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Wunder oder Wahn?

Robert Edwards bekommt den Medizin-Nobelpreis für die Entwicklung der sogenannten In-vitro-Fertilisation. Aber wie genau funktioniert diese auch als "künstliche Befruchtung" bezeichnete Methode?

Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide im Gespräch mit Monika Seynsche | 04.10.2010
    Monika Seynsche: Bei mir im Studio ist jetzt mein Kollege Martin Winkelheide, der beschäftigt sich seit langem mit den Entwicklungen auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin. Herr Winkelheide, wie funktioniert überhaupt die künstliche Befruchtung?

    Martin Winkelheide: Normalerweise ist es ja so bei der natürlichen Befruchtung, dass erstmal Eizellen in den Eierstöcken heranreifen. Wenn es zum Eisprung kommt, wandert die die Eizelle durch den Eileiter und im Eileiter trifft sie im Idealfall auf Spermien - es kommt zur Befruchtung. Und dann schon fängt die befruchtete Eizelle an, sich zu teilen und wandert in die Gebärmutter, wo sie sich dann einnistet. Und für Frauen, bei denen zum Beispiel die Eileiter nicht durchlässig sind, ist das Verfahren der In-vitro-Fertilisation, also der Befruchtung im Reagenzglas geschaffen worden. Und da sieht es so aus, dass man zunächst einmal eine reife Eizelle aus den Eierstöcken entnehmen muss, was damals eine große Herausforderung war, eine Operation, eine Bauchspiegelung eben. Und dass dann eben, wenn die Eizelle isoliert ist, die Befruchtung in der Petrischale stattfindet, dann kommt die Petrischale in einen Brutschrank, hoffentlich mit dem richtigen Nährmedium, und die befruchtete Eizelle fängt dann an, sich zu teilen. Wenn sie das ...stadium erreicht hat, kann sie in die Gebärmutter eingepflanzt werden, und dann heißt es warten, ob die Schwangerschaft funktioniert.

    Seynsche: Das klingt ja erstmal ganz einfach, aber so einfach war es bestimmt nicht. Was waren denn die Hindernisse für Edwards?

    Winkelheide: Das größte Problem war erstmal, zu verstehen: Wie funktioniert das denn normalerweise mit der Eizellreifung? Also, lässt sich das hormonell steuern, lässt sich das beschleunigen? Das war der Großteil der Arbeit von Edwards, das wirklich im Detail herauszufinden. Und das zweite große Problem war: Wie kommt man denn an die Eizelle heran? Und das ist ein Verdienst von seinem Kollegen Patrick Steptoe gewesen, der 1988 gestorben ist. Er war ein Spezialist in Laparoskopie, also für die Bauchspiegelung. Und das heißt, er hat es möglich gemacht, dass man dann an die Eizelle herankommt. Heute braucht man übrigens keinen größeren operativen Eingriff mehr. Man muss kein Loch in die Bauchwand machen, sondern man kommt auf natürlichem Wege mit einem feinen Schlauch eben bis zu den Eierstöcken heran und kann dann per Ultraschall auch genau gucken, welche Eizelle ist denn am geeignetsten, und kann sie dann entnehmen und befruchten.

    Teil 2

    Seynsche: Bei der klassischen künstlichen Befruchtung - wie haben es gehört - werden die Eizellen und Samenzellen gemeinsam in eine Petrischale gegeben. Mein Kollege Martin Winkelheide hier im Studio: Wie ist dieses Verfahren denn seit der Geburt des ersten Retortenbabys verfeinert worden?

