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Wortreiche Krönungsmesse für Steinbrück

Der Altkanzler bringt seinen Wunschkandidaten in Stellung. In den vergangenen Wochen traten Steinbrück und Schmidt gleich mehrfach in den Medien auf. Nun fasst dieser Band ihre gemeinsamen Gespräche über die Weltläufte zusammen.

Von Peter Kapern | 31.10.2011
    Jesus von Nazareth fehlt. Und Bob Dylan auch. Ansonsten aber zeigt das Namensregister des Buchs keine wesentlichen Lücken. Nebukadnezar der II. und Uwe Seeler finden sich da, Laotse, Talleyrand, Sir Karl Popper und sogar Jürgen Möllemann. Fast sechs Seiten lang ist die Liste der Personen aus zweieinhalb Tausend Jahren Geschichte, die Schmidt und Steinbrück in ihrem Gesprächsband durchmessen. Allerdings nicht im Stile von Historikern, sondern um zu zeigen, wie sie die Welt sehen und wie die Politik damit umzugehen hat. Wie ein guter Politiker heute beschaffen sein muss. Und schließlich auch: Um den Nachweis zu führen, wer unter den deutschen Politikern am ehesten diese Anforderungen erfüllt. Aber zu diesem Aspekt des Buchs ist ja fast schon alles gesagt worden, bevor noch das erste Exemplar über eine Ladentheke gegangen war.

    Schmidt und Steinbrück treffen sich seit Jahren zum Plausch über die Zeitläufte. Sie nennen sich beim Vornamen, "siezen" sich aber; das unter Genossen übliche, kumpelhafte "Du" scheint ihnen suspekt. Die in diesem Band dokumentierten Gespräche haben sie im Sommer dieses Jahres geführt.

    Das erste davon handelt von den tektonischen Verschiebungen der Weltpolitik. Vom Abstieg der USA und vom Aufstieg Chinas, des ökonomischen Giganten unter der Knute der Ein-Parteien-Diktatur. Ein Prozess, den andere Autoren schon viel präziser analysiert haben. Bahnt sich da das Ende des westlichen Modells von Demokratie und Menschenrechten an? Zwei Deutungen prallen aufeinander. Helmut Schmidt macht den ersten Zug:

    "Das Prinzip der Menschenrechte … ist ein Instrument geworden, eine Badehose, die verbirgt, was verborgen werden soll, nämlich den Expansionsdrang der westlichen Macht."

    Zitat Peer Steinbrück:
    "Ganz so zynisch sehe ich das nicht! … Was hieße es für die Welt insgesamt, wenn eines Tages mit China die stärkste Volkswirtschaft der Welt keine Demokratie mehr wäre?"

    Zitat Helmut Schmidt:
    "Das bedeutet für die Welt zunächst gar nichts. Man darf die Bedeutung der Demokratie für die Weltbevölkerung nicht überschätzen. Man darf die Demokratie auch nicht übermäßig idealisieren."

    Zitat Peer Steinbrück:
    "Helmut, dem würde ich widersprechen."

    Zitat Helmut Schmidt:
    "Darüber können wir uns dann jetzt schön streiten"

    Das tun sie an dieser Stelle, insgesamt gesehen auf den mehr als 300 Seiten aber viel seltener, als es dem Leser gefallen würde. Der Konsens dominiert, während die beiden weiter durch das Weltgeschehen streifen. Thema Europa: Ein Kontinent auf dem absteigenden Ast, wenn, ja wenn die Europäer nicht verstehen, dass die EU ihre einzige Chance ist, weiter am Tisch der Großen sitzen bleiben zu dürfen. Dies den Menschen zu vermitteln, brauche es eine neue Erzählung über die EU, sagt Steinbrück. Woraus soll sich dieser neue Mythos Europa aber ableiten? Schnell sind beide beim Frieden, den die europäische Integration gestiftet hat. Steinbrück erzählt, er sei der Erste seines Stammes nach drei Generationen, der nicht in einem europäischen Krieg verheizt worden sei. Ja, das Friedenswerk der EU war und wird immer die beste Begründung für die europäische Integration sein. Aber die neue Erzählung? Die bleibt Steinbrück dem Leser schuldig.
    Dann die Bankenkrise. Schmidt macht klar, dass er von der Deregulierung des Finanzmarktes, an der auch Rot-Grün beteiligt war, nie etwas gehalten hat.
    "Ich habe in den neunziger Jahren in vielen Reden Regulierung verlangt und habe das Schlagwort geprägt vom Raubtierkapitalismus … Das war in der Mitte der Neunziger."

