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Yambo Ouologuem „Das Gebot der Gewalt“
Eine alternative Geschichte der Kolonisierung Afrikas

Vor 50 Jahren sprengte der Malier Yambo Ouologuem die postkoloniale Debatte. In „Das Gebot der Gewalt“ zeigte er die Bevölkerung Afrikas nicht als Opfer der Kolonisierung, sondern prangerte die Tradition der Gewalt auf dem schwarzen Kontinent an. Jetzt wird das umstrittene Kultbuch wiederentdeckt.

Von Cornelius Wüllenkemper | 19.04.2019
Buchcover: Yambo Ouologuem: „Das Gebot der Gewalt“
Das Kultbuch des Maliers Yambo Ouologuem ist in einer Neuauflage erschienen (Buchcover: Elster Verlag, Hintergrundfoto: picture alliance dpa Matthias Tödt)
"Der erste afrikanische Roman, der diesen Namen verdient", jubelte im Oktober 1968 der Kritiker der Tageszeitung "Le Monde". Denn viele andere afrikanische Autoren des Postkolonialismus, so hieß es weiter, verlören sich mit einer "gewissen Selbstgefälligkeit in den Savannen eines Pseudo-Lyrismus". Davon war im Debütroman von Yambo Ouologuem aus Mali wahrlich keine Spur zu finden. "Das Gebot der Gewalt" war vielmehr ein Epos über acht Jahrhunderte, das Sklavenhandel, Ausbeutung und ethnische Säuberungskriege als Traditionen des schwarzen Kontinents darstellte. Mit dieser Einschätzung stellte sich der 28-jährige Autor offensiv gegen die Mehrzahl der afrikanischen Autoren seiner Zeit:
"Sie haben eine schundhafte Folklore betrieben, um die Spießbürger in ihrer Liebe zu Schwarzen zu bestätigen, die keine Verpflichtung und keine Sanktionen kennt",
gab Yambo Ouologuem damals wütend zu Protokoll. In seinem Roman entwirft er das fiktive westafrikanische Königreich "Nakem", in dem die Sippe des Saïf, eine Art Fürst der Finsternis, bereits im 13. Jahrhundert den Grundstein legt zur Herrschaft von Gewalt und Unmenschlichkeit.
"Nun kam es im gesamten Reich und den von ihm abhängigen Ländern zu einem Blutbad ohnegleichen. Die Gefangennahme aufrührerischer Stämme, freier Männer, besiegter Krieger, die Opferung ihres Häuptlings, dessen Fleisch als Festschmaus diente, wurden zu Ritualhandlungen, die in das Brauchtum leicht erregbarer Neger übergingen, deren Barbarei den Erwartungen von Herrscher und Würdenträgern entsprach."
Kollaboration mit den europäischen Ausbeutern
Nicht nur mit seinen drastischen Schilderungen von unmenschlicher Brutalität, sexueller Gewalt und blutrünstigen archaischen Stammesbräuchen sorgte Yambo Ouologuems Erstling für Aufsehen. Allein seine Wortwahl, die die jetzt vorliegende Neuausgabe aus Gründen der Werktreue beibehalten hat, hätte jedem anderen den Vorwurf des Rassismus eingebracht. Inmitten der postkolonialen Debatte der späten 1960er Jahre provozierte der Afrikaner mit seiner unverblümten Beschreibung der flächendeckenden Kollaboration afrikanischer Würdenträger mit den europäischen Ausbeutern.
"Und nun setzte der Ansturm auf das Negerpack ein. Die Weißen schufen ein internationales Kolonialrecht und bestätigten sich damit wechselseitig die Theorie der Einflusszonen. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Aber selbst die Kolonialmächte kamen zu spät, denn der schon längst vorhandene Kolonialherr war – im Zusammenwirken mit der Aristokratie der Würdenträger – niemand anderes als der Saïf, dessen Spiel der europäische Eroberer – ohne es zu ahnen! – mitmachte. Das war schon technische Beihilfe!"
Der junge afrikanische Autor hatte in Paris sein Abitur gemacht, an einer Elite-Universität Literatur studiert und schließlich seinen Doktor in Soziologie absolviert. Als Teil der französischen Bildungselite legte er sich offensiv mit den Verfechtern der Négritude an. Im Zuge der Dekolonisierung trat die Négritude-Bewegung für ein neues schwarzes Selbstbewusstsein ein, das unter anderem auf den kulturellen Errungenschaften Afrikas fußen sollte. Prominente Négritude-Autoren wie Aimé Césaire und Léopold Sédar Senghor stützen sich auf die kulturhistorischen Forschungen des Berliner Ethnologen Leo Frobenius. Ihm legt Yambo Ouologuem unter dem Namen "Schrobenius" folgende Worte in den Mund:
",Nur weil der weiße Imperialismus dort mit seinen Gewalttaten und seinem kolonisatorischem Materialismus eingedrungen ist, fiel das so zivilisierte Volk plötzlich in den Zustand der Wildheit zurück, wurde des Kannibalismus, der Primitivität beschuldigt.' Dieses Gewäsch brachte Schrobenius nach der Heimkehr einen doppelten Profit ein: Einerseits täuschte er sein Land, das ihn entzückt auf einen hohen Lehrstuhl setzte, andererseits beutete er die Sentimentalität des Negerpacks aus – das nur zu glücklich war, aus dem Mund eines Weißen zu hören, dass ’Afrika der Nabel der Welt und die Wiege der Kultur sei.’"
