese Zumutungshaftigkeit, die wird gesellschaftlich beobachtet.
    Blumenthal: Aber ist nicht auch die Frage nach den Alternativen berechtigt, sowohl in der Gesellschaft als auch in der Wissenschaft, und man sozusagen nicht von Alternativlosigkeit sowohl in der Wissenschaft als auch an alternativlosen Fakten in der Wissenschaft sprechen kann? Ist da nicht ein Grundkonflikt eigentlich zu sehen?
    "Pluralismus bedeutet Zumutungen für den Einzelnen"
    Strohschneider: Ich will das ja genau in dem Sinne, wie Sie das jetzt in Ihrer Frage aufnehmen, beschreiben. Gesellschaft, Staat - jedenfalls der demokratische Staat und die pluralistische Gesellschaft sowie moderne Wissenschaft sind in sich komplex-pluralistische Systeme. Und dieser Pluralismus, weil er Zumutungen für die Einzelnen bedeutet, weil er nämlich Unsicherheit, Unvorhersagbarkeiten und so weiter impliziert. Ich nenne das Vorbehaltlichkeit. Diese Strukturen der Vorbehaltlichkeit, die haben etwas Zumutungshaftes. Wissenschaft erweitert die Möglichkeiten von Alternativen auch dort, wo sie gewisses Wissen hat. Und ich will nur sagen, moderne Wissenschaft hat sich ja entwickelt in der Neuzeit im Gegenentwurf gegen eine Alternative. Und die Alternative zur modernen Wissenschaft, gegen die sie sich entwickelt hat, das war der religiöse Glaube. Und diese Differenz von gewissem Glaubenswissen und vorbehaltlichem wissenschaftlichem Wissen, diese Differenz, die war schon stabiler, um das einmal so zu sagen.
    Blumenthal: Wo sehen Sie die Herausforderungen für und an die Deutsche Forschungsgemeinschaft in den und für die nächsten elf Monate?
    Strohschneider: Politisch, denke ich, wird es darum gehen, die Themenoffenheit und die Finanzierung von Forschung an den Hochschulen, an den Universitäten und Fachhochschulen weiter zu stabilisieren, das ist die größte Baustelle des deutschen Wissenschaftssystems. Wir setzen sehr darauf, dass der Pakt für Forschung und Innovation fortgesetzt werden kann. Und dann gibt es in den internen Prozessen der Weiterentwicklung des Förderinstrumentariums und der Verfahren der Deutschen Forschungsgemeinschaft allerhand Aufgaben, die deren Präsidenten schon in Anspruch nehmen, obwohl sie nicht nach außen hin besonders sichtbar sind.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.