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Wohnen wie die Savoyer im Piemont

Machthungrig, erzkonservativ und hart gegenüber ihrem Volk sollen die Savoyer gewesen sein, seit sie Turin im 16. Jahrhundert endgültig zu ihrer Hauptstadt nach zahlreichen Kriegen machen konnten. Erst seit den letzten zehn Jahren wurde und wird die sogenannte Corona delle Delizie der Savoyer prachtvoll restauriert. Diesen "Kranz der Schlösser" in und um Turin ließen die Savoyer vor allem in der Zeit des Barock anlegen - ihrem "Goldenen Zeitalter".

Von Katrin Kühne | 03.05.2009
    "Es ist eine der schönsten und reichsten königlichen Residenzen in Europa. Der Bau dauerte zwei Jahrhunderte. - Und hier Schlossplatz - das Herz Turins!"

    Lina Brun, Verfasserin eines Buches über die berühmte Turiner Schokolade, ist immer wieder begeistert von der Piazza Castello, deren Prunkstück neben dem Schloss der wuchtige Palazzo Madama ist. Hinter der hellen Marmorfront des Palastes der Königlichen Damen verbirgt sich ein Glanzstück des berühmtesten Barock-Baumeisters von Piemont: Die Prunktreppe von Filippo Juvarra.

    Auf sein Konto gehen einige der kostbarsten Bauten der "Corona delle Delizie", wie es so elegant im Italienischen heißt. "Krone der Wonnen"! "Der Herrlichkeiten"! Ein Kranz von Lust-, Jagd- und Königsresidenzen umgibt Turin bis heute. Alle diese Anlagen liegen an breiten Alleen, die sternförmig vom Zentrum abstrahlen.

    Endlos haben Alessandra Palombo und wir uns die 12 Kilometer des Corso Francia durch den dichten Verkehr nach der kleinen Stadt Rivoli hinaus gestaut.

    Von der terrassenartigen Piazza des massigen Savoyer-Schlosses aus rotbraunem Backstein bietet sich ein weiter Blick über die dunstige Stadt hinweg bis nach Superga.

    "Ja, so wir sehen jetzt die Corso Francia, die drei wichtige Orte miteinander verbindet. Piazza Castello war nur das Herz der Stadt und Palazzo Reale die Hauptresidenz der Savoyer. Aber im späten Mittelalter wurden die Savoyer hier in diesem Schloss, in Schloss Rivoli im mittelalterlichen Gebäude geboren."

    Als Vittorio Amedeo II. zum König von Sardinien und Piemont Anfang des 18. Jahrhunderts wird, lässt er Turin im Sinne einer absolutistischen Hauptstadt à la Paris umgestalten.

    "Filippo Juvarra, der erste Hofarchitekt, wurde mit einem riesengroßen Projekt anvertraut. Und zwar er musste dieses Schloss verschönern und auf dem Berg Superga musste er eine neue Kirche bauen. Und die drei Orte, Rivoli, Palazzo Reale, Superga, sollten auf einer Achse liegen. Weil sie die drei wichtigsten Orte eines Savoyer darstellten - so Geburtsort, Macht und letzte Ruhe."

    Marmorne Säulenstümpfe und eine große Freitreppe, die ins Nichts führt, Säle ohne Dach - ging das Geld aus?

    "Ha, das ist wichtig, weil Viktor Amadeus II. nämlich Stupinigi errichten lassen wollte. Und dann mussten die Gelder so gespart werden und so blieb dieses Schloss unvollendet."

    Die Jagdresidenz Stupinigi gehört ebenfalls zur "Corona delle Delizie" wie Rivoli, das heute ein Museum für Moderne Kunst beherbergt. Die Werke der "Arte Povera" der 1960er und der "Konzept Art" bilden einen interessanten, bisweilen aggressiven Kontrast zu den barocken Räumen, die in der Zeit Juvarras mit Grotesken und Chinoiserien ausgemalt worden waren.

    Zehn Kilometer nördlich von Turin, ebenfalls an einer der großen Achsen, liegt das größte Schloss der Savoyer.

    "Wir sind hier in der Residenz Venaria Reale. Sie war die wichtigste Jagdresidenz der Savoyer und sie wurde im Jahr 1659 begonnen, auf Wunsch von Herzog Carlo Emanuele II. Man arbeitete lange hier daran. Nachdem die Residenz von den Savoyern verlassen wurde, nach der napoleonischen Zeit meine ich, geriet sie in Verfall."

