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Zankapfel Steuern

Senioren, Familien, Unternehmen, Kommunen: Sie alle fordern höhere öffentliche Ausgaben für sich ein. Diese werden, so erwarten Berlinbeobachter, über höhere Steuern finanziert. Welche Steuern wie steigen sollen, wird jetzt in den Koalitionsgesprächen verhandelt.

Von Caspar Dohmen | 10.10.2013
    Eine Abendveranstaltung im Industrieclub in der Düsseldorfer Innenstadt. "Deutschland hat gewählt. Was die nächste Bundesregierung anpacken muss" – ist Anfang Oktober Thema bei der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung. Zu Gast ist Ulrich Grillo, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Einige Dutzend Journalisten und PR-Leute sitzen gespannt im Saal. Der Cheflobbyist macht jedoch erst einmal deutlich, was die nächste Bundesregierung seiner Meinung nach nicht anpacken darf:

    "Zuerst sei noch mal bemerkt, dass die CDU ganz klar gesagt hat, mit ihr gibt es keine Steuererhöhungen. Das hat die Kanzlerin auch gesagt, da nehme ich sie beim Wort. Wenn wir Steuererhöhungen machen, entziehen wir den Unternehmern, den Bürgern das Geld, was sie investieren können, womit sie Werte schaffen und Beschäftigung schaffen, und das ist genau das Gegenteil, was wir brauchen zu diesem Zeitpunkt."

    "Jetzt, wo wir so viele Steuereinnahmen haben, wie wir sie nie hatten. Und mit denen müssen wir auskommen, und ich sage, mit denen können wir auch auskommen."

    Keine Steuererhöhungen versprach Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der Wahl - im Fernsehduell mit ihrem SPD-Herausforderer Peer Steinbrück. Dessen Partei war in den Wahlkampf gezogen mit der Absicht, an der Steuerschraube zu drehen.

    "Wir haben in den letzten zehn, 15 Jahren ja folgende Entwicklung gehabt: nämlich, dass es eine deutliche Schere zwischen Arm und Reich gibt. Die großen Gewinner sind die hohen Einkommen, die großen Vermögensbesitzer."

    Der Streit in der Steuerfrage lag also bereits am Abend des 22. September in der Luft. Denn CDU und CSU benötigen wegen des Ausscheidens der FDP aus dem Bundestag einen neuen Koalitionspartner. Die beiden möglichen Partner aber - SPD und Bündnis 90/Die Grünen, mit denen die Union Sondierungsgespräche führt - wollen die Einkommensteuer für Spitzenverdiener anheben und das Vermögen Wohlhabender stärker belasten. Im Laufe der kommenden Woche werden die Parteivorsitzenden Angela Merkel und Horst Seehofer wohl entscheiden, mit wem die Union die nächsten vier Jahre am liebsten regieren würde. Dann wird es ein Angebot für Koalitionsverhandlungen geben. Doch egal, ob die neue Bundesregierung eine schwarz-rote oder eine schwarz-grüne sein wird - eine Seite wird in Punkto Steuern nachgeben müssen.

    Steuererhöhungen sind per se weder gut noch schlecht. Denn Steuereinnahmen sind nur das Mittel, um die politische Agenda einer Regierung zu finanzieren. Weshalb es logisch ist, zunächst einmal über staatliche Aufgaben zu reden. Einige – bislang unerledigte – stehen an. BDI-Präsident Grillo nennt als Beispiel marode Straßen, Brücken und Schienen in Deutschland.

    "Ja, da liegt schon seit einigen Jahres was im Argen. Wir investieren rund zehn Milliarden in die Verkehrsinfrastruktur, wir bräuchten mindestens 14, die Bodeweg-Kommission hat gerade gesagt 17 Milliarden, das ist eine Lücke von sieben Milliarden pro Jahr. Unsere industrielle Wettbewerbsfähigkeit hängt eben davon ab, dass wir die tollen Güter, die wir produzieren können, auch transportieren können. Wenn das nicht mehr klappt, wenn alleine in Nordrhein-Westfalen rund 300 Brücken marode sind, die ein oder andere Brücke gesperrt wird, dann haben wir ein Problem international, unsere Produkte eben sozusagen an den Mann zu bringen."

    Eine Demo unter dem Motto "Um f a i r teilen – Reichtum besteuern". Nichtregierungsorganisationen, Sozialverbände, Gewerkschaften und Globalisierungskritiker werben seit zwei Jahren mit Aktionen für eine – ihrer Meinung nach - gerechtere Steuerpolitik. Auch viele Bürger verlangen bessere Leistungen: Eltern beispielsweise fordern eine qualitativ hochwertige Betreuung ihrer Kleinkinder und eine angemessene Ausstattung der Schulen. Mütter wiederum wollen eine stärkere Berücksichtigung der Erziehungszeiten bei ihrer Rente. Und ältere Mitbürger wünschen sich einen Ausbau der Pflegeleistungen.

    "Wir müssen eben heute anfangen umzuverteilen. Und deswegen sind ja auch so viele Menschen hier."

