Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Witze statt Waffen

Gegen das Assad-Regime helfen Worte mehr als Waffen. Davon sind viele junge Syrer überzeugt, die ins Nachbarland Libanon geflohen sind. Mit politischer Satire, Videos oder Theaterstücken werben sie für ihren Freiheitskampf. Doch der syrische Geheimdienst kennt sich in Beirut noch immer gut aus.

Von Anne Françoise Weber | 17.11.2012
    Ein Wohnzimmer irgendwo im Libanon. Regisseur Jamil probt mit den beiden Schauspielern Hurria und Samir – die alle in Wirklichkeit anders heißen – einen Dialog.

    Frau: "Was hältst Du davon, wenn ich nach dem Erfolg der Revolution für das Amt der Präsidentin kandidiere?"

    Mann: "Wie bitte? Du?!"

    Frau: "Ja, ich."

    Mann: "Ein junge Frau, Angehörige einer Minderheit - Präsidentin der Republik?"

    Frau: "Mein Lieber, in einem Rechtstaat ist alles möglich."

    Grundsätze einer zivilen Verfassung, Gewaltenteilung, Gleichberechtigung: mit einigem Humor werden diese grundlegenden Fragen in der kleinen Szene erörtert.

    Frau: "Wieso, ist Merkel besser als ich?"
    Mann: "Wer?"

    Frau: "Mensch, die deutsche Kanzlerin."

    Mann: "Ja, die kenn ich."

    Frau: "Na, dann schau doch mal, wo Deutschland steht und wo wir stehen."

    "Die Leute fürchten sich sehr davor, was nach dem Sturz des Regimes kommt - zumal jetzt, wo das Regime so schwach ist. Wir versuchen, über die Justiz in der Übergangsphase zu reden, über den Rechtsstaat, der die beste Wahl wäre für so ein plurales Land wie Syrien, - einfach über die Dinge, von denen wir als junge Leute träumen. Hoffentlich werden sie Wirklichkeit.""

    Erklärt Regisseur Jamil. Die drei haben schon einige Erfahrung in der Zusammenarbeit. Sie gehören zu einer Truppe, die unter dem Titel Top Goon im Internet kurze Puppentheaterstücke zur Lage in Syrien veröffentlicht. Präsident Bashar al-Assad wird darin liebevoll Bishu genannt, erscheint aber als ständig dumm lachender, völlig realitätsferner Tyrann.

    Stolz spielt Regisseur Jamil auf seinem Laptop einen dieser Videoclips ab: Bishu el-Assad geht verkleidet auf eine Pro-Regierungsdemonstration – und wird schließlich von einem Schläger misshandelt, weil er nicht laut genug für das Regime schreit.

    In einer Ecke des Wohnzimmers steht ein Lattengerüst, über dem ein schwarzer Stoff hängt. Darauf liegen Puppen mit großen Pappmaché-Köpfen, Samir und Hurria nehmen ihre Alter Egos auf.

    "Der Körper ist aus Stoff, den sich der Schauspieler über die Hand streift, hier sind die Hände der Puppe und so bewegt sie sich ... Zum Beispiel so: Hallo!"

    Die Puppen erlauben es den Schauspielern, anonym zu bleiben. Aber sie wissen, dass das syrische Regime nach ihnen sucht – und dass sie auch im Libanon nicht sicher sind.

    In Acht nehmen vor dem syrischen Geheimdienst muss sich auch Fares. Er sitzt in einer karg ausgestatteten Wohnung vor seinem Laptop und sichtet Videomaterial, das ihm aus Zabadani zugespielt wurde, einer Stadt in der Nähe von Damaskus.

    Man sieht Wachposten, die per Walkie Talkie über die Truppenbewegungen informieren und einen Verkäufer, der drei Kinder wegschickt, weil er keine Milch mehr hat. Aus dem Rohmaterial macht Fares einen Bericht, den er an einen arabischen Fernsehsender verkaufen will. Denn:

    "Diese Dinge sieht man nicht im Satellitenfernsehen. Die Sender wollen nur die militärische Seite zeigen, schießende Soldaten. Alle zehn Tage bringen sie mal was über die humanitäre Situation, damit man sie nicht kritisiert – aber täglich gibt es tausende humanitäre Notsituationen und darüber berichten sie nicht. Deswegen wollen wir diese Berichterstattung ergänzen."

