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Wochenlanges Warten auf den Arzt

Deutschland und Italien haben eine Reihe ähnlicher politischer Baustellen - sei es die Wirtschaftsentwicklung, die Verschuldung des Staatshaushalts und das Gesundheitssystem. Das italienische Gesundheitswesen gilt als verschuldet, überlastet und größtenteils ineffizient. Deswegen zahlen Italiener, die ernsthaft erkranken, ihre Behandlung im Zweifel aus der eigenen Tasche, damit ihnen überhaupt geholfen wird. Kirstin Hausen berichtet.

14.06.2006
    Das Krankenhaus San Giuseppe im Mailänder Stadtzentrum. In der Notaufnahme sitzen nur wenige Menschen. Eine Gruppe älterer Frauen und ein junges Paar:

    ""Wir kommen gerade aus einem anderen Krankenhaus. Das war eine Katastrophe dort. Wir sind ohne Untersuchung wieder gegangen. Hier haben wir einen Arzt angetroffen, der sofort etwas verschrieben hat. Hoffentlich wirkt es."

    Hastig zieht der junge Mann seine Freundin zum Schalter, über dem auf einer elektronischen Anzeigetafel die Nummer 48 blinkt. Aber sie sind noch nicht dran. Der junge Mann kontrolliert die Zahl auf seinem Bon, den man sich am Eingang abreißen muss, dann setzt er sich wieder. Er wartet, um zu bezahlen. 48 Euro Selbstbeteiligung kostet ihn die Untersuchung. Wer in die Notaufnahme kommt, ohne dass es wirklich dringend ist, muss einen Teil der Kosten selbst aufbringen. Trotzdem erfreuen sich die Notaufnahmen in Italien großer Beliebtheit. Die Hoffnung vieler: Hier wird man sofort behandelt. Und auch, wenn das "Sofort" sechs Stunden Wartezeit einschließt, ist das besser, als wochenlang auf einen angemeldeten Untersuchungstermin zu warten.

    "Das ist ganz normal. Wenn es dringend ist und man rasch untersucht werden will, weil es einem schlecht geht, dann muss man das privat bezahlen. Statt drei Monate auf einen Operationstermin zu warten, kommst Du so in einer Woche dran. Das ist nichts besonderes, das wissen alle."

    Rosa Lumetti leidet an Brustkrebs. Sie wartet auf der onkologischen Station im zweiten Stock auf ein Gespräch mit dem Chefarzt. Angemeldet hat sie sich nicht über den staatlichen Gesundheitsdienst, sondern als Privatpatientin. Das geht schneller. Eine private Krankenversicherung hat Rosa Lumetti nicht. Sie wird in die eigene Tasche greifen. Resigniert schaut die Endfünfzigerin zu Boden. Ihre Tochter Angela hat sie ins Krankenhaus begleitet. Sichtlich erschüttert durch die Diagnose platzt es aus ihr heraus:

    "Die Wartezeiten sind zu lang, das ist ein Mafia-System, durch und durch korrupt. Du musst zahlen, cash, ansonsten lassen sie Dich sterben."

    Soweit kommt es allerdings nur in sehr wenigen Ausnahmen. Dann aber ist der Skandal groß. Für Schlagzeilen sorgen immer wieder Todesfälle in Sizilien, die auf fehlende Bettenkapazitäten und schlechte Organisation in den Krankenhäusern zurückgehen. Da werden Menschen stundenlang im Krankenwagen über die halbe Insel gefahren und kein Krankenhaus hat ein Bett für sie frei. Wenn sie diese Geschichten hört, freut sich Elisabetta, Dialysepatientin, dass sie in Mailand lebt.

    "Es ist doch absurd, sich so zu beschweren. In Italien sind wir noch gut dran, vor allem hier im Norden. Im Süden sieht es schon anders aus in punkto Qualität."

    Das Problem des italienischen Gesundheitssystems hat viel mit chronischem Personalmangel zu tun. Die Krankenhäuser sind überlastet, die Hausärzte auch - deshalb die langen Wartezeiten. Dass Patienten, die selbst zahlen, fast überall Vorfahrt haben, liegt daran, dass sie schneller und besser zahlen als der Staat. Aber nicht nur für Untersuchungen und Krankenhausleistungen geben die Italiener trotz des staatlichen Gesundheitsdienstes viel Geld aus.

    Ein Viertel der Medikamente, die in der Dom-Apotheke in Mailand über den Tisch gehen, werden privat gekauft, erklärt der Apotheker Daniele Zurri:

    "Medikamente gegen Erkältung, Grippe und so weiter müssen die Patienten selbst bezahlen. Da hilft auch kein Arztrezept. Der öffentliche Gesundheitsdienst bezahlt erst, wenn es sich um Antibiotika, Kortison und ähnliches handelt. Und auch dann kommt es immer darauf an, um welches Präparat es sich handelt."

    Zufrieden ist mit dem Gesundheitssystem in Italien kaum jemand, weder die Patienten noch die Ärzte noch die Politiker. Aber es zu ändern, ist schwierig, und bei all den Problemen, die Italien hat, dürfte die Prodi-Regierung das Thema derzeit eher meiden.