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Wohnungsmarkt
Angespannte Lage durch hohe Flüchtlingszahl

Der deutsche Wohnungsmarkt ist vor allem in Ballungszentren angespannt. Durch die zunehmende Zahl von Flüchtlingen verschärft sich die Situation weiter. Mehr sozialer Wohnungsbau wird gefordert. Städte und Gemeinden reagieren: In einzelnen Fällen wurde gewerblichen und privaten Mietern schon gekündigt. Aber ist das rechtens?

Von Vivien Leue | 01.10.2015
    Mehrere Euromünzen und 500-Euro-Scheine liegen auf einem Mietvertrag.
    Können Städte und Gemeinden Mietern einfach kündigen, um Flüchtlingen Wohnraum zu bieten? (imago / Christian Ohde)
    Die Robert-Stolz-Straße in Düsseldorf ist eine ruhige Straße im Nordwesten der Stadt. Gepflegte Vorgärten säumen die 80er-Jahre-Bauten, vor ein paar Hauseingängen spielen Kinder. Das Bürogebäude der Hausnummern fünf bis neun passt sich mit seiner beigen Fassade und den dunkelbraunen Fensterrahmen nahtlos in die umliegende Baulandschaft ein. Hier hat Thomas Wicher sein Anwaltsbüro - noch, wie er sagt:
    "Jetzt Mitte August kam ein Rundschreiben an alle Mieter des Hauses, in dem es hieß das die Stadt Düsseldorf dieses Gebäude demnächst für die Unterbringung von Wohnungslosen, Flüchtlingen und Asylsuchenden nutzen werde und dass es vor diesem Hintergrund leider erforderlich sei, den Mietvertrag zu beenden."
    Wicher zeigt das Schreiben, es ist abgeheftet in einem mittlerweile daumendicken Ordner. Er und seine Büronachbarn – unter ihnen ein Architekt, ein Designer und ein Eventmanager - waren zuerst entsetzt, jetzt sind sie wütend.
    "Ich habe insbesondere darauf hingewiesen, dass wir doch sehr erstaunt wären, dass dieses Gebäude freigemacht wird zur Unterbringung von Flüchtlingen, denn bisher war mir nur bekannt aus der Presse, dass leerstehende Gebäude zur Unterbringung von Flüchtlingen genutzt werden und nicht Gebäude, die erst leer gemacht werden."
    Gewerbliche Mieter gegen Kündigung nahezu machtlos
    Zwar stehen tatsächlich schon viele Räume des Bürohauses leer, aber eben nicht alle. Wicher schreibt seinem Vermieter und bittet um Aufklärung: "Dann kommt folgender Satz hier, da heißt es: Sehen Sie darin bitte Ihren Beitrag zur Bewältigung der größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg."
    Die Zeilen in dem Schreiben seines Vermieters hat Wicher gelb markiert: "Bei dem Satz war ich doch schon einigermaßen erstaunt, was man uns hier zumuten will."
    Allerdings weiß auch Wicher, der Anwalt, dass er gegen die Kündigung machtlos ist - denn gewerbliche Mieter haben nur einen eingeschränkten Kündigungsschutz. Anders ist das bei Wohnungen. Hier gibt es hohe gesetzliche Hürden für eine Kündigung. Trotzdem hat im westfälischen Nieheim am Rande des Teutoburger Walds die Stadt jetzt mehreren Mietern gekündigt, weil sie die städtischen Wohnungen für Flüchtlinge braucht. Ob das tatsächlich rechtens ist, bezweifeln Mietrechtsexperten wie die Geschäftsführerin des Deutschen Mieterbunds NRW, Silke Gottschalk:
    "Sie haben natürlich als Vermieter die Möglichkeit wegen Eigenbedarf zu kündigen. Da haben sie aber ganz klare Voraussetzungen, unter denen das möglich ist. Also ganz wichtig ist, dass gekündigt werden kann nur zugunsten eines Berechtigten - das heißt, ich muss mit dieser Person zu einem gewissen Grad verwandt sein."
    Kündigung von privaten Mietern rechtens?
    Das sehe sie im Nieheimer Fall nicht. Daneben hat der Vermieter noch das Recht auf eine angemessene wirtschaftliche Verwertung des Objekts - aber auch das dürfte als Kündigungsgrund im Nieheimer Fall nicht ausreichen. Trotzdem: Greifen Kommunen bei der Flüchtlingsunterbringung mittlerweile häufiger zu solchen Mitteln?
