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Workshops gegen Extremismus
Schüler vor Radikalisierung bewahren

Nach Schätzungen von Sicherheitsbehörden kommen etwa 500 IS-Terroristen ursprünglich aus Deutschland - und die Angst vor Anschlägen durch Rückkehrer wächst. Doch wie kann die islamistische Radikalisierung von jungen Menschen verhindert werden? In Berlin versuchen Schulen und Beratungsstellen, Aufklärung zu leisten.

Von Kemal Hür | 17.10.2014
    Der salafistische Prediger Pierre Vogel betet am 19.07.2014 in Hamburg auf einer Kundgebung mit rund 300 Anhängern auf dem Hachmannplatz.
    Radikale Muslime wie der salafistische Prediger Pierre Vogel bieten Jugendlichen ein Weltbild mit klaren Regeln, das in Gut und Böse aufgeteilt ist. Und sie sprechen die Jugendlichen gezielt in sozialen Netzwerken an. (picture-alliance / dpa / Markus Scholz)
    "Der hat jetzt beschlossen, nach Syrien zu reisen. Seine Mutter war dagegen. Ich bin auf Facebook mit ihm befreundet und sehe auch viele Beiträge, die eigentlich gegen den Islam sprechen und dann für den Islam, dann gegen den Islam. Also man merkt schon, er weiß nicht, was er will, aber Hauptsache nach Syrien reisen und dann für sowas kämpfen, für so eine sinnlose IS."
    Der 18-jährige Ali erzählt von einem Bekannten, der nach der Schule keinen Ausbildungsplatz bekommen hat und arbeitslos ist. Ali selbst besucht die 12. Klasse einer Schule in Berlin-Kreuzberg und macht im Sommer Abitur. Das Thema Extremismus wird an seiner Schule intensiv behandelt. Regelmäßig werden in den Klassen Workshops angeboten, um gemeinsam mit den Schülern an den Themen Salafismus, Dschihad und Antisemitismus zu arbeiten.
    "Weiteres Thema: antimuslimischer Rassismus."
    Aycan Demirel, Leiter der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus.
    "Antimuslimischer Rassismus: Nährboden für islamistische Radikalisierung"
    "Für uns ist das eines der zentralen Themen, das Nährboden für islamistische Radikalisierung anbietet. Eine Auseinandersetzung zu diesem Themenfeld anzubieten – ausgehend zum Beispiel von Moscheebauten in Deutschland."
    Aycan Demirel und sein Team von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus informieren Lehrer und Schüler in Workshops über Extremismus. Gerade im Schulalter seien Jugendliche mit der eigenen Identität beschäftigt. Sie suchten Antworten auf Fragen wie: Bin ich Deutscher oder Muslim? Wie kann ich beides verbinden? Warum soll ich mich immer wieder von radikalen Muslimen distanzieren?
    Darauf haben radikale Muslime wie die Salafisten eine vermeintlich einfache Antwort. Sie bieten ein Weltbild mit klaren Regeln, das in Gut und Böse aufgeteilt ist. Und sie sprechen die Jugendlichen gezielt in sozialen Netzwerken an, sagt Aycan Demirel:
    "Daher ist es wichtig, eine Medienkompetenz zu erarbeiten, sie darin zu schulen, dass sie Werkzeuge, Kompetenzen erwerben, guten Journalismus zu erkennen und kritisch Medienbeiträge aufzufassen."
    Die Präventionsarbeit der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, kurz KIgA, wurde drei Jahre lang vom Familienministerium finanziert. Die Schulen und die KIgA wollen die Zusammenarbeit fortführen, aber die Förderung läuft Ende dieses Jahres aus. Eine Weiterfinanzierung ist nicht gesichert.
    Eltern, Lehrer und Jugendliche besser informieren
    Auch in der Neuköllner Şehitlik-Moschee fehlt Geld für Präventionsarbeit, sagt Pınar Çetin, die ehrenamtlich mit Jugendlichen arbeitet. Seit Jahren arbeitet die Moschee mit verschiedenen Kooperationspartnern, wie Schulen und Polizei zusammen, um Jugendlichen zu helfen, die in den Extremismus abzudriften drohen:
    "Oft sind wir diejenigen, die mit Argumenten diese Jugendlichen sozusagen von ihrem Standpunkt wegbringen können. Aber wir sind nicht diejenigen, die feststellen, wo sie sind und wo wir sie finden, weil zu uns kommen sie nicht mit diesen Einstellungen oder nur sehr selten. Also es geht nicht nur um radikalisierte Jugendliche, sondern auch um Angehörige, Freunde und Bekannte, die ja auch diese erreichen können, also um Multiplikatoren. Und über die können wir dann eventuell an diese Jugendlichen rankommen."
    Nach jahrelanger ehrenamtlicher Arbeit hat die Moschee jetzt erstmals vom Neuköllner Bezirksamt Geld für ein Präventionsprojekt bekommen. Bereits in den kommenden Wochen sollen Experten auf einer ersten Fachtagung Eltern, Lehrer und Jugendliche über islamistische Radikalisierung und Präventionswege informieren.
    Claudia Dantschke arbeitet seit zwei Jahren mit Eltern, deren Kinder entweder in den radikalen Islam abrutschen können oder bereits in den sogenannten Heiligen Krieg gezogen sind. Dantschke leitet die Beratungsstelle HAYAT bei der Gesellschaft für Demokratische Kultur. Bislang haben sich gut 100 Familien hilfesuchend an sie gewendet. In elf Fällen konnten Jugendliche vor einer Radikalisierung bewahrt werden. In 20 Fällen besteht akute Gefahr. Die Beratungsstelle arbeitet mit Eltern und schult sie im Kontakt mit ihren Kindern. Claudia Dantschke:
    "Die Eltern sollen versuchen, eine Kommunikation herzustellen mit ihrem Kind, wo sie zuhören und nicht sofort als Autorität alles werten oder abwerten. Und zumindest signalisieren: Du interessierst uns, es liegt uns was an dir, also Signalisierung von Liebe, von Zuhören und von Vertrauen."