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Wohnungsnotstand
Enteignungsdebatte polarisiert die Bundespolitik

Die Unterschriftensammlung für ein Volksbegehren hat eine Debatte über die Enteignung von Wohnungsgesellschaften entfacht. Grünen-Chef Robert Habeck kann sich eine solche Maßnahme "notfalls" vorstellen und erntet dafür Kritik. Aus den eigenen Reihen heißt es: Enteignungen allein helfen nicht gegen steigende Mieten.

Von Nadine Lindner | 07.04.2019
Protestplakate gegen Deutsche Wohnen und Passanten in der Karl-Marx-Allee in Berlin.
Plakate in Berlin fordern die Enteignung der Wohnungsbaugesellschaft "Wohnen & Co." (imago/Emmanuele Contini)
Die Enteignungsdebatte in Berlin, zehntausende Demonstranten in ganz Deutschland auf der Straße - das Thema Mieten und Wohnen bewegt viele. Es ist also Zeit sich zu positionieren, finden mehr und mehr Bundespolitiker.
Grüne wollen Gesamtpaket vorlegen
Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck fand auf die die Frage, ob Enteignung eine gute Idee ist, die Antwort: "Ja, aber nicht so schnell". Das sagte er im Interview mit der "Welt am Sonntag". Enteignungen seien grundsätzlich denkbar, das Grundgesetz sehe das vor. Das solle aber erst geschehen, wenn alle anderen Maßnahmen nicht funktioniert hätten. Zuerst müsse man gegen Bodenspekulation vorgehen.
Der Berliner Landesverband der Grünen ringt noch mit sich um eine Position. Landesvorsitzende Nina Stahr im RBB: "Allein Wohnungen zu enteignen, das wäre gelogen, wenn man sagen würde, das rettet jetzt die Situation in der Stadt. Uns geht es darum, ein wirkliches Maßnahmenbündel vorzulegen. Wir machen da schon viel mit Milieu-Schutz, Vorkaufsrecht und so weiter. Die Bundesebene muss mitziehen. Und da wollen wir ein Gesamtpaket vorlegen und damit in den Austausch gehen."
Linke wollen sogar Beschlagnahmungen
Das Thema ist unbequem für die Grünen. Aber sie müssen sich positionieren, sind sie doch - laut neuesten Umfragen - die stärkste Partei in Berlin mit 25 Prozent. Derzeit regiert in der Hauptstadt Rot-Rot-Grün.
Die Linke zeigt sich geschlossen: Die Berliner Bausenatorin Katrin Lompscher sprach sich für das Volksbegehren für Enteignungen aus. Rückendeckung erhielt sie von Parteichefin Katja Kipping. Sie kann sich nicht nur Enteignungen von Immobilienkonzernen vorstellen, sondern sogar Beschlagnahmungen, so Kipping laut AFP auf einer Parteisitzung in Berlin.
Scharfe Kritik von CDU/CSU, FPD und AfD
Die SPD hingegen lehnt Enteignungen ab. Das schaffe keine neuen Wohnungen. Helfen soll stattdessen ein Mietenstopp für die nächsten fünf Jahre, sagte Parteichefin Andrea Nahles der "Bild am Sonntag". Allerdings spricht die SPD-Chefin da wohl nicht für alle. SPD-Vize Ralf Stegner wollte Enteignungen als letztes Mitteln nicht ausschließen.
Scharfe Kritik an den Enteignungsplänen kam von CSU-Chef Markus Söder: "Enteignungen sind nun wirklich sozialistische Ideen und haben mit bürgerlicher Politik nichts zu tun", sagte Söder dem "Münchner Merkur". Gegen Enteignungen hatte sich bereits CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ausgesprochen.
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel erklärte am Sonntag mit Bezug auf das Habeck-Interview, offenbar seien die Grünen "gerade auf dem Weg von der Verbotspartei in den Betonkommunismus". FDP-Chef Christian Lindner kritisierte die Initiatoren des Volksbegehrens, die das Thema Wohnen "für uralte und auch schon gescheiterte sozialistische Experimente" missbrauchen wollten.
Rechtliche Grundlage für Enteignungen sind strittig
Ob Enteignungen rechtlich möglich sind, dazu gibt es unterschiedliche Bewertungen. Nein, sagte Helge Sodann im Deutschlandfunk, Professor für Verwaltungsrecht an der FU Berlin:
"Ja, es ist verfassungswidrig, es verstößt gegen einmal gegen die Bundesverfassung. Es ist ja ein fundamentaler Eingriff und der muss auch gerechtfertigt werden, das sehe ich schon auf der Bundesebene nicht. Aber in Berlin erst recht nicht. Weil ihr keine Eingriffsermächtigung im Hinblick auf eine Sozialisierung gegeben ist."
Zurückhaltender äußerte sich Ulrich Ropertz, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes, ebenfalls im Deutschlandfunk: "Wir sehen voller Interesse, dass es diese Initiative gibt und wir können auch nachvollziehen, warum es diese Initiative gibt. Allerdings gibt es auch einen Haufen rechtlicher Probleme."
Unterdessen wurde bekannt, dass die Bundesregierung im nächsten Jahr das Wohngeld erhöhen will. Der staatliche Mietzuschuss soll dann alle zwei Jahre überprüft und angepasst werden.