Donnerstag, 18. April 2024

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Fotograf Seamus Murphy
Worte und Bilder sammeln

Die Musikerin PJ Harvey war mit dem irischen Fotografen und Regisseur Seamus Murphy im Kosovo, in Afghanistan und Washington D.C.. Ergebnis der Reise ist ein Foto-Gedichtband, das Album “The Hope Six Demolition Project” und der Film "A Dog Called Money". "PJ reist sonst anders", sagte Murphy im Dlf.

Seamus Murphy im Corsogespräch mit Sigrid Fischer | 14.11.2019
PJ Harvey as featured in Seamus Murphy's film "A Dog Called Money". His feature documentary on their collaboration traces the sources of the songs that were inspired by their travels, and tells stories of the some of the people and places they encounted along the way.
PJ Harvey in Afghanistan: Szene aus der Doku „A Dog Called Money“ (© Seamus Murphy)
Sigrid Fischer: Seamus Murphy, Sie waren als Fotoreporter ja schon oft an den Orten, die Sie mit PJ Harvey für das Projekt zusammen bereist haben. Konnte sie mit ihrem Blick eine neue Sicht für Sie eröffnen?
Seamus Murphy: Ja, nicht direkt vor Ort, aber hinterher, als ich ihre Texte und Zeichnungen gesehen habe. Zum Beispiel, als wir bei den Sufis in Afghanistan waren, die in der Moschee singen. Ich stand mittendrin und war damit beschäftigt, eine gute Tonaufnahme von ihrem Gesang hinzukriegen. Polly aber saß etwas abseits. Sie hat dazu eine Art Spirale gezeichnet, die sich nach unten dreht und über Männer geschrieben, die sich in die Erde buddeln und versuchen, zum Zentrum der Erde vorzustoßen. Ein tolles Bild! Diesen anderen Blickwinkel habe ich durch die Reise mit Polly kennen gelernt. Und den hat sie auch an die Orte gebracht.
Afghanistan – das ist nicht nur Waffen und Terroristen, man sieht durch sie ein anderes Land. Und dann geht sie mit ihrem Song nach London ins Studio, da sind all diese tollen Musiker, die auch wieder etwas dazu beitragen, ohne zwangläufig zu wissen, woher das Material ursprünglich kommt. Und das alles, auch die unterschiedlichen Kulturen, fließen am Ende in den Song ein. Das gefällt mir.
PJ Harvey as featured in Seamus Murphy's film   "A Dog Called Money". His feature documentary on their collaboration traces the sources of the songs that were inspired by their travels, and tells stories of the some of the people and places they encounted along the way.
Szene aus "A Dog Called Money" (Seamus Murphy)
Fischer: Wie haben Sie PJ Harvey als Frau denn in die Moschee gebracht?
Murphy: Die Sufis praktizieren die vielleicht toleranteste Form des Islam. Sie hatten keine Einwände, und Polly war sehr respektvoll. Das ist ja wichtig, wie man sich präsentiert. Sie ist sehr höflich. Es war sehr unkompliziert, mit ihr zu reisen. Das hätte ja auch anders sein können, sie hätte auch sagen können: "Da geh‘ ich auf keinen Fall hin!" Aber es lief gut, sie hat so viel von dieser Reise mitgenommen. Normalerweise reist sie ja anders. Seit sie 21 is,t hat sie ein Management, das alles für sie organisiert. Hier hat sie sich sehr frei gefühlt, sie meinte, es sei die beste aller Reisen gewesen.
"Afghanen werden gerne fotografiert"
Fischer: Sie haben auch Washington D.C. als Ort für diese Reise gewählt. Man ist überrascht zu sehen, wie viel Armut es da gibt.
Murphy: D.C. ist das Machtzentrum des Westens in der Welt, da entscheiden sie zum Beispiel über Afghanistan. Und fünf U-Bahnstationen vom Weißen Haus entfernt ist man in einer der ärmsten Gegenden – nicht der Welt, aber Amerikas. Da herrschen weitaus schlimmere Zustände als fast überall in Europa. Die meisten Menschen in D.C. sind schwarz. Man geht ja meist nur zum Monument, zum Weißen Haus, nach Capitol Hill, da sieht man überall fast nur Weiße. Aber es gibt dort noch ein ganz anderes Leben, davon hört man fast nichts. Wir haben 2014 ein paar Jugendliche kennen gelernt, Polly hat über sie ein Lied geschrieben, auf der anderen Seite des Flusses war gerade das Trump-Ding im Gange. Im Film sieht man es nicht, aber sie haben "Fuck you, Trump!" gerufen.
