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Wissensgeschichte
Der Weg in die moderne Medizin

Bis in die Neuzeit haben Ärzte die Ursachen für Krankheiten im Übersinnlichen gesucht, die Therapie war eng mit religiösen Heilungsmethoden verbunden. Den Weg hin zur heutigen, modernen Medizin zeigt eine Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz.

Von Matthias Hennies | 05.12.2019
Satirische Darstellung eines allgemeinen Arztes im Mittelalter.
Das medizinische Fachwissen der Antike wurde auch im Mittelalter angewandt (picture alliance / Prisma Archivo)
Natürlich geht es nicht ohne die Popularität des Bestsellers: Die Ausstellung beginnt mit einer Szenerie aus dem bekannten Roman. Am Eingang steht ein farbenprächtiger Planwagen, vor dem im Mittelalter ein "Medicus" mit Bällen jongliert haben könnte, um Patienten anzulocken – und sie dann mit seinem medizinischen Instrumentarium zu traktieren. Das originale Handwerkszeug der Bader und Barbiere zeigt Kurator Dr. Sebastian Zanke in einer Vitrine wenige Schritte weiter:
"So was ist wirklich selten. Einerseits haben wir ein normales Skalpell, dann haben wir ein Schabeisen, mit dem man Wundstellen frei schaben konnte, wir haben ein Brandeisen zum Kauterisieren der Wunde, also zum Schließen, wir haben daneben eine chirurgische Sonde, dass man prüfte, ob irgendwelche Fremdkörper in den Wunden sind, Nadel und Bügelsonde.
Medizin und Religion
Beim Kloster Corvey im Weserbergland förderten Archäologen den raren Fund aus dem Mittelalter zu Tage. Weit besser überliefert ist aber die Medizin viel früherer Jahrhunderte – angefangen mit Keilschrift-Täfelchen aus dem Zweistromland:
"Wir haben Tontafeln über alle erdenklichen Gebrechen und Zwecke. Einerseits Beschwörungsformeln für oder wider den Verursacher einer Krankheit, wir haben aber auch Rezepte. Vieles davon hat eine medizinische Wirkung auch - sowohl im mesopotamischen als auch im ägyptischen Bereich können wir auf eine relativ fortschrittliche Medizin zurückblicken, wobei aber dieser Aspekt des Glaubens, der religiösen Therapie, mit dem Handwerklichen sehr, sehr eng verbunden war."
Diese Verbindung hat die Medizingeschichte geprägt. Bis weit in die Neuzeit suchte man die Ursachen für Gesundheit und Leiden – ähnlich wie für Erfolge und Misserfolge – im transzendentalen Bereich: Wer krank wurde, hatte vermutlich eine Gottheit verärgert. Zur Therapie gehörte daher immer auch eine Anrufung überirdischer Mächte. Ausstellungsbesucher können das anschaulich erleben, wenn sie sich auf ein interaktives Spiel vor einem der großen Monitore einlassen, erzählt Museumsdirektor Dr. Alexander Schubert:
"Unsere Besucher bekommen am Eingang ein Leiden verpasst, sie bekommen eine Karte mit der Darstellung von Kopfschmerzen, Zahnschmerzen oder Bauchschmerzen und kriegen in der Konfrontation mit dem jeweiligen Heilkundigen die Medikation verschrieben – die sich natürlich sehr unterscheiden kann durch die Jahrhunderte."
Vier-Säfte-Lehre prägend bis in die Neuzeit
Was der Schauspieler im wechselnden historischen Gewand dem Besucher dann verordnet, ist tatsächlich schriftlich überlieferten Quellen entnommen, betont Kurator Zanke. Die berühmtesten sind die Texte des antiken griechischen Arztes Hippokrates, die zu einer einflussreichen Grundlage des medizinischen Wissens wurden:
"Der Kern des antiken Wissens, der nicht nur im Mittelalter, sondern bis in die Neuzeit prägend war, ist die Vier-Säfte-Lehre. Der beschreibt Funktionen des menschlichen Körpers in vier Säften: Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle. Wenn diese vier Säfte im Gleichgewicht waren, war der Mensch gesund, war einer davon im Ungleichgewicht, war er krank. Entsprechend auch die Therapie, man musste die Säfte ins Gleichgewicht bringen und schädliche Säfte ableiten."
