Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Wissenschaft und Fälschung
Selbstversuch mit einem fragwürdigen Wissenschaftsverlag

Wenn ein unbekannter Wissenschaftsverlag Hochschulabsolventinnen und –absolventen per Mail anbietet, ihre Examensarbeit als Buch zu veröffentlichen, ist das in der Regel kein seriöses Angebot. Wir haben getestet, wie gut die wissenschaftliche Qualitätsüberwachung bei diesem Angebot ist.

Von Armin Himmelrath | 15.07.2020
Gasthörer und Studenten der Uni Köln bei einem Vortrag in der Anatomie der Universität zu Köln. | Verwendung weltweit | Geisler-Fotopress / picture alliance
Wer würde seine vollendete Masterarbeit nicht gerne als Buch in der Hand halten? (Geisler-Fotopress / picture alliance)
Die Mail vom AV Akademikerverlag klingt verlockend. Ob man denn nicht seine Abschlussarbeit veröffentlichen wolle? Als echtes, gedrucktes Buch, in einem richtigen Verlag, mit ISBN-Nummer und richtigem Einband. Und vor allem: kostenlos. Klingt interessant, also klicke ich auf die Seite des Akademikerverlags. Dort heißt es:
"Wissenschaft lebt vom Austausch, vom Mitteilen und Veröffentlichen wichtiger Erkenntnisse – der AV Akademikerverlag ist Teil dieses Prozesses, indem er die wissenschaftliche Fachliteratur, die tagtäglich an den Universitäten und Hochschulen entsteht, publiziert. Schnell, unkompliziert und für den Autor immer kostenlos!"
Das Angebot klingt zu gut, um wahr zu sein
Geworben wird außerdem mit weltweiter Vermarktung, mit Autorenrabatt und der Belieferung aller relevanten Buchkataloge. Das klingt eigentlich zu gut, um wahr zu sein. Im Vertrag, den ich auf meine Anfrage erhalte, steht, dass ich an jedem Buchverkauf beteiligt bin – allerdings wird das Geld erst ausbezahlt, wenn ich mindestens 50 Euro pro Monat an Ausschüttung angesammelt habe. Gezählt wird jeden Monat neu – sodass ich schon wahnsinnig viele Bücher verkaufen müsste, um tatsächlich Bargeld zu bekommen. Trotzdem, ein Versuch ist es wert.
Falsche Masterarbeit aus Wikipedia-Artikeln
In knapp vier Stunden kopiere ich aus mehreren Wikipedia-Artikeln eine angebliche Masterarbeit zusammen. Und zwar eine mit null wissenschaftlichem Anspruch. Der Schwachsinn beginnt schon auf dem Umschlag. Dass es den Plem-Plem-Buchtitel "Professionelle Professionalisierung" vielleicht wirklich geben könnte – geschenkt. Aber dass der Text auf dem Buchrücken Passagen enthält, die keinen, wirklich gar keinen Sinn ergeben, das hätte meine Lektorin eigentlich schon stutzig machen müssen:
"Dem weinend, usw. brüllendes Schulden la reibe, Erz Ärzte esst, Ada locker, Bei AfA, Maya nun."
Bei AfA, Maya nun. Fällt dem Verlag nicht auf, auch nicht die auf dem Umschlag eingebauten Tippfehler. Und schon gar nicht der ganze andere Unsinn im Text: das sinnfreie Gerede vom "Professionalisierungsanspruch nach Heidegger" zum Beispiel (Kapitel 2); dazu die beiden Unterkapitel "Polyamorie als Wesensmerkmal" und "Ereignisse ab 1934". Nach den langen Ausführungen zu Heidegger schreibe ich: "Der umstrittene Philosoph hat zwar ein interessantes Leben geführt, aber seine Äußerungen zu Professionalisierungsansprüchen und -konzepten sind entweder gar nicht aufgetreten oder bis heute unbekannt." Müsste da nicht irgendwer stolpern? Oder über die Fußnoten, etwa auf Seite 35? Die im Text zitierten Zahlen, vermerke ich da, sind...
"...nicht ganz eindeutig. Ich habe diejenigen genommen, die mir am passendsten erschienen sind."
Die Sinnfreiheit des Textes fällt niemandem auf
Immer wieder kopiere und wiederhole ich ganze Passagen des unsäglichen Geschreibsels, um überhaupt auf 57 Seiten Text zu kommen. Das gut zweiseitige Fazit ist deshalb eine exakte Kopie des Einleitungskapitels. Und das alles fällt bei der Prüfung durch den Verlag nicht auf?
Frau, Arbeit, Computer, Detail, Hände, Tastatur Business, Büro, Büroangestellte, Angestellte, Arbeitsplatz, Beruf, Sekretärin, Dateneingabe, Datenverarbeitung, schreiben, Computertastatur, Geschicklichkeit, Geschwindigkeit (Foto: picture alliance / Sammy / VisualEyze) | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Akademisches Ghostwriting - Schummeln auf hohem Niveau
Die meisten Studierenden kommen irgendwann an diesen Punkt: Bis nächste Woche müssen drei Hausarbeiten geschrieben werden, aber man sitzt mit Schreibblockade vor dem Laptop. Praktisch wäre da jemand, der einem die Arbeit abnimmt. Doch wie kommt man an einen Ghostwriter und ist das überhaupt legal?
Bleibt noch die Frage, womit der seltsame Verlag sein Geld verdient. Ganz sicher nicht mit dem Verkauf der Bücher in der wissenschaftlichen Community. Ende Januar ist mein Machwerk ins Verzeichnis lieferbarer Bücher aufgenommen worden – und seither genau drei Mal verkauft worden. Und zwar an mich, den Autor selbst, der für drei Exemplare den stolzen Preis von jeweils 32,90 Euro gezahlt hat – für ein schmales Büchlein mit sinnbefreitem Text. Und genau das scheint das Geschäftsmodell zu sein: dass Hochschulabsolventinnen und -absolventen auf das Buchangebot einsteigen und anschließend ein paar überteuerte Druckexemplare ordern – für sich selbst, für die Eltern und die Patentante.
Die Masse macht den Gewinn
Der Verlag hat Tausende von solchen Arbeiten im Angebot – die Masse macht dann den Gewinn. Der Verlag selbst verweist auf meine Anfrage zu den seltsamen Geschäftspraktiken lediglich auf eine Webseite mit vorformulierten Antworten. Ob wahllos jeder Text veröffentlicht werde, will ich wissen. Die Antwort? Nein, das sei nicht so.
"Wir mussten Autoren ablehnen, weil ihre Werke nicht ordnungsgemäß referenziert werden, plagiierte Inhalte oder, offen gesagt, Unsinn enthalten. Wir haben auch Veröffentlichungsverträge mit Autoren gekündigt, die sich gegenüber unserer Redaktion oder anderen Autoren unhöflich verhalten haben."
Mein Unsinn ist allerdings nicht aufgefallen. Und hat man als Autor tatsächlich eine Chance auf echtes Honorar?
"Manche Autoren haben Tausende von Euros von uns erhalten."
Aber dann folgt die Einschränkung:
"...die meisten aber nur Einkaufsgutscheine über einige Euro."
Fazit dieses Selbstversuchs: Illegal ist das Angebot des Verlags wohl nicht, aber ganz sicher auch kein Beitrag zur Wissenschaft. Wenn Sie also irgendwo das Buch "Professionelle Professionalisierung" sehen – lassen Sie die Finger davon. Es steht wirklich nichts Sinnvolles drin.