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Wortneuschöpfungen 2018
"Zoodles" und "Bingewatching"

Welche Wortneuschöpfungen sind es wert, ins Neologismenwörterbuch aufgenommen zu werden? Über 2000 Einträge verfügt das Handbuch des Instituts für Deutsche Sprache schon. Jetzt gibt es neue - etwas mehr als nur "Freundschaft plus" ist auch dabei.

Von Michael Ebmeyer | 20.12.2018
    Bowl mit Zoodles und Avocado-Basilikum-Pesto
    Bowl mit Zoodles (imago / Westend61)
    Deutschland im Dezember 2018. Irgendwo zwischen Filterblase, Candystorm und Welterschöpfungstag liegt die Stadt Mannheim. Und während überall sonstwo in der Republik die Menschen noch hohldrehen und herumstressen - sei es wegen Weihnachten, sei es wegen der neuen Spiegel-Affäre oder sei es wegen der dunklen Wolken über Helene Silbereisen und Florian Fischer - während all dessen lehnt man sich in Mannheim bereits zurück und zieht Bilanz. Über das ablaufende Jahr und über das auch allmählich ablaufende Jahrzehnt.
    Also das Jahrzehnt von Clickbaiting und Clean Eating, von Crowdfunding und Cybergrooming, von Twerking und Co-working. Ein ziemlich bestes Jahrzehnt, zumindest was die Ausbeute an neuen Wörtern betrifft. Diese legt uns nämlich das Institut für Deutsche Sprache mit Sitz in Mannheim jetzt unter den Baum, und das nenne ich nice.
    Das Duckface im Darknet, das Emoji im Escaperoom, das Fatbike im Flugmodus, die Paketdrohne hinter der Paywall und ja, auch den Flexitarier mit dem Fitnessarmband und die Gruselclowns von der GroKo - sie alle, kaum mehr wegzudenken aus unserem Leben, hat es vor Beginn der Zehnerjahre ebenso wenig gegeben wie Influencer und Superfood.
    Juwelen wie die "Pushnachricht" und die "Doodleliste"
    Zweihunderteinundzwanzig - so die Anzahl der Einträge, um die das Neologismenwörterbuch des Instituts für Deutsche Sprache seit 2010 gewachsen ist. Auf den ersten Blick mag das eher kümmerlich aussehen, zumal es die Nullerjahre noch auf 725 und die Neunziger sogar auf 1028 Neueinträge brachten.
    Aber waren da Juwelen wie Hipsterbart und Pushnachricht und Doodleliste und Freistoßspray dabei? Oder solche Tacheles-Knaller wie Shitstorm und Reichweitenangst und Freundschaft plus? Eben nicht. Und derart erlesene Neuschöpfungen sind eben mit mehr Aufwand verbunden, die müssen in Ruhe entwickelt werden, die lassen sich nicht so en gros raushauen.
    Die Zehner sind übrigens auch die erste Dekade der Welt, die aus dem Namen einer Bundeskanzlerin oder eines Bundeskanzlers ein gebräuchliches Verb gemacht hat: merkeln. Da konnte der Gerhard zuvor schrödern, so laut er wollte, und an den Stäben unserer Wortschatzkammern rütteln – so weit hat er es nicht gebracht.
    Außerdem müssen wir den Zehnerjahren beim Nachzählen doch zugute halten, dass in ihnen nicht nur neue Wörter erfunden, sondern auch ganz alte Wörter erfolgreich wiederbelebt wurden. Von Lügenpresse zum Beispiel oder von Volksverrätern hatte man siebzig Jahre lang nicht gehört.
    51 Neuwörter aus 2018
    Überhaupt, der modische Mimimi-Faschismus, wie er die Sprache bereichert! Ohne ihn und all die Hater, die ihn unentwegt liken, wären wir ja nie im postfaktischen Zeitalter angekommen. Jetzt kann jeder »Fake News!« brüllen, sobald ihm etwas nicht in den Kram passt. Nach diesem Prinzip werden ja mittlerweile ganze Staaten regiert, ganze Weltmächte - und wem das nicht passt oder wer gar befürchtet, dass derlei den ganzen Planeten zerstören wird, der kann ja abzwitschern, der kann ja auswandern auf das Gendersternchen. Oder?
    Wie auch immer: Ein Hoch auf 2018! Denn von den erwähnten Neuwörtern dieses Jahrzehnts stammen allein 51 aus dem gerade ablaufenden Jahr. Ich finde, das lohnt es sich zu retweeten. Darauf ein Craftbeer oder einen Cold Brew.