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Wohnungsnot
Portugal hadert mit dem Troika-Erbe

In den Ballungsräumen Porto und Lissabon steigen die Mieten und Wohnungspreise nach dem Ende der Wirtschaftskrise rasant. Die Folge: Normalverdiener flüchten aus den Innenstädten. Bezahlbarer Wohnraum wird zum kostbaren Gut. Jetzt will die Regierung gegensteuern - doch schnelle Erfolge sind unwahrscheinlich.

Von Tilo Wagner | 11.06.2019
Stadtansicht von Lissabon, der Hauptstadt von Portugal, aufgenommen am 24.06.2014. Im Hintergrund ist der Tejo, der längste Fluss der iberischen Halbinsel, zu sehen.
Teures Pflaster: Im Zentrum von Lissabon zu wohnen, ist für Normalverdiener fast unerschwinglich geworden (dpa / Tim Brakemeier)
Vor dem Ministerium für Infrastruktur und Wohnungsbau in Lissabon haben sich rund 30 Demonstranten versammelt. Lautstark fordern sie ein Recht auf eine bezahlbare Wohnung, darunter auch eine ältere Frau, die seit 45 Jahren in einem bei Touristen beliebten Wohnviertel in der Lissabonner Innenstadt lebt.
Sie sei arbeitslos, erzählt sie, und habe bisher knapp 200 Euro Miete bezahlt. Doch jetzt verlange ihre Vermieterin plötzlich 700 Euro und drohe mit der Zwangsräumung.
Der Bürgerrechtsverein "Stop Despejos" hat den Protest vor dem Ministerium organisiert. Immer mehr Wohnungen würden in Ferienapartments umgewandelt, sagt die Aktivistin Rita Silva. Doch der Tourismusboom sei nur Teil eines allgemeinen Problems:
"Neben den Ferienwohnungen gibt es noch andere Faktoren, die die Wohnungsnot in Lissabon verschärfen. Die Regierung lädt mit "Goldenen Visa" und Steuererleichterungen wohlhabende ausländische Bürger ein, hier eine Wohnung zu kaufen. Und dann gibt es noch die großen Investitionsfonds, die in den Immobilienmarkt investieren. Eine Wohnung wird deshalb immer mehr als Investitionsprojekt verstanden. Sie verliert dabei ihre soziale Funktion als ein Ort, wo die Menschen leben und ihr Zuhause finden. Und die Regierung unterstützt die Immobilienspekulation und vernachlässigt die Bürger."
Staat in der Pflicht
Die portugiesische Verfassung garantiert nicht nur das Recht auf eine angemessene Wohnung, sondern schreibt dem Staat eine Reihe von Pflichten vor: vom Bau von Sozialwohnungen bis hin zur Schaffung eines sozialverträglichen Mietsystems. Doch die Realität sieht anders aus. Portugal ist eines der Länder in der EU mit dem niedrigsten Anteil an Sozialwohnungen. Nur zwei Prozent der Immobilien befinden sich in öffentlichem Besitz.
Soziale Wohnungspolitik sah in Portugal allerdings schon mal anders aus: Früher subventionierte der Staat den Kauf von Eigentumswohnungen über Steuerentlastungen für die Bürger. Gleichzeitig existierte bis 2012 ein Mietgesetz, das eine Erhöhung der Mieten über Jahrzehnte hinweg untersagte. Die Folge: In Städten wie Lissabon oder Porto zerbröckelten die Altbauten, weil die Besitzer zu wenig in Instandhaltung investierten.
Das Mietgesetz wurde während der Staatsschuldenkrise auch auf Druck der internationalen Geldgeber liberalisiert. Die sozialistische Parlamentsabgeordnete Helena Roseta, die sich seit mehr als 40 Jahren mit Wohnungsbaupolitik in Portugal beschäftigt, hat nun eine Reform des Rahmen-Mietgesetzes auf den Weg gebracht. Es soll Ende dieser Woche im Parlament verabschiedet werden:
"Das Recht auf eine Wohnung steht zwar in der Verfassung, aber kein Bürger konnte dieses Recht wirklich vor einem Gericht einklagen. Deshalb brauchen wir das neue Rahmengesetz. Um die Rechte der Bürger zu stärken, und um ganz genau festzulegen, was der Staat tun muss und welche Instrumente er dafür nutzen kann. Unser Wohnungsbaubudget beträgt zurzeit 200 Millionen Euro; fürs Gesundheitswesen geben wir 10 Milliarden aus. Das steht in keinem Verhältnis. Mit dem Gesetz verpflichten wir alle zukünftigen Regierungen, eine Wohnungsbaupolitik zu betreiben, die öffentlich ist und die das Parlament kontrollieren kann."
Steuerentlastung als Geschenk für Vermieter
Mit konkreten Vorschlägen hält sich das neue Rahmen-Mietgesetz zurück. Die Regierung hat jedoch parallel dazu ein Programm für Bürger mit mittleren Einkommen geschaffen: Vermieter, die ihre Wohnungen rund 20 Prozent unterhalb des letzten Mietpreises anbieten, müssen keine Einkommensteuer auf die Mieteinnahmen bezahlen.
Den kleineren Linksparteien gingen die Vorschläge nicht weit genug. Sie forderten auch die Einstellung von Programmen wie das "Goldene Visum", um die Immobilienspekulation zu stoppen. Dem neuen Rahmen-Mietgesetz werden die Parteien sehr wahrscheinlich dennoch die nötige Mehrheit geben.