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Zahnstein mit Geschichte
Welche Bakterien waren im Mittelalter in aller Munde?

Zahnstein besteht aus Mineralien, die sich aus dem Speichel abgeschieden haben. Aber auch Bakterien aus dem Mund und jede Menge Stoffwechselprodukte sammeln sich darin. Und so verrät der Zahnstein viel über einen Menschen, auch wenn er schon lange tot ist. Das machen sich Forscher aus Dänemark zunutze.

Von Christine Westerhaus | 21.11.2018
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    Zahnärzte entfernen Zahnstein. Für Historiker können die Ablagerungen ein Segen sein. (dpa)
    Für Ärzte ist Zahnstein eher lästig. Denn dort finden Kariesbakterien ideale Wachstumsbedingungen. Für Jesper Olsen von der Universität von Kopenhagen ist es jedoch ein Segen, dass es im Mittelalter noch keine Ultraschallgeräte gab. Denn im Zahnstein sind Informationen gespeichert, die sich an anderen sterblichen Überresten nicht ablesen lassen.
    "Zahnstein kann uns sehr viel über einen Menschen verraten. Zum Beispiel was er gegessen hat, wie gesund seine Zähne waren und welche Bakterien im Mund gelebt haben."
    Zahnstein als bakterielles Archiv
    Für ihre Untersuchung, die jetzt im Fachmagazin "Nature Communications" veröffentlicht wird, haben Jesper Olsen und sein Team die Proteine im Zahnstein von 21 Menschen aus dem Mittelalter analysiert. Diese haben zwischen 1100 und 1450 nach Christus gelebt und liegen auf einem Friedhof im Nordwesten Dänemarks begraben. Eiweiße bleiben im Zahnstein besonders gut erhalten. Und weil Bakterien andere Proteine bilden als menschliche Zellen, konnten die Forscher rekonstruieren, welche Mikroben im Mund der Zahnstein-Besitzer gelebt haben.
    "Wir konnten die 21 Individuen aus dem Mittelalter in zwei Gruppen unterteilen: Die eine Gruppe hatte deutlich gesündere Zähne als die andere. Außerdem haben wir unsere Proben mit dem Zahnstein heute lebender Menschen verglichen und dabei gesehen, dass die Gruppe mit den gesünderen Zähnen ähnliche Bakteriengemeinschaften im Mund hatte wie wir heutzutage. Bei der Gruppe mit den schlechteren Zähnen fanden wir hingegen vermehrt Bakterien, die an der Entstehung von Paradontose oder anderen Krankheiten beteligt sind."
    Zahngesundheit und Immunsystem
    Warum es im Mittelalter diese auffälligen Unterschiede zwischen verschiedenen Individuen gab, wissen die Forscher bisher nicht. Doch womöglich ist das Immunsystem dafür verantwortlich.
    "Wir konnten im Zahnstein auch viele Proteine identifizieren, die bei der Immunabwehr eine Rolle spielen. Und interessanterweise sahen wir beim Vergleich der beiden Gruppen, dass das Immunsystem der Individuen mit den gesünderen Zähnen aktiver war."
    Womöglich erklären solche Unterschiede, warum manche Menschen nie zum Zahnarzt müssen, obwohl sie nicht sorgfältiger Zähne putzen als andere. Das sollen nun weitere Studien klären. Als nächstes haben sich die dänischen Forscher aber den Zahnstein ihrer berühmtesten Vorfahren vorgenommen: Sie wollen herausfinden, wie es um die Zähne der Wikinger bestellt war.
    Proteine bleiben lange stabil
    "Wir haben uns den Zahnstein von Wikingern aus ganz Nordeuropa angesehen und werten die Daten gerade aus. Es wird also weitere interessante Studien geben, in denen wir Menschen von unterschiedlichen Teilen der Welt miteinander vergleichen können."
    Anhand von Proteinen können die Forscher zudem viel weiter in die Vergangenheit zurückzuschauen, als es mit der Erbsubstanz möglich ist. Die älteste menschliche DNA, die bislang entschlüsselt werden konnte, stammt von einem etwa 430.000 Jahre altem Neandertaler. Aus Proteinen hingegen können die Forscher mehrere Millionen Jahre lang Informationen ablesen. Theoretisch ist es also möglich, anhand des Zahnsteins von Urmenschen zu rekonstruieren, was unsere Vorfahren vor vielen Millionen Jahren gegessen haben.