Und so wurden Patienten in früheren Jahrhunderten so häufig "geschröpft", mit einem bronzenen oder gläsernen Schröpfkopf, dass daraus eine Redewendung geworden ist – oder man "ließ sie zur Ader". Eine große Vitrine zeigt das traditionsreiche Instrumentarium:
"Der einfachste Weg, schädliche Säfte abzuleiten, war der Aderlass, meist mit einer scharfen Klinge wurde Blut abgezapft. Es gab die andere Variante mit dem Schröpfkopf, da haben wir von dem ältesten römischen Ensemble eine Reihe großformatiger Schröpfköpfe erhalten, die stellen wir gegenüber ganz modernen Schröpfköpfen, bis ins 19. Jahrhundert hinein, die zeigen eben, dass trotz aller medizinischen Erkenntnis die Lehre von den Säften wirklich unglaublich wirkmächtig war."
Auch die Entleerung des Darms sollte dem Gleichgewicht der Körpersäfte dienen. Darum liegt hinter dem Glas ein Set von Klistier-Spritzen, die übrigens dem bayerischen König Otto gehörten, der im 19. Jahrhundert erster Herrscher des unabhängigen Griechenland wurde.
Weitergabe des medizinischen Fachwissens
Dass fachliches Wissen der Antike über den Zusammenbruch der römischen Welt hinaus bewahrt blieb und im Mittelalter bald wieder angewandt wurde, ist zwei Traditionssträngen zu verdanken:
"Das eine ist die Klostermedizin, in der Grundlagen der Vier-Säfte-Lehre in den Klöstern weitergegeben und auch angewandt wurden – Klöster sind mehr als nur Kräuterlehre - und der andere ist der über die Medizinschulen des islamischen Kulturkreises, in dem christliche, jüdische und islamische Ärzte das antike Wissen rezipierten und vor allem maßgeblich erweiterten und deren Schriften wiederum dann über Übersetzungsschulen in Spanien und Italien in die mittelalterlichen Universitäten gelangten."
Die praktische Bedeutung der vielseitigen Klostermedizin ist lange unterschätzt worden, stellt Kurator Zanke klar. Dagegen hatten die Universitäten für den medizinischen Alltag kaum Bedeutung. Sie konservierten nur akademisches Buchwissen, denn Hochschulärzte standen in fürstlichen oder städtischen Diensten und durften nicht praktizieren.
Moderne Medizin
Die große Wende, die die Medizin schließlich von den Lehren der Antike löste und den Weg zu einer modernen Wissenschaft öffnete, dokumentiert in der Ausstellung ein großformatiges altes Buch:
"Dahinten ist eben das große Werk, das ein bisschen die Medizin in die Neuzeit brachte und einen neuen Weg einschlug, das ist das große Werk von Andreas Vesal, des Anatomen, der im 16. Jahrhundert das antike Wissen auf dem Seziertisch prüfte und die antike-mittelalterliche Vorstellungswelt korrigierte und fortschrieb."
Entscheidend war nicht, dass Vesal tatsächlich menschliche Körper sezierte, sondern dass er selbständig beobachtete und bewertete, was er sah. Seine Vorgänger hatten am realen Objekt nur wiederzufinden gesucht, was die alten Texte beschrieben, er aber überprüfte die überlieferten Schriften anhand seiner eigenen Wahrnehmung. Die Medizin machte den Sprung in die Neuzeit nicht durch große Entdeckungen, sondern durch das infrage Stellen der alten Autoritäten, hält Zanke fest:
"Neues Wissen kommt vor allem dann ins Spiel, wenn altes Wissen hinterfragt wird."