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Wissenschaft und Brexit
"Ein Bemühen Großbritanniens, die bilateralen Beziehungen wieder aufzuwerten"

Das verhältnismäßig schlechte Wahlergebnis für die britische Premierministerin lässt Gerhard Dannemann hoffen: "Es könnte halt sein, dass wieder etwas mehr investiert wird in deutsch-britische wissenschaftliche Beziehungen", sagte der Professor am Center for British Studies der Berliner Humboldt-Uni.

Gerhard Dannemann im Gespräch mit Kate Maleike | 09.06.2017
    Eine Flagge der Europäischen Union und eine Fahne vom Vereinigten Königreich Großbritannien
    Gerhard Dannemann hofft, dass die künftige britische Regierung bei der Begrenzung der Einwanderung die Studierenden außen vor lassen wird. (Jens Kalaene/dpa)
    Kate Maleike: Der Ausgang der Wahlen in Großbritannien ist heute ein großes Gesprächsthema. In vielen Bereichen, Politik und Wirtschaft zum Beispiel, macht man sich einige Sorgen um das künftige Verhältnis zur Insel, denn der Brexit muss nun mit der neuen Regierung in London verhandelt werden und in Kürze sollen ja die Gespräche zum Austritt beginnen. Auch in der Wissenschaftswelt wird das mit Spannung erwartet, denn ohne die EU fehlen nicht nur wichtige Gelder für die Forschung, auch das Arbeiten und der Austausch in der Wissenschaft werden sich verändern. Gerhard Dannemann ist Großbritannien-Experte und Professor am Centre for British Studies an der Humboldt-Uni in Berlin, guten Tag!
    Gerhard Dannemann: Guten Tag!
    Maleike: Was bedeutet denn der Wahlausgang für die deutsch-britischen Wissenschaftsbeziehungen, Herr Dannemann?
    Dannemann: Mit etwas Glück einen etwas sanfteren Brexit, als er bisher angekündigt war, mit etwas Glück auch mehr Aufmerksamkeit, die sich auf die Studentenaustausche richtet, die bisher in dem Weißbuch der Regierung nicht vorkamen und in keiner Verlautbarung vorkamen. Ich rede hier ganz konkret über die Erasmus-Austausche.
    Maleike: Was stimmt Sie so hoffnungsvoll?
    Dannemann: Theresa May hat diese Wahl ausgerufen, obwohl sie nicht nötig war, mit der Ansage, sich eine Mehrheit zu verschaffen für ihre Art, den Brexit mit Brüssel zu verhandeln. Und das war eine sehr harte Verhandlungsweise, die sie da an den Tag gelegt hat, indem sie immer wieder betont hat, dass sie, wenn sie nicht das bekommt, was sie will als einen Vertrag, dann ohne jedes Freihandelskommen, ohne jede Vereinbarung ausscheidet. Ein sehr harter Brexit. Und das ist nicht angenommen worden mehrheitlich von der britischen Bevölkerung. Alle anderen Parteien, die es noch gibt, sind für weniger harte, für sanftere Lösungen gewesen. Sie hat sich jetzt sehr kurzfristig und vorhersehbarerweise zusammengetan mit den Unionisten aus Nordirland, die zwar auch sehr für den Brexit waren, die aber für sich selber, für Nordirland auch keinen harten Brexit wollen.
    Maleike: Die Brexit-Gespräche zwischen Großbritannien und der EU stehen ja eigentlich für demnächst an. Schauen wir mal, wann sie wirklich beginnen. Aus der Wissenschaft haben wir ja seit dem letzten Sommer, also seit der Brexit-Entscheidung, noch den großen Aufschrei im Ohr. Gibt es nach dieser Schockstarre schon konkrete Ideen, wie es weitergehen könnte?
    Dannemann: Es gibt verschiedene Kooperationsformen, die Universitäten reden miteinander, die Hochschulverbände reden miteinander, die Ministerien natürlich auch. Wir sehen insgesamt, also nicht nur im Hochschulbereich, ein Bemühen Großbritanniens, die bilateralen, die zweiseitigen Beziehungen wieder aufzuwerten, nachdem ein Verbleib in der Europäischen Union ja nicht mehr vorgesehen ist. Es könnte halt sein, dass in dieser Weise wieder etwas mehr investiert wird in deutsch-britische auch wissenschaftliche Beziehungen und wir auf diese Weise einen Teil unserer Zusammenarbeit retten können. Soweit ich informiert bin – ich rede natürlich mit meinen britischen Kollegen, ich rede auch mit deutschen Kollegen –, ist die ganz, ganz große Mehrheit bemüht, auf irgendeine Form unsere Zusammenarbeit in der Forschung und der Lehre aufrechtzuhalten, das wird aber schwieriger werden.
