Dienstag, 19. März 2024

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Wolfgang-Schulz-Ausstellung
Die Neuordnung der Fotografie

Liebe, Landschaft, Subkultur: So lauteten die Titel der Zeitschrift "Fotografie". Gegründet hat sie Wolfgang Schulz in den 1980er Jahren. Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe stellt nun die häufig sehr provokanten Arbeiten von Schulz vor und erinnert an die wegweisende Zeitschrift.

Von Carsten Probst | 16.06.2019
Eine Frau steht am 12.08.2013 in der Ausstellung «Wilhelm Schürmann. Bilder aus Deutschland» im Sprengel Museum in Hannover (Niedersachsen) vor den Fotografien "Eigelstein, 1989" (l-r), "Toyota, Köln, 1990" und "Köln, 1988" von Wilhelm Schürmann.
Als die Fotografie zur Kunst wurde: Fotografen wollten in den 1970er und 80er Jahren hinaus aus der journalistischen Ecke (dpa / Sebastian Kahnert)
Nüchterne Dokumentarfotografie war die Sache von Wolfgang Schulz offenkundig nicht. In den späten sechziger Jahren hatte er zum Beispiel die Hippiebewegung mit herausragenden Farbfotografien begleitet, die ihre Präzision nicht aus kühler Distanznahme gewinnen, sondern vor Lebensgefühl nur so sprühen. Vom unbändigen Drang, sich fotografisch immer neu auszuprobieren, zeugen auch seine vor einigen Jahren eher zufällig wieder aufgefundenen Schwarzweiß-Aufnahmen, die jetzt in der Hamburger Ausstellung zu sehen sind – wie auch sein Projekt der Zeitschrift "Fotografie", mit der Schulz erstmalig der Foto-Kunst ein publikumswirksames Forum in Deutschland geben wollte.
"Also, sagen wir es offen, da spielten auch Drogen und Sex, Drugs and Rock'n'Roll eine Rolle. Mit seiner Zeitschrift wollte er schon auf jeden Fall Kunst betreiben und aber auch auffallen, bisschen provozieren."
Sagt Reinhard Matz, selbst Fotograf und Kollege von Wolfgang Schulz. Er hat maßgeblich zur Wiederentdeckung von Zeitschrift und Schwarzweiß-Aufnahmen Schulzes beigetragen und die Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe mit Esther Ruelfs, Steffen Siegel und Bernhard Stiegler kuratiert.
Abseitige Themen und breite Wirkung
Anders als dem seinerzeit bereits einflussreichen Berliner Fotografen Michael Schmidt und seiner "Werkstatt für Fotografie" ging es Wolfgang Schulz mit seiner Zeitschrift ganz klar um Breitenwirkung. Die Titel greifen oft Themen des damaligen Lebensgefühls zusammen mit einem Interesse für das Nicht-Etablierte und scheinbar Abseitige auf: Körperinszenierung, Erotik – mit meist weiblichen Aktmodellen –, junge Liebe, Natur und Landschaft, Subkultur oder Street Photography.
"Im deutschen Rahmen, auch für die deutsche Fotoszene, die sich damals entwickelte, war das das richtige Blatt zur richtigen Zeit."
Fotografie wird zur Kunst
Die documenta von 1977, auf der erstmals Fotografie und Film als künstlerische Medien breit vorgestellt wurden, hatte wohl den Anstoß zur Gründung der Zeitschrift gegeben: Fotografie sollte aus der journalistischen Ecke, in der man sie in Deutschland bis dahin sah, herausgeholt werden. Fotografinnen und Fotografen, die Wolfgang Schulz vorstellte, sind nun in der Ausstellung mit Exponaten aus dem Bestand des Museums für Kunst und Gewerbe vertreten, darunter Hans Christian Adam, Dörte Eißfeldt, André Gelpke, Heinrich Riebesehl, Wilhelm Schürmann oder Petra Wittmar. Besonders eindrucksvoll, wenn auch nicht ganz jugendfrei, ist Miron Zownirs umfassende Fotoserie über die SM, Queer- und Transsexuellenszene in New York von 1983. Angela Neukes Bericht von der Beerdigung der RAF-Mitglieder Baader, Ensslin und Raspe war damals wohl auch nicht unumstritten. Aber wodurch wurde Fotografie damals zur Kunst? Was waren die Kriterien, die die Zeitschrift dafür einführte? Reinhard Matz:
"Ja, ich karikiere das manchmal auch so ein bisschen dahingehend: Es kommt drauf an, wo man seine Bilder zeigt. Oder wo man ausgebildet wurde. Wenn man an der Kunstakademie ausgebildet wurde und dokumentarische Fotografie betreibt, dann ist das Kunst. Aber wenn man an der Fachhochschule war und in 'ner Fotogalerie ausstellt, dann ist das vielleicht Autorenfotografie. Ja, da gibt es ganz feine Unterschiede, die meinerseits nicht alle berechtigt sind."
Die Hamburger Ausstellung gewährt nicht nur Einblicke in wichtige fotografische Karrieren der achtziger Jahre, die heute teilweise vergessen sind. Sie zeigt vor allem: Die Geburt der Fotografie als Kunst erfolgte in Westdeutschland aus dem Geist der Antikultur. Auch das aus heutiger Sicht fast vergessen.