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Wurzeln der Empathie

Neurologie. - Geteilte Trauer ist halbe Trauer, geteilte Freude doppelte Freude. Dieses Sprichwort drückt aus, dass Gefühle nicht nur für das eigene Erleben wichtig sind, sondern auch für das soziale Miteinander. Kein Wunder, dass nicht nur Menschen sondern auch Affen und andere soziale Tiere ein Gespür für ihre Partner entwickelt haben. Dieses Gespür nennt man Empathie, Einfühlungsvermögen. Was der Empathie zugrund liegt, wird derzeit in Washington auf der Tagung der "Society for Neuroscience" diskutiert.

16.11.2005
    Mitgefühl, für Philosophen und Schriftsteller mag das eine besonders hoch stehende Form menschlichen Erlebens sein. Für Hirnforscher kommt es vor allem darauf an, dieses Gefühl objektiv zu messen. Und so gibt es neben dem IQ für die Intelligenz inzwischen den EQ. Das E in der Abkürzung steht nicht generell für Emotion, Gefühl, sondern für Empathie, die Fähigkeit, sich in andere hinein zu versetzen. Und wie beim IQ findet Dr. Bhismadev Chakrabarti von der Universität im englischen Cambridge per Fragebogen eine große Bandbreite von EQ-Werten:

    " Wir wissen, Mitgefühl hängt von der Persönlichkeit ab. Einige weinen, wenn sie ins Kino gehen, andere nicht. Einige nehmen die Gefühle anderer wahr, andere nicht."

    Auch wenn es viele Männer mit hohem EQ gibt, im Durchschnitt zeigen Frauen ein größeres Einfühlungsvermögen. Das konnte Dr. Alice Proverbio aus Mailand direkt im Gehirn nachweisen. Sie zeigte Männer und Frauen, Eltern und Kinderlosen Fotos von lachenden, unglücklichen oder schreienden Babys.

    " Frauen reagieren deutlicher und schneller auf die unterschiedlichen Gesichtsausdrücke. Die Reaktion der Mütter war aber noch einmal stärker, als die von Frauen ohne Kindern. Es gibt also eine Zusammenspiel zwischen genetischen Faktoren, eine Frau zu sein, und den Erleben der Elternschaft."

    Dieser Effekt der eigenen Erfahrung zeigte sich übrigens auch bei den Vätern. Übrigens ganz besonders, wenn es um die Bilder der eigenen Kinder geht. Dabei ist die Reaktion auf negative Gesichtsausdrücke generell stärker, als die auf Fotos glücklicher Babys. Trauer wird eher geteilt als Freude. Auch die Empathie ist also durchaus zielgerichtet. Wie das Gehirn fremde Gefühle wahrnimmt, wollen zwei unterschiedliche Theorie erklären. Nach der einen geht es im wahrsten Sinne des Wortes um Mitgefühl. Im Gehirn sollen die gleichen Regionen reagieren, egal ob man selbst traurig oder glücklich ist oder ob man einen anderen mit diesen Gefühlen beobachtet. Alternativ könnte man sich auch in andere hineindenken, so dass man sozusagen über den Umweg des Verstandes auf die emotionale Stimmung der Mitmenschen schließt. Um zwischen beiden Möglichkeiten zu unterscheiden hat Bhismadev Chakrabarti Menschen mit ganz unterschiedlichem EQ in sein Labor gebeten und sie in einen Gehirnscanner gesteckt. Dort wurden ihnen kurze Filme gezeigt, in denen Menschen zu sehen waren, die entweder glücklich, traurig oder ärgerlich wirkten. Dann verglich der Psychologe die Bilder der aktiven Hirnregionen, um festzustellen, was besonders mitfühlende Menschen von den anderen unterscheidet. Die Antwort war bei der Reaktion auf die glücklichen oder traurigen Gesichter eindeutig. Entscheidend für das Mitgefühl ist hier das Belohnungssystem:
    " Ob man Schokolade isst oder einen lustigen Cartoon anschaut, immer reagiert das Belohnungssystem. Und bei Leuten mit einem hohen EQ wird diese Region beim Anblick eines glücklichen Gesichts stark aktiviert, sie finden glückliche Gesichter besonders angenehm. Bei ihnen wird die gleiche Region beim Anblick einer traurigen Person aber auch besondern stark heruntergefahren. Die eigene Reaktion ist also eine Art Nacherleben des beobachteten Gefühls und dieses Nacherleben ist bei Personen mit hohem EQ besonders ausgeprägt."

    Für sie wirken Glück und Trauer quasi ansteckend. Wenn sie diese Gefühle bei einem andren sehen, empfinden sie sie ein Stück weit selbst. Dieser Punkt geht also an die Theorie des Miterlebens. Doch Empathie ist mehr als automatisches Mitfühlen.

    " Beim Ärger sehen wir kein Nacherleben. Hier reagieren Regionen, die nichts mit dem Fühlen von Ärger oder einer aggressiven Handlung zu tun haben. Mit ihrer Hilfe erkennen wir die Absichten anderer erkennen. Empathie ist also nicht einfach ein Nacherleben, es ist aber auch keine abstrakte Analyse der Mitmenschen. Wir verwenden unterschiedliche Regionen des Gehirns bei unterschiedlichen Gefühlen."

    Ärger wird erkannt, nicht miterlebt. Ein Punkt für die Verstandestheorie des Mitgefühls. Freude und Trauer dagegen lassen sich tatsächlich teilen. Empathie ist wohl kein einheitlicher Prozess. Nicht jede und jeder, der bei einer Schnulze zum Taschentuch greift, bekommt automatisch auch Herzrasen, wenn der Held eines Aktionsfilms so richtig wüten wird.