    Dem hat Steinbrück wenig entgegenzusetzen, räumt ein, dass er als Ministerpräsident nicht eingeschritten ist, als die WestLB in den Sumpf des Derivatehandels abglitt. Beide laben sich an ihrer Verachtung für Banker, die sie für raffgierig und unbelehrbar halten. Fest steht, sagt Steinbrück, dass in Deutschland nie wieder Banken durch Steuergelder gerettet würden. Wenige Wochen später, quasi zeitgleich zum Erscheinen des Buchs, spannt die EU den Rettungsschirm weiter auf, damit nun auch Banken darunter kriechen können. Und schließlich die Innenpolitik. Wieder Konsens zwischen Schmidt und Steinbrück. Es gibt zu viele Partei-Karrieristen, die nie in ihrem Leben etwas anderes als Politik gemacht haben. Und in den Parlamenten sitzen zu viele Beamte. Der Leser stutzt. Schließlich führte der Lebensweg beider direkt von der Universität durch die Amtsstuben von Regierungen in die Politik.

    Aber nichts liegt Schmidt und Steinbrück an dieser Stelle ferner als eine Selbstreflexion. Genau so wie in jener Passage, in der sie glauben, hervorheben zu müssen, dass sie immer auch vertrauensvoll, wenn auch nicht gleich freundschaftlich, mit Leuten anderer Parteien Umgang pflegten. Ein herrlich naives Dokument einer "deformation professionelle". Nachdem also die wichtigsten Charaktereigenschaften eines guten Politikers definiert und die Haupthandlungsfelder abgesteckt sind - Globalisierung und demographischer Wandel – bleibt die Frage zu klären, wer den Laden sicher in die Zukunft führen könnte. Praktischerweise sitzt der Richtige gleich mit an Schmidts Schachbrett.

    "Und ob Ihnen das nun sonderlich in den Kram passt oder nicht Peer, ich bin … der Auffassung, dass die SPD gut beraten wäre, Sie als den Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers zu nominieren."

    Das ist, auf Seite 157, die Krönungsmesse. Der eine Weltökonom reicht das Zepter an den anderen weiter. Der genießt weitgehend schweigend, merkt nur brav an, sich dem Vorschlagsrecht des Parteichefs unterwerfen zu wollen. Und lässt durchblicken, dass er auf einen Mitgliederentscheid bei der Kandidatenaufstellung setzt, um der Strippenzieherin Andrea Nahles ein Schnippchen schlagen zu können.

    Was bleibt, am Ende der 318 Seiten? Zwei Politiker, die auf Augenhöhe miteinander räsonnieren, kenntnisreich die großen globalen Entwicklungslinien abstecken und daraus plausible politische Konzepte ableiten. Gut lesbar ist das Ganze zudem, manchmal sogar amüsant. Etwa, wenn ausgerechnet Schmidt, der früher in solchen Fällen immer den Arzt empfohlen hat, Steinbrück darum bittet, ihm doch auch mal eine Vision zu lassen. Und noch etwas bleibt: Nämlich die Erkenntnis, dass Helmut Schmidt die Entstehung der Grünen bis heute weder verstanden noch verkraftet hat, dass er Atomausstieg und Abrüstung noch immer hämisch unter "German Angst" abbucht. So schließt der Leser die Buchdeckel, auch ein wenig erleichtert darüber, dass der Altkanzler nicht noch mal selbst antreten will.

    Helmut Schmidt und Peer Steinbrück: "Zug um Zug" Hoffmann und Campe Verlag
    320 Seiten, 24,99 €
    ISBN: 978-3-455-50197-1