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Zankapfel Bewertungsreserven

Wenn Lebensversicherungen mit ihren Geldanlagen Gewinne erzielen, müssen sie ihre Kunden daran beteiligen. Um die Branche zu stützen, will die schwarz-gelbe Bundesregierung dies jedoch einschränken. Nach Widerstand im Bundesrat soll nun der Vermittlungsausschuss einen Kompromiss suchen.

Von Stefan Maas | 29.01.2013
    Private Altersvorsorge heißt in Deutschland fast immer auch: Lebensversicherung. Insgesamt gibt es in Deutschland knapp 90 Millionen dieser Versicherungsverträge – damit besitzt jeder Bundesbürger im Schnitt - rein rechnerisch – mehr als einen. Die Versicherungen haben ihren Kunden in der Vergangenheit hohe Erträge zugesagt – nun sagen sie, es falle ihnen wegen der anhaltend niedrigen Zinsen zunehmend schwerer, das Geld für diese langfristigen Zusagen zu erwirtschaften. Das Nachsehen hätten jene Kunden, deren Verträge noch lange laufen.

    Deshalb hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr beschlossen, die Branche zu entlasten, auch wenn sie aktuell nicht fürchtet, dass ein Unternehmen unter der Last zusammenbrechen könnte. Ein Vorstoß, den die Opposition ablehnt, sagt Gerhard Schick, der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion:

    "Das zentrale Problem bei dem Gesetz, was die Bundesregierung vorschlägt, ist, dass es jetzt eine Maßnahme für die gesamte Versicherungsbranche gibt, obwohl es vielen Unternehmen in der Branche sehr gut geht."

    Das sieht auch Axel Kleinlein im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur so. Er ist der Vorsitzende des Bundes der Versicherten.

    "Wer gelitten hat, sind die Kunden. Die mussten immer wieder neue Überschusssenkungen hinnehmen. Obwohl die Unternehmen viel in den Reservetöpfen haben, sodass eigentlich mehr Geld fließen könnte. Aber anscheinend wollen die Unternehmen nicht."

    Im neuen Gesetz geht es um die sogenannten Bewertungsreserven. Seit 2008 müssen die Versicherer ihre Kunden zur Hälfte daran beteiligen. Bei der Auszahlung der Versicherung machen sie etwa fünf Prozent des Gesamtvolumens aus, rechnet das Bundesfinanzministerium vor. Diese Bewertungsreserven sind theoretische Gewinne. Sie ergeben sich aus der Differenz zwischen dem Kaufpreis eines Papiers und dem aktuellen Kurs. Und die ist wegen der niedrigen Zinsen und den entsprechend hohen Kursen gerade besonders groß. Geht es nach dem Willen des Finanzministers, dürfen die Unternehmen demnächst bei der Auszahlung einer Versicherung einen Teil des Kundenanteils an diesen Reserven zurückhalten. Begründet wird das damit, dass die Unternehmen ihre Rücklagen angreifen müssten, um in den nächsten Jahren ihre finanziellen Versprechen zu halten, und deshalb für Kunden, deren Verträge noch lange laufen, weniger übrigbliebe. Heißt: Der einzelne bekommt weniger zum Schutz der Gesamtheit aller Versicherten. Für Axel Kleinlein, den Vorsitzenden des Bundes der Versicherten, ist das nicht akzeptabel:

    "Wenn den Kunden über Jahre hinweg gesagt wird, dass Reservepuffer aufgebaut werden für die schlechten Zeiten, in den schlechten Zeiten aber eben nicht unterstützt wird, sondern im Gegenteil die Überschussbeteiligung noch weiter heruntergefahren wird, dann ist das eine Frechheit."

    Auch Gerhard Schick sieht darin ein vorgeschobenes Argument der Versicherer:

    "Das Gesetz bisher sieht ja schon vor , dass man von den Bewertungsreserven nicht vollständig profitiert. Sondern dass es geteilt wird zwischen dem Versicherten, der ausscheidet, und der Versichertengemeinschaft. Und diese Aufteilung ist damals sehr bewusst gemacht worden, es gibt keinen Grund, diese Aufteilung zu verändern."

    Die Bundesregierung hat das bislang anders gesehen. Im November beschloss der Bundestag die Änderung mit schwarz-gelber Mehrheit. Doch schon auf dem CDU-Parteitag bekam Angela Merkel dafür den Unmut ihrer Basis zu spüren. Der Bundesrat kippte das Gesetz in seiner letzten Sitzung des vergangenen Jahres. Heute Abend beschäftigt sich der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat mit dem Thema.