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Zagorski: Syrien-Resolution führt in entgegengesetzte Richtung

Russland widersetzt sich mit seinem Veto im UN-Sicherheitsrat der Resolution gegen Syrien. Die russische Regierung wollte vermeiden, dass ein militärisches Eingreifen des Westens auf libysche Art stattfinden kann, erläutert der Politologe Andrej Zagorski den russischen Einspruch.

Andrej Zagorski im Gespräch mit Dirk Müller | 06.10.2011
    Dirk Müller: Syrien und Russland, das ist auch unser Thema mit dem russischen politikwissenschaftler Andrej Zagorski vom Institut für Internationale Beziehungen in Moskau. Guten Morgen!

    Andrej Zagorski: Guten Morgen!

    Müller: Herr Zagorski, warum ticken die Uhren in Russland immer anders?

    Zagorski: Das ist nicht immer so, aber anscheinend – und das war auch klar geworden aus Stellungnahmen durch die Behörden – Russland war letztendlich nicht zufrieden mit dem Text, der vorgelegt worden war, der ging in einigen Punkten für Moskau zu weit. Um das klarzustellen, es geht nicht um den Verzicht auf der russischen Seite, die Gewaltanwendung zu verurteilen, obwohl Russland dazu noch hinzufügt, dass Gewaltanwendung von allen Seiten verurteilt werden sollte. Bloß das Problem war und ist, so wird das hier auf jeden Fall in Moskau diskutiert, man sollte mit einer Resolution des Weltsicherheitsrats allen Parteien im Bürgerkonflikt in Syrien eine Möglichkeit geben, also einmal Verzicht auf allen Seiten auf Gewaltanwendung, dann die Möglichkeit geben, sich auf dem politischen Wege zu verständigen, wie die Krise überwunden werden sollte. Aus Moskauer Perspektive zu Recht oder zu Unrecht würde eine Resolution, die vorgeschlagen worden war, in eine entgegengesetzte Richtung führen.

    Müller: Herr Zagorski, dann reden wir über die Praxis. Es gab das Veto von Peking und eben auch aus Moskau, das ist unser Thema, das heißt, das Morden, wie unser Korrespondent das eben gesagt hat, das Morden in Syrien kann weitergehen. Warum verantworten Sie das?

    Zagorski: Bitte?

    Müller: Warum verantworten Sie das, warum verantwortet das die russische Regierung?

    Zagorski: Die russische Regierung wollte vermeiden, dass die Resolution den Weg ebnet, dass ein militärisches Eingreifen des Westens auf libysche Art stattfinden kann ...

    Müller: Das stand aber nicht in der Resolution.

    Zagorski: Der Haken bei der Resolution, 30 Tage Frist für die Umsetzung, die Moskau für unrealistisch hielt.

    Müller: Ja, aber das stand aber nicht in der Resolution, soweit wir informiert sind, es war keine Rede von einer Intervention.

    Zagorski: Es war keine Rede von Intervention, Moskau wollte in die Resolution ganz deutlich reinschreiben, dass explizit jegliche Intervention militärischer Art ausgeschlossen werden soll. Und bei der 30 Tage Frist, eine verlängerte, zuerst wollte man 15 Tage Frist haben, um die Umsetzung zu beurteilen, würde man schon die Maßnahmen besprechen. Das war für Moskau nicht akzeptabel.

    Müller: Und deswegen wird Moskau weiterhin Waffen nach Syrien, nach Damaskus zu Baschar al-Assad liefern?

    Zagorski: Moskau war ein Lieferant, Moskau ist nicht der einzige Lieferant von Waffen an das syrische Regime. Ich gehe davon aus, dass in der Zeit des Konfliktes die Waffen nicht geliefert werden. Lobbygruppen spielen natürlich immer wieder eine Rolle bei solchen Konflikten, aber heute deutlich ging es Moskau um eine politische Lösung. Besonders skeptisch stimmten die Stimmen aus dem Westen Moskaus Position, dass wenn dem Regime Assads jegliche Legitimität abgesprochen worden wäre. Das war schon ein Glockenzeichen für Moskau, dass es in die Richtung geht, einer Libyschen-Art-Regelung.

    Müller: Reden wir noch einmal über die Waffen, Herr Zagorski. Wir haben Meldungen, wonach der Chef der staatlichen russischen Rüstungsexportindustrie gesagt hat, wir werden weiterhin Waffentechnik nach Syrien liefern, das heißt, es wird Waffenlieferungen geben.

    Zagorski: Davon weiß ich nicht so genau, schließe das aber nicht aus, obwohl ich eher davon ausgehen will, dass Moskau in Zeiten des Konfliktes auf direkte Lieferungen verzichten würde.

    Müller: Hat es von Moskau in irgendeiner Form Signale gegeben in Richtung Demonstranten, in irgendeiner Form Signale gegeben, dass diese Protestbewegung gegen Gewalt und gegen das Morden unterstützt wird?

    Zagorski: Auf jeden Fall empfängt Moskau nächste Woche zwei Delegationen der Opposition in Syrien zu politischen Gesprächen.

    Müller: Und das heißt, man ist offen für Gespräche?