    Meint Siegfried Bahr bei einer Demonstration in Berlin. Dem berufstätigen Familienvater ist vor allem die Finanzierung des Sozialwesens ein Anliegen. Ihn ärgert,

    "wenn ich mich bei Politikern und Behörden für die Lebensqualität meines Sohnes einsetze, dass mir dann schon gesagt wird, dass das eben nicht geht, weil das Geld nicht reicht."

    Die Wünsche der Wirtschaft und der Bürger nach höheren öffentlichen Ausgaben spiegeln sich in den Wahlprogrammen der Parteien wider: Die Sozialdemokraten wollen etwa 20 Milliarden Euro zusätzlich in Kitas, Ganztagsschulen und Universitäten investieren. Die Grünen fordern zehn Milliarden Euro mehr für Bildung und Energiewende. CDU und CSU planen einen Ausbau der Mütterrente, also höhere Rentenbezüge für Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden - was pro Jahr rund 6,5 Milliarden Euro kosten wird. Und alle drei Parteien wollen mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur bereitstellen. Die Liste der politischen Vorhaben ist also lang – und teuer. Doch sind sie auch finanzierbar aus den bereits fließenden Steuereinnahmen? An der Stelle eine gute Nachricht:

    "Wenn man von der Steuerschätzung zunächst einmal ausgeht, sind ja weiter deutliche Zuwächse zu erwarten: gut drei Prozent pro Jahr im Finanzplanungszeitraum."

    Soweit Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft. Und auch die Steuerschätzer erwarten bis zum Jahr 2017 einen Anstieg der Steuereinnahmen von derzeit 615 Milliarden Euro auf rund 700 Milliarden Euro – ein neuer Rekord. Allerdings kommt es in einer Volkswirtschaft mit Wachstum und Inflation regelmäßig zu neuen Höchstständen. Insofern bedeuten Rekord-Steuereinnahmen nicht automatisch einen sehr viel größeren Spielraum für die Politik. Denn genauso regelmäßig steigen auch die Kosten für den Staat, weil beispielsweise Tariferhöhungen für die öffentlich Beschäftigten anstehen.

    Fakt ist: Der Anteil, den der Staat vom Volkseinkommen beansprucht, ist heute nicht viel höher als früher. Die Steuerquote – also der Anteil der erhobenen Steuern am Bruttoinlandsprodukt - betrug Mitte der Siebziger Jahre gut 25 Prozent. Nach der Jahrtausendwende fiel die Quote auf weniger als 22 Prozent im Jahr 2005, was an der rot-grünen Steuerreform und der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung lag. Heute liegt die Quote bei 23,6 Prozent und Deutschland damit im internationalen Vergleich im Mittelfeld.

    Als CDU/CSU und SPD sich im Jahr 2005 auf eine Große Koalition einigten, kämpfte der Bund gegen ein gewaltiges Einnahmedefizit. Vor allem deswegen verabredeten die Koalitionspartner damals eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte. Was die Sozialdemokraten zuvor im Wahlkampf noch vehement abgelehnt hatten.

    Derzeit ist die Finanzlage des Bundes eine andere. Wenn die Konjunktur weiter rund läuft, die Steuereinnahmen entsprechend fließen und die Zinsen nicht steigen, wird der Bundesfinanzminister ab dem Jahr 2015 wohl keine neuen Schulden aufnehmen müssen, also erstmals seit vier Jahrzehnten keine zusätzlichen Gelder benötigen, um die bisherigen Aufgaben des Bundes zu finanzieren. Und mehr noch, glaubt der Ökonom Hüther: Wenn die Steuereinnahmen - wie geschätzt - weiter sprudeln, könnte der Bund sogar noch einiges Zusätzliches erledigen.

    "Von daher ist eigentlich ein Zuwachs bei den Steuern da, der das, was beispielsweise im Bereich der Infrastruktur an Investitionsstau identifiziert wird, auch lösen lässt. Steuererhöhungen oder Abgabenerhöhungen in der Summe braucht man dann, wenn man die ganzen Wahlversprechen einlösen will."

    Denn wegen der im Grundgesetz festgeschriebenen Schuldenbremse – mit dem Ziel eines strukturell ausgeglichenen Haushalts bis 2020 – scheidet für jede Koalition der bequeme Weg aus, einfach mehr Schulden zu machen. Was wiederum bedeutet, dass die künftigen Koalitionäre Steuererhöhungen nur dann vermeiden können, wenn sie sich von einem Teil ihrer Wahlversprechen verabschieden oder aber effizienter wirtschaften.

    Und auch die Länder, Städte und Kommunen müssen sie im Blick haben. Schließlich fehlen in den Kassen vieler Landesregierungen – selbst in den wirtschaftlich starken wie Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Hamburg - schon jetzt acht bis zehn Milliarden Euro, um die Vorgaben der Schuldenbremse zu erfüllen. Nicht viel besser sieht es auf kommunaler Ebene aus: Voraussichtlich 59 Prozent der kommunalen Etats werden das Haushaltsjahr 2013 mit einem Minus abschließen. Weswegen der Deutsche Städte- und Gemeindetag vor allem eine höhere Beteiligung des Bundes an den Sozialausgaben fordert.

