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Wo die Insekten summen

Hollywood hält am Pariser Théâtre du Châtelet Einzug: Denn Regisseur David Cronenberg bringt den Horrorklassiker "The Fly" als Oper auf die Bühne. Die Musik zu der Geschichte eines Wissenschaftlers, der sich durch ein Experiment in eine Fliege verwandelt, komponierte Howard Shore - bekannt durch die Filmmusik zum "Herr der Ringe" und "Das Schweigen der Lämmer".

Von Frieder Reininghaus | 03.07.2008
    Howard Shore komponierte Mitte der achtziger Jahre für die Film-Mutation des Wissenschaftlers Seth Brundle vom Mensch zum Insekt einen prächtigen Orchestersatz. Der untermalt die Irritationen und die zur hellen Angst sich steigernden Befürchtungen der in Brundle verliebten - und dann von ihm auch schwangeren - Wissenschaftsjournalistin Veronica ebenso effektiv wie er den Prozess der "Vertierung" unterstreicht.
    Der Biochemiker Brundle unterzieht sich nach der erfolgreichen "Teleportation" eines Affen - voreilig - einem Selbstversuch. Er steigt - nackt - in eine seiner Zerlege-, Verschickungs- und Wiedervereinigungsdampfröhrenmaschinen. Mit dem Wissenschaftler gelangt allerdings auch eine gemeine Stubenfliege in die Apparatur und löst sich in ihre kleinsten Bestandteile auf; bei der Übermittlung und Rekonstruktion des menschlichen Körpers muss sich dessen genetisches Material mit dem tierischen gemischt haben.

    Als er ganz und gar das Aussehen des Insekts angenommen hat, in seinem offenkundigen Leiden gegenüber der nun völlig verängstigten Veronica tückisch-gewalttätig wird, gibt ihm diese einen "Gnadenschuss". Sie entschließt sich, das Kind in ihrem Bauch doch in die Welt zu bringen - trotz der Bedenken gegen einen Teil seiner Chromosomen.

    Der Plot des Cronenberg-Films stammt aus einer 1957 publizierten Kurzgeschichte von George Langelaan - es war das Jahr des "Sputnik-Schocks". Auf diese Novelle griff der Texter David Henry Hwang verstärkt zurück, als er nun für Howard Shore ein Libretto anfertigte. Seine Dialoge - mit Chor-Einschüben - sollten dem Komponisten und dem als Opernregisseur debütierenden David Cronenberg erlauben, nicht einfach den Film von 1986 als Oper zu reproduzieren, sondern auch neue Aspekte am bewährten Sujet hervorzuheben.

    Freilich ging es nach dem Willen von Placido Domingo, dem Direktor der - ko-produzierenden - Los Angeles Opera, durchaus darum, "die Sphären des Films mit denen der Oper zu vereinigen". Shore hatte zu diesem Zweck eine stattliche Textmenge mit Musik zu versehen. Das führt dazu, dass die Tonspur über weite Strecken nur bedingt prickelnd wirkt und nicht recht von der Stelle zu kommen scheint - trotz der hervorragenden sängerdarstellerischen Leistungen von Daniel Okulitch in der Titelpartie und Ruxandra Donose als Veronica.

    Die von Howard Shore vorgelegte Partitur verrät neben der Bezugnahme auf spezifisch amerikanische Operntraditionen - wie sie zum Beispiel von Douglas Moore repräsentiert werden - individuelle Schriftzüge: mit erweiterter Tonalität werden durchaus expressive Wirkungen erzielt. Die Pariser Bühne wurde von Dante Ferretti mit einem biophysikalischen Labor ausgestattet, wie es 1957 leicht futuristisch gewirkt haben dürfte: monströse Apparate wie aus der Frühzeit der Nuklear-Medizin und Schaltpulte wie aus den besten Jahren von Karlheinz Stockhausens elektronischer Kunst. So trägt das Projekt starke Züge von "Altherrenkunst" - Shore greift ebenso auf bewährte Patterns seiner robusten Satzkunst zurück wie Cronenberg auf Momente seiner Film-Inszenierung.

    Auf der Opernbühne aber erscheint das Insekt, das im Film für einiges Erschrecken und Schaudern sorgen kann, wie ein etwas ausgefallenes Plüschtier - und wenn Daniel Okulitch virtuos unterm Bühnenhimmel herumturnt und dabei eine schrille Passage singt, dann geht heiteres Raunen durchs Publikum. Nicht einmal Sechsjährigen kann der deformierte Wissenschaftler Brundle heute wohl das Fürchten lehren - obwohl die Wissenschaftssparten, die er repräsentiert, gerade auch heute durchaus bange machen könnten.

    Freilich vermeidet die Oper - wie schon der Film - die denkbare Kritik an wissenschaftlicher Hybris.