Fischer: Diese Jugendlichen flirten regelrecht mit Ihrer Kamera, Seamus Murphy. Passiert Ihnen das öfter?
Murphy: Ja, Afghanen sind zum Beispiel ganz große Flirter, denn sie sehen gut aus und sind sehr eitel, sie werden gerne fotografiert. Der Trick ist dann, sie zu fotografieren, wenn sie es nicht merken. Die rappenden Jugendlichen in D.C. haben das alles von sich aus gemacht, spontan, ich habe sie nicht gedrängt, sie rufen ihre Instagram-Namen und Hashtags, eine junge Frau geht da so her und spricht über alle Familienmitglieder, die umgebracht wurden. Das haben die ganz von alleine gemacht, sie hatten die Kontrolle.
"Es könnte Unruhen geben"
Fischer: Aus dieser Reise in den Kosovo, nach Afghanistan, in die Armenviertel von Washington sind am Ende sehr schöne Dinge entstanden: ein Foto-Gedichtband, Songs für das Album "The Hope Six Demolition Project" von PJ Harvey und letztlich dieser Film "A Dog Called Money". Inwieweit birgt so ein künstlerisches Projekt auch die Gefahr in sich, Not und Elend für das Kunstprodukt auszubeuten?
Murphy: Ich fände es schlimm, nicht an diese Orte zu gehen, aus Angst, dass man für einen Ausbeuter gehalten wird. Denn wenn man sich für die Welt interessiert, muss man über die eigene Türschwelle hinaus gehen. Ich habe manchmal sogar mein Leben riskiert, um von dort zu berichten. Und PJ hat sich für diese Länder interessiert. Ich finde es gut, wenn man eine andere Sicht auf diese Orte mitbringen kann - nicht nur Schlagzeilen, Krieg, Terrorismus.
Das Corsogespräch mit Seamus Murphy – hören Sie hier in Langfassung und englischer Originalversion
Man sieht in Afghanistan einen Typen, der in seinem Laden Musik macht und uns willkommen heißt. Das ist sehr wichtig, das hat nichts mit ausbeuten zu tun. Für uns war die Reise interessant, das Ergebnis trägt hoffentlich zu mehr Verständnis bei, zum Beispiel für Afghanen, die an unsere Grenzen klopfen, weil sie vor etwas Schrecklichem geflohen sind. Dann sieht man sie vielleicht als Menschen und nicht als Masse, die herkommt und einem den Job wegnimmt. Oder uns alle in die Luft sprengt. Denn das sind nicht die, die ich kennen gelernt habe. Aber ich verstehe schon, die Frage ist absolut berechtigt.
Fischer: Seamus Murphy, Sie leben in London, viele Künstler haben gesagt, sie wollen Großbritannien verlassen, wenn der Brexit kommt. Sind Sie einer davon?
Portrait von Seamus Murphy 
Der Fotograf Seamus Murphy (imago stock&people / 55444162)
Murphy: Ich habe nicht vor zu gehen, zur Zeit fotografiere ich den Brexit, ich mache brexitbasierte Stills. Ich bleibe also erstmal. Wenn dann alle abhauen und die Waffen rausholen, wird es vielleicht heikel, dann verläuft die Frontlinie vielleicht direkt an meiner Tür vorbei. Dann gibt es Krieg. Wenn ein zweites Referendum kommt, was ich richtig fände, und wir Europa nicht verlassen. Ich habe schon Sorge vor dem, was passiert. Nicht Krieg, aber es könnte Unruhen geben.
Ich glaube nicht, dass die liberale Elite, wie man die "Remainer" nennt, dass die auf die Straße gehen und gewalttätig wird. Obwohl, auch das könnte passieren. Je nachdem. Die ganze Versorgungsfrage - Import/Export - ist ja nicht geregelt. Es wird also noch viel Stress und Probleme geben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.