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Wohnungsmangel in Berlin
Kleingärtner gegen Investoren

Auch in Berlin ist der Druck gestiegen, Bauland zu erschließen - bis 2030 werden circa 200.000 neue Wohnungen gebraucht. Jetzt wurde das Land einer Kleingartenkolonie von einer privaten Immobilienfirma gekauft - doch die Kleingärtner wehren sich gegen das drohende Ende ihres Refugiums.

Von Anja Nehls | 07.09.2018
    Kleingartenanlage in Berlin
    Rares Gut: Berliner Kleingärtner fordern, dass ihre Gärten dauerhaft als Grünflächen und grüne Lunge für Berlin in Bebauungsplänen oder Stadtentwicklungsplänen gesichert werden (Olaf Selchow/imago)
    Die Hoffnung liegt in Pankow – zwischen einer dichtbefahrenen Straße, ein paar hässlichen Industriebauten, einem Supermarkt und einer Handvoll Einfamilienhäuser. Die Hoffnung ist 1,5 Hektar groß und duftet nach Thymian und Lavendel, Rosmarin, Lilien und reifen Äpfeln.
    "Dann haben wir Tomaten, Bohnen, Mangold, Gurken, dahinten irgendwie einen Zucchiniwald mit Bohnen", erklärt Sonja Bienemann und streichelt liebevoll über einen Kürbis in ihrem Kleingarten. "Hoffnung" ist der Name einer Laubenpieperkolonie, bestehend aus 31 Parzellen, die es – hoffentlich auch noch im kommenden Jahr geben wird, aber ganz sicher ist das nicht. Ein entsprechender Brief kam schon vor fünf Jahren, als Henry Düring und seine Frau den Pachtvertrag für ihre Parzelle gerade unterschieben hatten.
    "Ja doch, wir hatten gerade die Quitte gepflanzt, dann kam das Schreiben, man pflanz ja im Herbst solche Bäume, und ich glaube es war im Oktober, als sie uns mitgeteilt haben, dass hier gebaut werden soll."
    2020 erlischt die Schutzfrist
    Eine private Immobilienfverwaltung, die Kleingärten soweit es geht hier zu erhalten, denn sie erfüllen eine wichtige Funktion in der Stadt, eine ökologische, eine klimatische, aber auch eine soziale Funktion. Deswegen wollen wir sie möglichst weitgehend erhalten. Da, wo es vielleicht hier und da unvermeidlich sein wird, Flächen aufzugeben, sind wir bemüht und werden alles daran setzen, dass es adäquate Ersatzflächen für die Betroffenen gibt."
    Daran mag Viola Kleinau, Vorsitzende des Bezirksverbands der Pankower Kleingärtner, nicht so recht glauben. Die Zukunft von 6.000 der knapp 70.000 Parzellen in Berlin auf landeseigenen Flächen, entscheidet sich noch in diesem Jahr. Im neu aufzustellenden Stadtentwicklungsplan Wohnen wird festgelegt, welchen Bedarf es für Wohnraum in Berlin gibt, wo der realisiert werden könnte und welche Kleingärten betroffen wären.
    Fläche für Kleingärten geht immer weiter zurück
    "Das ist ein Kleingartenabwicklungsplan. Wohnungsbau ist ganz klar wichtig auch im Bezirk Pankow. Aber wir haben genug freie Flächen in Pankow, die bebaut werden können, wir können die Flächen, die bebaut werden, ressourcenschonender bebauen, nicht dass Supermärkte etliche tausend Quadratmeter für Parkplatzflächen bekommen oder ähnliches. Und wir haben doch die eine oder andere Kleingartenfläche für Luxuseinfamilienhäuser verloren."
    Seit 1925 ist die Fläche der Kleingärten in Berlin um über die Hälfte zurückgegangen. Deshalb fordern die Kleingärtner, dass ihre Gärten dauerhaft als Grünflächen und grüne Lunge für Berlin in Bebauungsplänen oder Stadtentwicklungsplänen gesichert werden – unabhängig davon, ob es sich um landeseigene oder wie bei der Kolonie Hoffnung um private Flächen handelt. Dass sie dafür auch etwas tun müssen, ist den Kleingärtnern klar. In einigen Berliner Kolonien sind die Lauben größer, als sie nach dem Bundeskleingartengesetz sein dürften, und nicht in allen Gärten wird auch wirklich Obst und Gemüse angebaut. In der Kolonie Hoffnung soll es deshalb jetzt noch grüner werden, als bisher schon, auch wenn die Zukunft ungewiss ist, sagt Henry Düring.
    "Wenn so eine Anlage 90 Jahre alt ist, dann ist hier mal was passiert, da mal was passiert, hier steht ein Schuppen rum, da ist zu viel versiegelt, und das müssen wir und wollen wir bekämpfen. Das heißt so nach dem Motto: Und wenn morgen die Welt untergeht – pflanzen wir heute noch einen Baum."
    Der Kleingarten als Refugium vor Stress und Alltag
    In der Kolonie Hoffnung gärtnern Rentner und Arbeitslose, Politiker und Handwerker, alt und jung. Auf der Warteliste stehen allein hier für 31 Parzellen über 50 Bewerber. In ganz Berlin sind es über 14.000, die auf eine Parzelle hoffen. Seit Jahren steigt die Nachfrage wieder an. Kurz nach der Wende hatte das Interesse an einer eigenen Parzelle stark abgenommen, weil besonders die Berliner aus dem Westen sich eher im Umland erholen wollten.
    Jetzt schätzen vor allem Familien ohne Auto den Vorteil des eigenen Gartens mitten in der Stadt. Bei Henry Düring und Sonja Bienemann kommen am Wochenende regelmäßig Freunde und Verwandte mit vielen Kindern in den Garten – zum Durchatmen.
    "Wenn an aus dieser Stadt rauskommt, die immer enger und immer dichter wird und immer belebter und immer verrückter, und dann macht man das Gartentor auf und dann atmet man tatsächlich durch. Es gibt einem Ruhe nach so einem stressigen Arbeitstag, kommt man hier an, es ist grün, das ist schon eine Lebensqualität, wenn das weg wäre, das wäre schlimm, ja."
    Noch ist es nicht soweit – und wenn es nach Henry Düring und Sonja Bienemann geht: Die Kolonie Hoffnung stirbt zuletzt.