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Worthülsen und Kaffeesatzleserei

Aus Berlin gibt es zurzeit nicht viel zu berichten. Es wird sondiert. Die Journalisten üben sich seit Wochen in Kaffeesatzleserei. Phrasen wie, "dem Vernehmen nach" haben Hochkonjunktur. Markt und Medien präsentiert die schönsten Worthülsen des Sondierungsjournalismus.

Von Klaus Deuse | 12.10.2013
    "Sondierungsgespräche führen zu Koalitionsverhandlungen – oder auch nicht."

    Was für eine bahnbrechende Erkenntnis, die CSU-Generalsekretär Dobrindt - bei vollem Bewusstsein - schon vor zig Tagen vor Kameras und Mikrofonen vom Stapel gelassen hat. Ja, man könnte den CSU-Mann durchaus als Inspirator und zugleich Geburtshelfer einer neuen Gattung der Berichterstattung bezeichnen. Nämlich des deutschen Sondierungsjournalismus.

    Also wird akribisch nachgezählt, wie viel Mitglieder die jeweilige Partei zum Sondieren schickt, wann sich die Verhandlungsdelegationen in Marsch setzen, wer wem die Hand schüttelt und munter spekuliert, worüber danach gesprochen worden sein könnte. Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen für die intensive Berichterstattung.

    "Nach drei Stunden ging man am Abend auseinander. Ohne konkrete Ergebnisse."

    Angesichts solch eskalierender Sondierungssituationen fragen sich inzwischen selbst hartgesottene Nachrichtenprofis besorgt:

    "Wie sinnvoll sind solche Veranstaltungen. Da saßen sich drei Stunden Menschen gegenüber, die sich seit Jahren, ja seit Jahrzehnten kennen."

    Nur wenn diese Menschen, also sondierende Politiker, nichts sagen, dann muss der gewiefte Sondierungsjournalist eben die Inszenierungs-Signale der Verhandlungspartner zu interpretieren wissen.

    "Bei der Union werden zum gleichen Zeitpunkt die Fahrstühle angehalten. Bloß warten, bis die SPD um die Ecke gebogen ist, bloß Abstand halten und sich selbst als Kuscheltruppe verkaufen. Volker Kauder gibt den Liftboy: Mensch komm Gerda, da ist doch noch Platz."

    Und die Gerda Hasselfeld von der CSU quetscht sich tatsächlich in den Aufzug. Die unglaubliche Top-Nachricht des Tages lautet also: zwischen CDU und CSU passt keine Briefmarke. Was der Volker, die Gerda, und natürlich die Angela, dann mit der zahlenmäßig unterlegenen SPD verhackstückt haben, darüber erfährt man allerdings keine Silbe.

    Und wenn schon kein Polit-Akteur was sagt, dann bedient sich der gewiefte Sondierungsjournalist notgedrungen des raffinierten Mittels der mimischen Recherche:

    "Große Vorbehalte gab es schon im Vorfeld bei der CSU. Zumindest war das Grinsen in den bayerischen Gesichtern zu Beginn der schwarz-grünen Sondierungen mehr als deutlich."

    Hin und wieder verlieren bei diesem politischen Eiertanz aber auch geduldigste Medienvertreter die Contenance und fragen mal ganz direkt:

    "Ist das reine Zeitverschwendung – oder was? Nein, das ist keine Zeitverschwendung."

    Natürlich nicht. Jedenfalls nicht für die sondierenden Parteien. Und auch nicht für die Sondierungsjournalisten, die immer und immer wieder Formulierungs-Höchstleistungen abliefern.

    "Das Gesprächsklima war gut. Damit war nicht unbedingt zu rechnen. Aber das passt in die Logik der politischen Abläufe."

    Was ist denn das für eine sondierungsjournalistische Logik? Soll das etwa heißen, dass die Hauptnachricht des Tages in den kommenden Monaten lautet:

    "Im Berliner Koalitionstheater ist heute inhaltlich nicht so viel passiert."

    Aber Sondierungsjournalisten bleiben Gottseidank knallhart am Ball.

    "Bilder der Sondierung gibt es keine. Aber die Speisenkarte dringt heraus: Kartoffelsuppe und Pflaumenkuchen."