Frontalangriff auf postkoloniale Tabus
Yambo Ouloguems Frontalangriff auf postkoloniale Tabus, seine gezielten Provokationen mögen manchen bis heute befremden. Dabei darf man Ouologuems Geschichte nicht missdeuten als Relativierung des kolonialen Unrechts. Es ging ihm vielmehr darum, seine westafrikanische Heimat nicht allein als Opfer kolonialer Herrschaftsinteressen zu betrachten. Er führt eine eigenständige afrikanische Geschichte vor Augen, klar definierte Interessen und effektive Machtstrukturen sowie deren geschickte Anpassung an das Kolonialregime. Die literarische Wucht seiner ebenso klaren wie poetischen Sprache ist dabei ungebrochen. Ouloguem war seiner Zeit weit voraus. Er collagiert kunstvoll epische Passagen mit krudem Realismus und biblische Exzerpte mit tanzender Groteske, er kombiniert das Genre des Gruselmärchens mit historischen Chroniken, er lässt afrikanische Sänger, arabische Historiker und einen allwissenden Erzähler zu Wort kommen.
So einhellig Ouologuem sowohl von Kritikern als auch vom Publikum gefeiert wurde, so schlagartig erlebte er nur wenig später den Absturz. Ganze Passagen seines Buches, so der Vorwurf, habe er bei anderen Autoren abgeschrieben. Selbst wenn Ouologuem seine Quellen offenlegte und betonte, sein Verlag habe die von ihm im Manuskript gesetzten Zitat-Markierungen entfernt, war er als Autor erledigt. Der Verlag Le Seuil stoppte die Auslieferung und distanzierte sich öffentlich. Tief gekränkt kehrte Yambo Ouologuem 1972 in seine westafrikanische Heimat zurück und wetterte in seinen dann höchst seltenen öffentlichen Auftritten gegen Frankreich, gegen seine Schriftsteller und Verleger. Erst nach Ouologuems Tod im Jahr 2017 legte der Verlag "Das Gebot der Gewalt" neu auf.
Zerrissen zwischen Afrika und Frankreich
Dem Autor Yambo Ouologuem, der als Sprössling der Kolonie im Mutterland Aufstieg und Fall erlebte, erging es so wie der tragischsten Figur seines eigenen Romans. Raymond Kassoumi, Sohn eines Leibeigenen des Saïf-Clans, wird in den 1920er Jahren zum Studium nach Paris geschickt. Das despotische Regime in der Kolonie will ihn später zu einem politischen Instrument im Mutterland Frankreich machen. Als Klassenbester schließt Raymond sein Studium ab und gerät alsbald in eine seelische Krise, zerrissen zwischen seiner afrikanischen Herkunft und seiner brüchigen Identität als "neuer Franzose". Raymond Kassoumi, der vielversprechende Stipendiat aus Afrika, sitzt seine Zeit in den Cafés von Paris ab.
"Mit ungeduldigem, verächtlichem Mitleid warf ihm die Kellnerin, damit er nur endlich ginge, seine Nachtschwärmergewohnheiten, seine einfachen Vergnügungen vor; seine Neigungen, sein Verhalten, die Kleinlichkeit seiner Trinkgelder und die Eintönigkeit seiner Redeweise. Kassoumi tat, als ob er nicht hinhöre. Er murmelte: "Schon gut, schon gut", und ging auf die Toilette. Sobald er drin war, schob er den Riegel vor, um allein, ganz allein zu sein. Er war jetzt so daran gewöhnt, heruntergemacht zu werden, dass er sich nur hinter vorgeschobenen Riegeln in Sicherheit fühlte."
Das Schicksal der literarischen Figur Raymond Kassoumi, der als Soldat Frankreichs in den Zweiten Weltkrieg zieht und später als Abgesandter eines afrikanischen Despoten Deputierter der Nationalversammlung wird, sagt mehr aus über das bigotte Verhältnis zwischen Frankreich und seinen Kolonien als viele historische Analysen. Dass Yambo Ouologuems "Gebot der Gewalt" jetzt erneut in Eva Rapsilbers brillanter Originalübersetzung von 1969 zu lesen ist, ist ein wahrer Glücksfall. Denn dieser Roman öffnet mit großer literarischer Kraft auch heute noch eine neue Perspektive auf die koloniale Vergangenheit und auf die postkoloniale Gegenwart.
Yambo Ouologuem: "Das Gebot der Gewalt"
Aus dem Französischen von Eva Rapsilber, mit einem Nachwort von Dirk Naguschewski
Elster Verlag, Zürich. 276 Seiten, 24 Euro.