    Seit rund zwei Jahren ist die Reggia wieder mit ihrem ausgedehnten Park der Öffentlichkeit zugänglich, der ebenso wie die Kapelle und die Grande Galleria heute für Events vermietet werden.

    Mit ungläubigem Staunen über den Stuck-Prunk der zentralen riesigen Sala di Diana, dem Jagdsaal, dreht der Besucher seinen Kopf immer wieder, um alle Details in sich aufzunehmen. Die großflächigen Fresken ziehen sich über drei Etagen. Lächeln macht dabei eine besonders voluminöse Fruchtbarkeitsgöttin Demeter, umspielt von dicken Baby-Faunen und kleinen Satyrn mit fetten Bocksbeinchen.

    "Jetzt befinden wir uns vor der wunderschönen neoklassischen Fassade des Schlosses von Racconigi und was sofort beeindruckend ist, ist ganz oben, wo die zwei Seitentürme sind, kann man sofort auf die verschiedenen Vasen verschiedene Nester sehen und da sind die sogenannten weißen Störchen."

    Die junge Noemi Icardi aus Turin begleitet uns nach Racconigi hinaus, südlich der Hauptstadt des Piemont schon in der Provinz Cuneo gelegen. Ort und Schloss waren seit dem 17. Jahrhundert über drei Säkula hinweg für die drei großen "S" bekannt. Sie lagen an der wichtigen Salzstraße, die von Nizza über die Alpen an den Po führte. Der Ort war im Barock Zentrum der italienischen Seidenindustrie und das Schloss hat die Weißen Störche als Wahrzeichen.

    20 Jahre nach deren Wiederansiedelung in Racconigi nistet das Symbol des Kindersegens nun wieder auf den Kaminen.

    Hier wurde 1904 der letzte König der Dynastie geboren. Umberto II. musste 1946 nach dem Volksentscheid für die Republik nach nur wenigen Monaten abdanken.

    "Carlo Alberto wird 1831 zum König von Sardinien und Piemont ernannt. Er wählt sein geliebtes Racconigi zum offiziellen Familien-Landsitz und damit beginnt die dritte und wichtigste Restaurierung des Schlosses und auch seines Parks."

    Manuela Massarengo begleitet uns durch das heutige Museumsschloss Racconigi mit seinen 300 Räumen. In den Ursprüngen aus dem 13. Jahrhundert stammend, erfuhr es mehrere barocke Veränderungen unter anderem durch Guarino Guarini. Der Baumeister Carlo Albertos war der Bologneser Pelagio Pelagi.

    Endlich ein Schloss, wie es das Herz eines romantischen Kulturreisenden begehrt! Es scheint, als wäre die königliche Familie "mal eben weg". In der Küche von damals neuestem Stand der Technik konnte man mit noch heute blitzblanken Gerätschaften für bis zu 400 Personen kochen. Auch das Badezimmer der kleinen Prinzen und die Wiege Umbertos mit der blauen Krone, die wie eine Pudelmütze darüber hängt, gilt es zu entdecken.

    Die Apartments von Carlo Alberto, dem König des Risorgimento, der großen Einigungskämpfe Italiens, bieten eine offiziös-goldstrotzende Prachtentfaltung. Wobei aber die Stile - Barock, Rokoko und der Spätklassizismus von Pelagio Pelagi sich geschmackvoll mischen.

    Pelagi schuf auch das königliche Versuchsgut "La Margaria" am oberen Ende des mit 170 Hektar für italienische Verhältnisse großen, leicht verwahrlosten Parks, in den wir nun hinausspazieren.
    Für unsere Musikfreunde:
    Giovanni Battista Viotti (1755-1824), Schlussmusik Allegro aus dem Violinkonzert Nr.19/G-Moll von 1791, ist ein waschechter Piemonteser (geb. in Fontanetto da Po). Alessandro, nicht Bruder Benedetto, Marcello (1684-1750) kommt aus Venetien/ "Musikalische Promenade" im Text: Andante aus seinem Concerto in D-Moll.

    Infos:
    Touristen-Informationen:
    www.torinopiemonte.it mit deutschem link
    www.piemontefeel.it
    www.residenzerealidelpiemonte.it
    Wenn man dort auf die einzelnen Bildchen klickt, spielen sich kleine Film-/Fotosequenzen der jeweiligen Residenz ab.

    Buchtipps:

    Sabine Hecht, "Piemont&Aostatal", Michael Müller Verlag, Erlangen 2005
    Baedeker "Piemont", 2006
    Dumont Richtig Reisen "Oberitalien", DuMont 2006