    Winkelheide: Die klassische In-vitro-Fertilisation eignet sich ja vor allem zur Behandlung weiblicher Unfruchtbarkeit. Man weiß: Zehn Prozent der Paare haben Probleme, auf natürlichem Weg ein Kind zu bekommen. Aber häufig liegt das auch an der mangelnden Spermienqualität der Männer. Und in den letzten Jahren ist eben auch eine Technik entwickelt und weiterentwickelt worden, die nennt sich ICSI - intrazytoplasmatische Spermieninjektion. Und da ist es so, dass man nach einer Samenprobe dann ein Spermium auswählt und das mit einer feinen Nadel und einem Mikromanipulator sozusagen mechanisch in die Eizelle hineinpikst und das Spermium direkt hineinbringt. Das ist ein Verfahren, das vor allen Dingen dann benutzt wird, wenn Männer entweder nicht genügend Spermien herstellen oder die nicht vernünftig schwimmen können, also die es nicht aus eigener Kraft in die Eizelle hinein schaffen würden. Da helfen die Mediziner dann nach und schubsen das Spermium dann mit einer Nadel direkt in die Eizelle rein.

    Seynsche: Gibt es denn auch Risiken, wenn Kinder durch künstliche Befruchtung entstehen?

    Winkelheide: Das ist ja eine Befürchtung, die man schon sehr früh hatte. Und man hat dann auch sehr genau hingeguckt: Haben eigentlich Kinder ein höheres Risiko für Krankheiten, wenn sie eben In-virtro entstanden sind? Und man kann sagen, bei der klassischen In-vitro-Fertilisation haben sie kein höheres Risiko für Krankheiten. Bei ICSI sind sich die Mediziner nicht so ganz sicher. Also es gibt in den letzten Jahren Hinweise darauf, dass Kinder etwas häufiger ganz seltene Syndrome haben. Die hören dann auf so einen Namen wie Angelmann-Syndrom oder Prader-Willi-Syndrom - die stehen im Zusammenhang mit epigenetischen Phänomenen, das heißt, da könnte es sein, dass die falschen Gene an- beziehungsweise ausgeschaltet sind. Aber da ist das letzte Wort mit Sicherheit noch nicht gesprochen. Was man aber sagen kann ist, wenn mehrere Embryonen hergestellt werden, wie das in Deutschland der Fall ist, und auch mehrere Embryonen eingepflanzt werden, bis zu drei eben, dann ist das Risiko relativ groß, dass es zu einer Frühgeburt kommt. Das heißt, die Kinder kommen dann unreifer zur Welt. Und in Deutschland müssen eben alle Embryonen, die man zum Zweck der Fortpflanzung herstellt, auch eingepflanzt werden.

    Seynsche: Aber manchmal benutzt man doch auch künstliche Befruchtung, um Risiken auszuschließen, oder?

    Winkelheide: Ja. Das ist was, wenn Eltern wissen, dass sie das Risiko haben für eine genetische, für eine erbliche Krankheit, dann wenden sie sich häufig an den Arzt, wenn sie Kinder haben wollen, und sagen: Können Sie uns weiterhelfen? Da ist ein Verfahren entwickelt worden - die Präimplantationsdiagnostik. Bislang glaubte man in Deutschland, man dürfe das nicht machen. Und viele Paare mussten dann ins Ausland gehen, zum Beispiel nach Belgien. Dort ist es so, dass man erst eine künstliche Befruchtung macht. Die Befruchtete Eizelle fängt an, sich zu teilen. Und von den acht Zellen, die entstanden sind, nimmt man eine und sucht dann ganz gezielt nach genetischen Defekten. Und nur Embryonen, die diesen genetischen Defekt nicht haben, werden dann eingepflanzt.

    Seynsche: Aber es hat doch jetzt im Juli auch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs gegeben zur Präimplantationsdiagnostik. Wie sieht es jetzt aus?

    Winkelheide: Das war im Juli und das war ein ganz wichtiges Urteil, weil dort ein Berliner Reproduktionsmediziner sich selbst angezeigt hatte, um zu klären: Ist die Präimplantationsdiagnostik in Deutschland erlaubt oder nicht. Und er hat in diesem Fall Recht bekommen. Also die Präimplantationsdiagnostik ist in Deutschland nicht strafbar, wird nicht strafrechtlich verfolgt.

    Seynsche: Vielen Dank. Martin Winkelheide war das.

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