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Wochenlanges Verhör nach Stones-Konzert

Bundespräsident Christian Wulff hat heute die neue Dauerausstellung über die Arbeit der DDR-Staatssicherheit eröffnet. Künftig könne es Aufgabe der Beauftragten für die Stasi-Unterlagen und ihrer Behörde sein, das Wissen der Zeitzeugen dauerhaft zu sichern, schlug Wulff vor.

Von Jürgen König | 15.01.2011
    Ein "Lernort" soll es sein, sagt Marianne Birthler, keine Gedenkstätte, kein Museum. 260 Quadratmeter groß, oder besser gesagt klein. Sehr komprimiert wird die gesamte Geschichte der Stasi und des Widerstands gegen sie nacherzählt. Mit chronologischen Tafeln, Lebensläufen der Hauptverantwortlichen. Sieben Opferschicksale werden herausgehoben.

    Der 18-jährige Hermann Josef Flade etwa verteilte 1950 Flugblätter gegen die undemokratischen Wahlen in der DDR, wurde von der Polizei gestellt, wehrte sich, verletzte dabei mit seinem Taschenmesser einen der Polizisten, wurde von der Stasi wochenlang verhört, schließlich zum Tode verurteilt, dann zu 15 Jahren Zuchthaus "begnadigt". Zehn Jahre saß er in Haft, wurde dann in die Bundesrepublik entlassen.

    Oder Burkhard Herzel, der am 7. Oktober 1969, ausgerechnet zum Jubeltag des 20-jährigen Bestehens der DDR, nach Berlin kam, weil er gehört hatte, die Rolling Stones würden auf dem Dach des Springer-Hochhauses in West-Berlin ein Konzert geben - die Stasi griff ihn auf, verhörte ihn wochenlang.

    Bundespräsident Christian Wulff zeigte sich beeindruckt von der Ausstellung:

    "Ich finde aber auch eindrucksvoll, dass man hier Zeichen sieht für Mut, von Zivilcourage, von Engagement für Freiheit und Demokratie, dass wir viel deutlicher die würdigen sollten, die damals das System zum Einsturz gebracht haben, die damals die Einheit, den Fall der Mauer ermöglicht haben, die die Geheimdienstakten der Stasi gesichert haben und damit eine Aufarbeitung ermöglicht haben, dass heute diese Unterlagen weitgehend der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, damit auch der weiteren Aufarbeitung der Geschichte und dem Ziehen der notwendigen Konsequenzen daraus."

    Marianne Birthler war sichtlich sehr erfreut, dass es der Bundespräsident war, der die Ausstellung eröffnete:

    "Wir sehen darin eine Stärkung auch für alle Menschen, die sich dem Thema Aufarbeitung von Diktaturen widmen, wir sehen darin eine Wertschätzung der Menschen, die seinerzeit zum Ende der Diktatur beigetragen haben, und wir sehen vor allen Dingen darin eine Ermutigung für unsere künftige Arbeit."

    Wie diese Zukunft aussehen könnte, ob es auch nach 2019 noch einen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen geben wird, wurde der Bundespräsident gefragt. Nun, das zu entscheiden sei Sache des Bundestages und der Regierung, sagte er, aber:

    "Man darf auch als Bundespräsident sagen, dass sie selbstverständlich ihren Charakter, ihre Sachgebiete, ihre Aufträge, Aufarbeitungen verändern wird, in Nutzbarmachung von Dokumentation, in Zusammenfügung von vernichtetem oder in Tüten versammeltem Material hin zu einer stärkeren wissenschaftlichen Begleitung. Und eben, wenn Zeitzeugen verloren gehen, dann wird es auch eine große Aufgabe sein, das Wissen der Zeitzeugen auf Dauer zu sichten und zu sichern; das ist, glaube ich, die nächste Phase, dass man da allen die Sorge nimmt, dass irgendwas mal nicht nur in Vergessenheit geraten könnte, sondern dass andere sich an die Stelle setzen könnten mit Verharmlosung, mit Verdrehung der Geschichte, es sei im Grunde genommen hier eine Mär, wenn man davon spräche, dass die Stasi alles durchdrungen hätte; also ich glaube, da muss man vorbeugen, das ist eine große Erwartungshaltung, die ich habe: an die zukünftige Gestaltung der Behörde."

    "Stasi" heißt die Ausstellung zur DDR-Staatssicherheit. Am Anfang des Rundgangs, sehr eindrucksvoll, ein "Karteipaternosterschrank" mit Karteikarten, penibel nach Nummern sortiert, darauf festgehalten Unmengen von Einzelheiten aus den "operativen Maßnahmen" der Stasi. In neun Kapiteln dann: Dokumente, Fotografien, Objekte, die zeigen, wie die Staatssicherheit ins Privatleben der Bürger vordrang, ob auf der Arbeit, auf Reisen, im Fußballstadion: die Stasi war immer in der Nähe.

    In krakeliger Jugendlichenschrift die Verpflichtungserklärung eines 17-Jährigen: "Zur Wahrung der Geheimhaltung meiner Person wähle ich mir den Namen Peter Wagner." Das liest man und denkt darüber nach, was im Kopf des 17-Jährigen vorgegangen sein mag, als er sich eine neue Identität zulegte.

    Dass es auch im Westen Zuträger der Stasi gab, wird erwähnt, aber nicht vertieft. Als Beispiel aus der Trickkiste der Stasi: Wurstkonserven, umgebaut zum Behältnis für das Schmuggeln von Dokumenten über die innerdeutsche Grenze. Ausschnitte aus neun Filmen der Stasi gibt es zu sehen, Ordner mit Dokumenten aus Stasi-Akten können eingesehen werden, ein Sack mit den Schnipseln zerschredderter Stasi-Akten lässt die Mühen der Archivare erahnen.

    Man muss Zeit und innere Ruhe mitbringen, um diese Ausstellung zu würdigen, um das Perverse des Spitzelsystems der Stasi wirklich nachvollziehen zu können. Nichts für eilige Besucher. Ein "Lernort" eben, aber als solcher: beeindruckend.