    Zagorski: Bitte? Ja, man ist offen für die Gespräche, man will nur nicht – zu Recht oder zu Unrecht noch mal – man will nicht der einen Seite gleich die Legitimität absprechen, um nicht damit den Konflikt weiter in die Höhe zu treiben.

    Müller: Wie eng sind die Beziehungen nach wie vor zum syrischen Regime?

    Zagorski: Sie waren immer schwierig, sie waren immer relativ eng, auf jeden Fall besteht Moskau darauf, dass es auf Damaskus einwirkt, auf politische Reformen zu setzen, statt Militärgewalt anzuwenden.

    Müller: Moskau ist dafür, gibt es in irgendeiner Form Anzeichen aus Moskau, dass sich in Syrien etwas geändert hat? Die Fakten sprechen offenbar dagegen.

    Zagorski: Das ist oft die Interpretation, auf jeden Fall die offizielle Moskauer Position geht davon aus, dass es die Politik der westlichen Staaten ist, die die Opposition gegen Assad aufhetzen würde, die den Möglichkeiten von Reformen und einer Beendigung der Gewalt keine Chance geben.

    Müller: Aufhetzen sagen Sie, aus westlicher Sicht sieht man das natürlich anders. Aus westlicher Sicht interpretiert man die Situation vor Ort so, dass das Regime ...

    Zagorski: Ja, das sind ja …

    Müller: Entschuldigung, Herr Zagorski ... dass das Regime in Damaskus, das Baschar al-Assad zusammen mit den Geheimdiensten und den Sicherheitskräften mit Gewalt gegen friedliche Demonstranten vorgeht.

    Zagorski: Ja, das wollte man in Moskau nicht. Man macht auch seine Unzufriedenheit damit ganz offen. Und was die Verurteilung der Anwendung der Gewalt seitens der Regierung angeht, da macht Moskau ganz klar, dass das auch ein Ende haben soll. Nur die Frage ist und da sieht man deutlich die unterschiedliche Politik und Position, Moskau will ja auch verstehen, dass die Reformpolitik mit der Regierung umgesetzt werden sollte, und die Regierung müsste dazu auch bewegt werden, wo man in der westlichen Politik eher einen anderen Akzent sieht. Die Reformpolitik soll das Wegfegen der Regierung in Syrien beinhalten und dann ohne die Regierung gemacht werden. Da sieht man die Gefahr eines ähnlichen Bürgerkonfliktes wie in Libyen und auch die Gefahr eines Zerfalls des syrischen Staates.

    Müller: Wir haben vor wenigen Monaten, Herr Zagorski, an dieser Stelle hier im Deutschlandfunk auch über das deutsch-russische Verhältnis gesprochen. Da haben Sie gesagt, Berlin ist ein ungemein wichtiger Faktor in der russischen Politik, ein verlässlicher Faktor in der Politik. Wenn wir das auf den internationalen Kontext übertragen, schauen auf die UNO, schauen auf den Weltsicherheitsrat, da steht Moskau meistens alleine im Boot mit Peking. Ist das politisch opportun?

    Zagorski: Das ist nicht immer so. Ich denke, zu Beginn im Fall Libyen war das nicht so unterschiedlich in der Position Moskaus und Deutschlands, wir haben uns beide enthalten im Falle Libyen. Wir müssen berücksichtigen, dass natürlich die Entscheidungen Moskaus nicht allein von den außenpolitischen Überlegungen getrieben werden, das ist auch sehr oft die Innenpolitik. Ich denke, nicht zuletzt, weil Deutschland den Entwurf der Resolution des Sicherheitsrates mit konzipiert hat, war Russland bereit, in den letzten Tagen daran zu arbeiten, eine Kompromissformel zu finden. Im letzten Entwurf sieht man sehr viel Fortschritte in dieser Richtung. Ich weiß nicht, ich schließe es aber nicht aus, dass auch die Uhren in Moskau neu gestellt worden waren, wo die Regierung auf der einen Seite zu einem Zeitpunkt bereit war, darüber zu reden und dann – und das passiert nicht zum ersten Mal – kommt eine andere Entscheidung, die eine völlig andere Richtung einschlägt, und dann gibt es ein Veto. Das passiert auch in der russischen Politik, aber oft aus innenpolitischen Gründen, nicht aus außenpolitischen.

    Müller: Also wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Zagorski, ist Moskau durchaus bereit, Freiheitsbestrebungen und das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu unterstützen?

    Zagorski: In Grenzen natürlich, denn nicht in jedem Fall soll Selbstbestimmung eine Situation beinhalten, das ist natürlich ein Punkt, der für alle Staaten wichtig ist. Moskau weiß genau, es kann nicht so weitergehen in Syrien, das ist ganz klar und ganz deutlich in der Politik Russlands. Die Wege in die Erneuerung des syrischen Staates sollen durch einen politischen Dialog führen, unter Einschluss der jetzigen Regierung – ob das weise ist oder nicht, ist natürlich eine große Frage –, aber nicht durch die Aufhetzung der Opposition gegen die Regierung und nicht durch die Unterstützung der Opposition zum Sturz der Regierung in Syrien. Das wäre der Punkt der russischen Politik.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der russische Politikwissenschaftler Andrej Zagorski vom Institut für Internationale Beziehungen in Moskau. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Zagorski: Gerne! Auf Wiederhören!

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