    Weil sich Fares und seine Kollegen von keiner Seite etwas vorschreiben lassen wollen, liefern sie lieber fertige Stücke, anstatt sich mit Fernsehredakteuren vorher auf ein Skript zu einigen.

    "Wir können ihnen nicht sagen, dass wir jetzt einen Film über die Gefängnisse der Revolution machen. Wenn wir sagen, dass es da Übergriffe gibt, wollen sie den Film nicht zeigen. Auf dieser Grundlage können wir nicht arbeiten, dann verdrehen wir die Wirklichkeit und beginnen so zu arbeiten wie diese Leute."

    Deswegen wollen Fares und seine Mitstreiter demnächst auch eine eigene Webseite eröffnen, auf der sie ihre Filme unzensiert zeigen. Überhaupt ist das Internet Fares’ wichtigstes Arbeitsmittel. Ständig zeigt ein Signalton an, dass ein weiterer Freund online oder eine Email eingetroffen ist. Selbst als Fares noch in Syrien war, hat er sich mit andern über Skype und Facebook vernetzt – persönliche Treffen waren viel zu gefährlich.

    Souad hat sich mit einem regimekritischen Theaterstück an die libanesische Öffentlichkeit gewagt. Das hat jemand ihrem Arbeitgeber erzählt, seither kann sie nicht mehr zurück nach Syrien. Jetzt sitzt sie im Wohnzimmer ihrer improvisierten Wohngemeinschaft in Beirut, raucht, hört Flamencomusik, trinkt Matetee und versucht, durch Schreiben mit der neuen Situation zurechtzukommen.

    "Ich stelle in meinem Text Fragen über uns, wo wir stehen, was wir gemacht haben. Es ist eine Auswertung all dessen, was passiert ist, wo wir Fehler gemacht haben - meiner Meinung müssen wir ein bisschen innehalten und nachdenken. Auch darüber, wie die Revolution sich bewaffnet hat. Obwohl ich von Anfang an wusste, dass eine friedliche Revolution in Syrien unmöglich ist. Unmöglich."

    Vielleicht hätte sie sich selbst auch der sogenannten Freien Syrischen Armee angeschlossen, wenn das Regime ihren Bruder oder ihre Mutter getötet hätte, sagt Souad. Aber die Alawitin hat sich auf ziviles Engagement beschränkt und mit Bekannten eine Hilfsorganisation für Frauen aufgebaut. Sie gingen in Dörfer, boten Stickkurse an, entwarfen neue Modelle und verkauften die fertigen Handarbeiten, um den Frauen ein Einkommen zu verschaffen. Doch das war nicht alles:

    "Die Idee war, frühzeitig für den zivilen Frieden zu arbeiten. Zu Leuten zu gehen, die gefoltert wurden und davon überzeugt waren, dass das alawitische Regime sie gefoltert hat. Wir haben ihnen gesagt: Nein, das ist das Assad-Regime, nicht das der Alawiten. Die Alawiten sind wie ihr ein Teil der syrischen Gesellschaft, sie waren auch Diskrimierungen ausgesetzt. Und wir haben von unseren Familien erzählt, was uns alles angetan wurde - nicht als Alawiten, sondern als syrische Oppositionelle."

    Mittlerweile ist der Verkauf der Handarbeiten im Land sehr schwierig geworden. Souad kümmert sich jetzt um ausländische Finanzmittel, um weiterhin das Material kaufen und den Frauen ihre Produkte abnehmen zu können. Aber sie fragt auch weiter.

    "Ich bin mittlerweile ganz gegen Nothilfe. Ist doch nicht normal, die Arbeit des Regimes zu tun - Moment mal, das ist seine Verantwortung. Sollen die Leute doch auf die Straße gehen, soll es doch ein Skandal werden. Wenn alle Nothilfe organisieren, dann denkt keiner mehr nach. Dann überlegst du, wie du Lebensmittel besorgen kannst, wo du Milch oder Brot herbekommst, wenn es keins gibt. Dann denkst du nicht mehr daran, was im In- oder Ausland passiert."

    Souad weiß nicht, wie lange es noch so weitergeht, ob in zwei Monaten die Freie Syrische Armee gewonnen hat oder der Konflikt noch Jahrzehnte andauern wird. Sie selbst kämpft erst einmal gegen die Abstumpfung, dagegen, vor dem Fernseher zu sitzen und zu sagen: Gott sei Dank, heute gab es 'nur' 79 Tote in Syrien.