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Wüterich im Wald

Er ist bekannt für inszenierte Gewaltexzesse: der Blut- und Splatterregisseur Calixto Bieito. Und so wird auch Carl Maria von Webers "romantische" Oper unter seinen Händen zu einem blutrünstigen Kampf auf Leben und Tod.

Von Uwe Friedrich | 31.01.2012
    Zur Ouvertüre stapft eine lebende Sau äußerst malerisch durch den geheimnisvollen Kulissenwald, den Bühnenbildnerin Rebecca Ringst in den Theaterwerkstätten bauen ließ. Das Licht fällt sehr dekorativ mal hinten, mal von der Seite durch den Nebel, wechselt im Takt der Musik die Atmosphäre, während das Tier im roten Laub nach Eicheln sucht. Dieses eigens aus Leipzig angelieferte Schwein bleibt allerdings für den ganzen Abend das einzige Lebewesen, das sich einigermaßen natürlich und überzeugend auf der Bühne der Komischen Oper verhält. Denn auch für Carl Maria von Webers romantische Oper "Der Freischütz" kennt der Blut- und Splatterregisseur Calixto Bieito nur ein Thema: den Gewaltexzess. Doch selbst wenn die Komische Oper den Besuch der Vorstellung offiziell erst ab 16 Jahren empfiehlt, verbreiten Ritualmorde, Menschenjagden und hoher Theaterblutverbrauch auf die Dauer nur Langweile.

    Bei Bieito geht es nicht um das ungeschickte Werben des Jägerburschen Max um die Förstertochter Agathe. Er hat kein Interesse an den gefährdeten Existenzen in einem Umfeld der subtilen gesellschaftlichen Kontrolle, wie sie Christof Nel in der grandiosen Vorgängerinszenierung an der Komischen Oper vorbildlich gezeigt hatte. Hier ist das Leben ein einziger Kampf, und der wird mit Maschinengewehren ausgetragen. Gleich zu Beginn jagt die Meute eine Frau. Sie wird erschossen und ausgeweidet, dann macht die Dorfbevölkerung aus den Resten Blutwurst. Wenn ein Mann diesem Kampf nicht gewachsen ist wie der Versager Max, dann wird er wieder zum Tier, geht in den Wald und muss von der Mitte der Aufführung an bis zum bitteren Ende nackt und lehmverkrustet über die Bühne hopsen.

    Agathe und ihre beste Freundin Ännchen mutieren zu hysterischen Partyweibern, die sich kichernd und glucksend im Forst besaufen. Um sich danach noch steigern zu können in der Ekelroutine, muss der böse Verführer Kaspar in der Wolfsschluchtszene schon einen Ritualmord exekutieren. Nach der Vorlage von Lars von Triers Film "Antichrist" wird ein Hochzeitspaar gefoltert und getötet. Das ist allerdings weder schockierend noch eklig, sondern eher an der Grenze zum Lächerlichen, ebenso wie Kaspars Selbstmord durch Kopfschuss mit weit spritzender Theaterblutfontäne.

    Der lähmenden Ermüdung dieses Effekttheaters im Leerlauf kann vor allem der Dirigent Patrick Lange entgegenwirken. Mit geheimnisvoll raunenden Klängen rettet er die Abgründe der Romantik vor der allzu platten Szene. Detailreich und rhythmisch ebenso frei wie souverän lässt er jene Sehnsüchte der Figuren aufblühen, von denen die Inszenierung nichts zu erzählen weiß.

    Lichtblick der Aufführung ist Carsten Sabrowksi als dunkel-drohender Bösewicht Kaspar. Der Tenor Vincent Wolfsteiner macht sich als Max zum nackten Affen und rettet immerhin noch beträchtliche Teile seiner Arien vor dem allgemeinen Geröchel und Gestöhne der stark gekürzten Dialoge, das sich auch auf den Gesang auswirkt. Die Sängerinnen genügen den Ansprüchen der Partitur allerdings nicht. Ina Kringelborn kämpft mit den hohen Tönen der Agathe, Julia Giebel gleich mit der ganzen Partie des Ännchen.

    An das glückliche Ende der Oper mittels Eremit und allgemeiner Vergebung möchte Calixto Bieito selbstverständlich nicht glauben. Max ballert Agathe mit den Worten "Ich liebe dich" über den Haufen, schließlich werden auch er so wie der Eremit vom aufgehetzten Pöbel erschossen. Das Leben ist ein immerwährender Kampf, behauptet Calixto Bieito. Mag sein. Jedenfalls sind seine Inszenierungen inzwischen eine immerwährende Wiederholung.