    Silke Gottschalk vom Mieterbund glaubt das nicht: "Ich kann jetzt aus der Erfahrung, die wir in der Beratung gemacht haben, nicht sagen, dass es so etwas häufiger gibt. Gott sei dank, denn es ist grundsätzlich ein total verheerendes politisches Signal, was dahinter steht, was natürlich auch sozialen Unfrieden schürt."
    Vor zunehmenden Spannungen auf dem Wohnungsmarkt hat auch schon der Deutsche Städtetag gewarnt. Seinem Vizepräsidenten, dem Oberbürgermeister aus Nürnberg, Ulrich Maly, macht das Thema Sorgen:
    "In dem Augenblick, in dem die Menschen anerkannt sind, gibt es keine Verteilungsquoten mehr, sondern dann gilt die volle Freizügigkeit. Das heißt, die Menschen werden dorthin gehen, wo sie ihren Ausbildungsplatz, Studienplatz, ihre potenzielle Aussicht auf einen Arbeitsplatz finden."
    Wohnungsmangel wird sich verschärfen
    Und das werden genau die Ballungszentren sein, die auch jetzt schon beliebt sind - zum Beispiel Köln, Hamburg oder Frankfurt:
    "Das heißt, dort, wo Wohnungsmangel heute schon herrscht, wird er sich verstärken. Deshalb ist es extrem wichtig, dass die soziale Konkurrenz, den sozialen Sprengstoff, der darin läge, wenn wir die alleinerziehende Mutter, die Niedrigverdiener-Familie und die Flüchtlingsfamilie im Kampf um die letzte billige Wohnung sozusagen auf ein Objekt loslassen, dass wir diesen sozialen Sprengstoff vermeiden."
    Aber wie? Allein in NRW geht das Bauministerium davon aus, dass durch den Flüchtlingszustrom 35.000 neue Sozialwohnungen gebraucht werden - nur für dieses Jahr. Allerdings baut man die nicht über Nacht und Investoren reißen sich zurzeit nicht um geförderte Baukredite, die Zinsen sind ja ohnehin auf dem Tiefststand. Silke Gottschalk vom Mieterbund:
    "Wir haben schon seit Jahren gesagt, dass wir mehr sozialen Wohnungsbau brauchen. Das verschärft sich jetzt natürlich. Deshalb sagen wir, wir brauchen neben der Verbesserung der Förderkonditionen für den sozialen Wohnungsbau brauchen wir auch direkte Zuschüsse vom Bund und vom Land an die Kommunen. Und die Kommunen müssen dann auch ganz schnell anfangen diese Wohnungen zu bauen. Wir haben gesehen, bei den Flüchtlingsunterkünften ging das wahnsinnig schnell und wir hoffen natürlich, dass das jetzt genauso schnell geht mit den Wohnungen."
    Die Politik hat das Problem erkannt, sagt zumindest der kommunalpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag, Michael Hübner:
    "Der soziale Wohnungsmarkt ist wesentlich kleiner geworden. Viele Häuser, viele Immobilien sind ja aus sozialen Wohnungsbauprogrammen ausgelaufen, sodass sie dann halt frei auf dem Markt zur Verfügung stehen und ich glaube da haben wir in den letzten Jahrzehnten in der Politik ganz allgemein zu wenig getan, um diesen Nachlauf entsprechend zu erneuern. Es wird viel zu wenig getan dafür, es wird viel zu wenig gebaut."
    Düsseldorfer Ansatz als Vorbild
    Und wie sehen jetzt die Lösungsansätze aus? Noch einmal Hübner: "Wir wollen damit reagieren, indem wir weiterhin den sozialen Wohnungsbau forcieren wollen, bei all den Schwierigkeiten, die es dabei gibt."
    Ganz konkret sieht Hübner auch Programme wie in Düsseldorf als einen Ausweg an: In der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt werden größere Wohnungsbauprojekte nur noch vergeben, wenn auf der der Baufläche gleichzeitig auch Sozialwohnungen entstehen.
    Für Rechtsanwalt Wicher aus der Robert-Stolz-Straße kommen diese Bauvorhaben aber auf jeden Fall zu spät. Er macht sich jetzt schon auf die Suche nach neuen Büroräumen.