    Die Folgen des Brexits für die Wissenschaft minimieren
    Maleike: Was bedeutet das eigentlich für Ihr Großbritannien-Zentrum? Spüren Sie da schon ein bisschen was, haben sich die Verhältnisse, die Stimmungslagen verändert?
    Dannemann: Also, die Bewerberlage ist noch gut. Wir hatten jetzt gerade Bewerbungsschluss für unseren Master British Studies, der ist gut ausgelastet. Direkt bedroht sind wir aber davon, dass Großbritannien, wenn nichts anderes vereinbart wird, sich aus dem Erasmus-Programm ausklinken wird. Denn wir haben ein dreimonatiges Pflichtpraktikum in Großbritannien, was auch sehr wichtig ist, wenn man einen Master in British Studies vorweisen will, und das sichern wir ab über Erasmus. Darüber bekommen unsere Studierenden, die nicht den EU-Staaten angehören, ein Visum. Künftig wird das alle betreffen, also auch unsere deutschen Studierenden. Das ist nicht nur die Finanzierung, sondern ganz wichtig auch das Visum. Also, unser Studiengang würde mit einem harten Aussteigen Großbritanniens ohne Verbleib im Erasmus-Programm einen sehr, sehr empfindlichen Dämpfer hinnehmen.
    Maleike: Viele Wissenschaftler befürchten ja durch den Brexit sozusagen große Gefahren für den Forschungsstandort Europa an sich.
    Dannemann: Ja.
    Maleike: Sehen Sie das auch so?
    Dannemann: Also, es wird schwieriger. Also, ein ganz wichtiges Instrument der Forschungszusammenarbeit und der Forschungsfinanzierung ist der Europäische Forschungsrat, der wird von EU-Geldern gespeist. Und da kann man also internationale Kooperationsprojekte zusammenstellen und bekommt dafür Geld. Das wird in einem einheitlichen Verfahren begutachtet, da können sich jetzt also britische, deutsche, französische, portugiesische und so weiter, polnische Forscher zusammentun und einen Antrag stellen. Und wenn Großbritannien nicht mehr drin ist, in der EU, ist es auch nicht mehr im Europäischen Forschungsrat. Das heißt also, wir müssen künftig solche Projekte ohne unsere britischen Kollegen planen und dann versuchen, sie noch irgendwie anders miteinzubeziehen. Die britische Regierung scheint anfangs gedacht zu haben, na ja, dann geben wir einfach das Geld, was wir jetzt in den Europäischen Forschungsrat einzahlen, in einen anderen Topf rein. Die Briten haben halt auch ihre Research-Councils, das sind also wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft Organisationen, die mit öffentlichen Geldern gespeist werden und Forschung finanzieren. Aber das funktioniert nicht, weil es dann kein gemeinsames Antragsverfahren mehr gibt.
    Maleike: Was also ist Ihr Appell jetzt an die Politik?
    Dannemann: Im Bereich der Wissenschaft, der Lehre und der Forschung zusammenzuarbeiten, um die Folgen des Brexits zu minimieren. Wenn man gar nichts tut, wird die Forschungs- und die Lehrzusammenarbeit zwischen Großbritannien und Deutschland sehr empfindlich leiden. Und man könnte eben halt mit einer ganze Reihe von Schritten versuchen, das abzumildern. Da muss allerdings auch die Bereitschaft da sein, auch auf der britischen Seite, vielleicht bei den Einwanderungszahlen die Studierenden grundsätzlich auszunehmen. Das hat sich die Premierministerin Theresa May bisher geweigert, das zu tun, das wird vielleicht künftig auf mehr Wiederliebe stoßen, dass man bei der Begrenzung der Einwanderung die Studierenden ausnimmt. Also, eine ganze Reihe von sehr, sehr praktischen Schritten, die man jetzt unternehmen kann, um zu verhindern, dass der Brexit Zusammenarbeit in Lehre und Forschung beschädigt.
    Maleike: Nach der Wahl und vor dem Brexit – wie geht es eigentlich den deutsch-britischen Wissenschaftsbeziehungen? In "Campus und Karriere" war das dazu Professor Gerhard Dannemann vom Centre for British Studies der Humboldt-Universität in Berlin. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Dannemann!
    Dannemann: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.