Freitag, 29. März 2024

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WWF zu EU-Klimaneutralität
"Die jetzigen Ziele reichen nicht"

Der angekündigte grüne Deal der EU-Kommission sei ein großer Fortschritt für die künftige Arbeit, sagte die WWF-Klima- und Energieexpertin Imke Lübbeke im Dlf. Um Klimaneutralität in der EU zu erreichen, reichten die Bemühungen aber nicht aus. Zudem müsse das Ziel Klimaneutralität viel früher erreicht werden.

Imke Lübbeke im Gespräch mit Susanne Kuhlmann | 11.09.2019
Windräder im Nebel bei untergehender Sonne
Windräder im Nebel bei untergehender Sonne (imago stock&people / Florian Gärtner)
Susanne Kuhlmann: Gestern hat Ursula von der Leyen, bald Präsidentin der EU-Kommission, ihr Personaltableau vorgestellt, also auch die Frauen und Männer, die sich künftig mit Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft befassen. Das sind ein Niederländer, ein Litauer und ein Pole.
Imke Lübbeke ist beim World Wide Fund For Nature (WWF) in Brüssel für Klima- und Energiepolitik zuständig. Ich fragte sie heute Morgen, was sie von den Neuen an der Spitze dieser Ressorts erwartet.
Imke Lübbeke: Ursula von der Leyen, die hat ja nicht nur Namen vorgestellt; die hat vor allem Prioritäten gesetzt und eine Struktur geschaffen in der Kommission, in dem Team, mit dem sie arbeiten will. Und da ist es für uns ein Erfolg und ein großer Fortschritt für die zukünftige Arbeit, dass wir sehen, dass Klima-, aber auch Biodiversitäts- und Umweltpolitik unter einem Begriff, nämlich dem neuen grünen Deal, zusammengefasst ist und von einem der Vizepräsidenten, Frans Timmermans, geleitet und koordiniert wird in der Kommission.
Das gibt Möglichkeit, vor allem diese Themen in anderen Bereichen auch zu etablieren, zu integrieren, und über die Kommission über die verschiedenen Bereiche wie Landwirtschaft, Energie, Handel zu koordinieren und damit sicherzustellen, dass wir nicht an der einen Seite was für die Umwelt tun, während wir es an der anderen Seite untergraben, und das ist ein großer Fortschritt.
Ursula von der Leyen auf einer Pressekonferenz nach ihrer Wahl zur Präsidentin der EU-Kommission
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14 Männer und 13 Frauen sollen ab dem 1. November die Spitzenposten der EU-Kommission besetzen. Das vor dem EU-Austritt stehende Großbritannien nominierte keinen Vertreter. Wer die Kandidaten sind, welche Ressorts sie nun besetzen sollen und was sie vorher gemacht haben.
Kuhlmann: Der grüne Deal hat ja zum Ziel, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen, und das ist, denke ich, eine kommissionsumfassende Aufgabe.
Lübbeke: Ganz genau. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Den haben ja die Minister, aber auch die Staatschefs bereits diskutiert. Es fehlt jetzt noch eine Entscheidung von allen Mitgliedsstaaten für die Klimaneutralität.
Es ist ganz entscheidend, dass Ursula von der Leyen sich zum Ziel gesetzt hat, das zum Ende zu führen, diese Diskussion, und als Ziel für Europa, was ihre Politiken beeinflusst und formt, dass sie sich das gesetzt hat. Wir haben den Eindruck, dass mit der Wahl der Zuschneidung dieses Ressorts, nämlich zu sagen, wir haben einen grünen neuen Deal, dass sie damit eine gute Struktur, eine gute Grundlage geschaffen hat.
Ursula von der Leyen sitzt während der Debatte nach ihrer Bewerbungsrede vor den Abgeordneten des Europaparlaments allein an ihrem Platz
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Das Personaltableau von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) sei interessant, sagte Joachim Fritz-Vannahme, Europa-Experte der Bertelsmann-Stiftung, im Dlf. Der Zuschnitt der Ressorts enthalte "Versprechen nach vorne".
Kuhlmann: Die gemeinsame Agrarpolitik liegt demnächst beim Polen Janusz Wojciechowski. Wie grün soll oder muss sie werden, denn Klimaschutz und Nachhaltigkeit spielen ja auch hier eine Rolle?
Lübbeke: Landwirtschaft ist ja ein Sektor, der beiträgt auch zu der Erwärmung unseres Klimas. Gleichzeitig spielt die Landwirtschaft, kann hier auch eine ganz positive Rolle spielen, indem sie eine wichtige Funktion hat, unsere Böden intakt zu halten. Sie gestaltet unsere Landschaften. Aber sie hat auch enorme Auswirkungen auf die Artenvielfalt.
Es geht jetzt darum zu gucken, wie beide Ziele, nämlich gesunde Nahrungsmittel zu produzieren und auch dabei nicht unser Klima und unsere Umwelt zu belasten, wie wir das verbinden können.
Aber natürlich ist auch die europäische Agrarpolitik in einem Reformprozess und da hat man Möglichkeiten, das Geld, was die Landwirte bekommen, noch mal stärker an Umweltauflagen zu binden und zu sagen, wie können die Böden, wenn wir sie bewirtschaften, auch dazu beitragen, dass wir Humus anreichern und damit auch Kohlenstoff in unseren Böden anreichern, dass wir die Artenvielfalt schützen und den Arten Raum geben. Diese Fragen können wir jetzt noch anders beantworten und anders unterstützen in Europa im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik.
"Die jetzigen Ziele reichen nicht"
Kuhlmann: Wie soll den Herausforderungen des Klimawandels begegnet werden? Das ist ja übernächste Woche Thema beim UN-Klimagipfel in New York. Welche Impulse können aus der EU-Kommission kommen?
Lübbeke: Sie haben vorhin schon die Klimaneutralität genannt, dass Europa sich dazu verpflichtet, klimaneutral 2050 spätestens zu sein. Wir denken, es muss noch eher passieren, nämlich 2040, dass sie sich dazu verpflichtet. Das ist ein Riesenschritt. Dann haben wir unser langfristiges Ziel und dann spricht man von "backcasting", nämlich zu sagen, was müssen wir denn jetzt heute tun, damit wir in 2050 da sind, und da gibt es einiges, was auf den Weg gebracht wurde, nämlich die Erneuerbaren und die Effizienzrichtlinien aus Brüssel und auch die Klimagesetzgebung.
Aber all das ist noch nicht ausreichend in den Bemühungen, tatsächlich auch Klimaneutralität zu erreichen. Das heißt, wir müssen eine gute Implementierung haben von diesen Instrumenten, und da sind wir mitten drin, indem die Klima- und Energiepläne von den Mitgliedsstaaten entwickelt werden und Ende diesen Jahres zur Kommission geschickt werden müssen. Da muss ganz viel Energie reingesteckt werden, Erneuerbare und Effizienz stärker zu implementieren. Aber es muss auch eine Diskussion stattfinden, was müssen wir eigentlich bis 2030 tun, über die jetzigen Ziele hinaus, denn die reichen nicht. Die bringen uns nicht zur Klimaneutralität.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.