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Wotan lässt die Muskeln spielen

Der Ring des Nibelungen ist der Titel eines "Bühnenfestspiels für drei Tage und einen Vorabend". So lautet die genaue Angabe von Richard Wagner. Köln wollte mehr und verkürzte die Aufführungszeit auf zwei Tage. Das Interesse an der Mammut-Veranstaltung war groß: 89 Prozent der Karten waren verkauft. Ein guinnessbuchverdächtiges Opern-Experiment.

Von Christoph Schmitz | 03.04.2006
    Als die ersten Takte von Wagners "Walküre" am Samstag um 17 Uhr erklangen, da stand es im Bundesligaspiel Köln gegen München zwei zu zwei. So sollte das Spiel in der Allianz-Arena München auch ausgehen. Für Köln, den Tabellenletzten, war es ein Sieg. "Ein Highlight in einer tristen Zeiten" – kommentierte Köln-Trainer Latour.

    Auch in der Kölner Opernspielstätte bahnte sich da schon ein Highlight an. Von 12 bis 14.30 Uhr war das "Rheingold" gespielt worden. Bis 22 Uhr würde die "Walküre" erklingen. Am Sonntag ab 10 folgte der "Siegfried", ab 18 Uhr die "Götterdämmerung". Rund 16 Stunden Musiktheater an zwei Tagen. Eine künsterlische, logistische und konditionelle Herausforderung, die bisher noch keine Oper anzunehmen gewagt hatte.

    Der Normalfall sind fünf Tage, Meinigen schaffte es in vier, Erl in Tirol in drei Tagen. Dabei mag es um Event gehen, es geht aber auch um intensive Kunsterfahrung. Und das in einer Stadt wie Köln, die in Sachen Kultur, wie auch im Fußball, seit Jahren "triste Zeiten" durchlebt. Das Bühnenniveau ist in die zweite Liga abgestiegen, die städtische Kulturpolitik befindet sich in einem desolaten Zustand: Ewige Baugruben, wo einst Museen standen, Bauvorhaben, die den Dom als Weltkulturerbe gefährdeten, eine Kunstmesse- und Galerienstadt, der Berlin und junge Messen in London und Miami den Rang ablaufen.

    Lichtblicke gibt es scheinbar nur, wenn sich an der öffentlichen Hand vorbei persönliches Engagement entfalten kann: Das Kölner Literaturfestival Litcologne ist dafür ein gutes Beispiel. Und auch der "Ring" an zwei Tagen. Denn in einer Oper, deren Kreativitätspool tarifvertraglich eingebunden ist, ist ein solches künstlerisches Projekt eigentlich nicht vorgesehen. Die Behäbigkeit des Systems ist sozusagen festgeschrieben. "Hier lieg ich, und besitz" – ruft im "Siegfried" das Ungeheuer Fafner aus der Höhle hervor, wo es träge den Nibelungenschatz hütet. Und Wotan selbst verstrickt sich in einem Vertragsnetz, das ihn lahm legt. So wäre auch der kühne "Ring"-Plan in Köln fast gescheitert. Technikchef Andreas Fischer:

    "Es waren intensive Verhandlungen mit dem Betriebsrat nötig."

    Die Kölner "Ring"-Inszenierung des Kanadiers Robert Carsen ist in den vergangenen Jahren landesweit zurecht gelobt worden. Die radikale Öko-Deutung mit einem gleich zu Beginn verseuchten Rhein, die konsequente Schnee- und Kälte-Metaphorik und der Auszug der Götter aus und der Einzug der faschistischen Gibichungen in Walhall – das ist beste Regiekunst. Von jedem Regisseur werden die vier Teile immer als Einheit konzipiert, von Wagner sind sie als eine große Parabel vom Anfang und Ende der Welt, vom Einbruch der Historie in die Naturgeschichte gedacht.

    Eine zyklische Aufführung fordert das Kunstwerk von sich aus. Den Ring an zwei Tagen zu sehen, ist darum wie einen Roman an einem Tag zu lesen oder vorgelesen zu bekommen. Die Kölner Oper unter dem Dirigat von Markus Stenz hat die lange Geschichte vom Aufstieg und Fall der Menschheit kraftvoll und erhellend vor Augen geführt.

    Offenbar wollte Stenz mit seiner Ringschmiede-Kunst auch zeigen, dass er und sein Orchester, dessen Besetzung, wie die der Sängerrollen, von Oper zu Oper wechselten, einen solchen Kraftakt zu leisten in der Lage sind, und haben dabei etwas überkompensiert. Sie sind mitunter zu laut und zu grob im Ausdruck geworden, dass etwa Brünhildes Schlußgesang zu kippen drohte. Aber das rührte das großartige Gesamtkunstwerk der Kölner Opernspielfeld am vergangenen Wochenende nur wenig.