    "Was wir uns als Nächstes vorstellen, wo es ja auch schon Gespräche zwischen Bund und Ländern gegeben hat, ist die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung. Das ist ein Kostenfaktor, der im Moment um die 13 Milliarden ausmacht."

    Sagt Helmut Dedy, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindetags. Außerdem sei dringend mehr Unterstützung nötig für bislang nicht getätigte, aber dringende Investitionen – für Schulgebäude, Straßen oder Fußgängerzonen. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau rechnet mit 130 Milliarden Euro.

    "Wir investieren aber jedes Jahr 20, 22, 23 Milliarden Euro. Das heißt, Sie sehen, wie groß die Lücke da noch ist. Und das kann man entweder lösen, indem man sagt, der Bund finanziert sich anders und gibt an uns weiter. Oder man sagt, wir werden eben entlastet im Bereich der Sozialausgaben oder wo auch immer."

    Seit dem Beginn der Sondierungsgespräche halten sich die Sozialdemokraten beim Thema Steuererhöhungen auffallend zurück. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel wird zitiert mit der Äußerung, Steuererhöhungen seien für seine Partei kein Selbstzweck. Er sei offen für andere Vorschläge der Union, um Investitionen zu finanzieren. Auch bei den Grünen ist es ruhiger geworden bei diesem Thema, gelten doch ihre Steuerpläne als ein Grund für ihr schlechtes Abschneiden bei der Wahl. Mit wem auch immer CDU und CSU verhandeln werden, Beobachter des Berliner Geschehens erwarten trotzdem, dass es am Ende der Koalitionsgespräche Steuererhöhungen geben wird.

    "Also, ich vermute mal, dass es irgendeinen Kompromiss und Konsens gibt, der auch ein bisschen höhere Abgaben in sich trägt."

    Sagt IW-Chef Michael Hüther. Ähnlich denkt Ulrich Schneider, der Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

    "Egal, wer mit wem jetzt koalieren wird, dass am Ende auch Steuererhöhungen kommen, davon bin ich nach wie vor überzeugt. Weder die SPD noch die Grünen könnten sich erlauben, eine Koalition mit der CDU einzugehen, ohne dass es zu Steuererhöhungen kommt, denn dann würden sie den Rest ihrer Wählerschaft völlig verprellen."

    An welchen Steuerschrauben aber könnte eine künftige Bundesregierung drehen? Im Wahlkampf hat vor allem die Einkommensteuer eine Rolle gespielt. Die Union strebt hier eine Entlastung der Bürger an, den Steuertarif will man sich vornehmen und die kalte Progression abmildern. In der letzten Legislaturperiode scheiterte sie damit am SPD-dominierten Bundesrat. Den Effekt der so genannten kalten Progression erklärt Ökonom Hüther folgendermaßen:
    "Die zweiprozentige Erhöhung der Löhne, nominal, führt im progressiven Tarif zu einer überproportionalen Erhöhung der Steuereinnahmen, nämlich um 2,2 oder 2,3 Prozent, das heißt, ich mindere Realeinkommen in solchen Zeiten. Und deswegen ist das die eigentliche Forderung neben der Glättung des Tarifs, ihn dann auf Räder zu stellen und mit der Inflationsrate fortzuschreiben."
    Die SPD will den Spitzensteuersatz für Ledige ab einem Einkommen von hunderttausend Euro eigentlich um sieben Prozentpunkte auf 49 Prozent anheben. Die Grünen wollen für Ledige die Steuern ab einem Einkommen von 60.000 Euro um drei Prozentpunkte auf 45 Prozent und ab 80.000 Euro auf 49 Prozent erhöhen. So jedenfalls ist es in den jeweiligen Wahlprogrammen zu lesen. Denkbar wäre nun, dass man sich in Koalitionsverhandlungen auf einen moderaten Anstieg der Einkommensteuer bei gleichzeitiger Dämpfung der kalten Progression einigt. Beide Seiten könnten dies als Erfolg für sich reklamieren - eine gute Voraussetzung für einen Kompromiss. CDU und CSU könnten dann erklären, sie hätten eine noch deutlichere Erhöhung des Spitzensteuersatzes verhindert. SPD oder Grüne könnten einen moderaten Anstieg des Spitzensteuersatzes als sozialpolitischen Erfolg verkaufen.

    "Der Ertrag allerdings ist kaum der Rede wert: Denn ein moderater, vielleicht dreiprozentiger Anstieg des Spitzensteuersatzes spült gerade mal drei bis vier Milliarden Euro zusätzlich in die Staatskasse. Rechnet man die Steuermindereinnahmen durch den Abbau der kalten Progression gegen, sind diese nicht einmal zur Hälfte ausgeglichen. Der Kompromiss würde sich also als Minusgeschäft für den Finanzminister entpuppen."

    Vielleicht wird eine künftige Bundesregierung auch bisherige Ausnahmen im Steuerrecht streichen. Zum Beispiel Steuervorteile für Hotelübernachtungen, Geschäftswagen oder Flugbenzin. Für einige Ausnahmen gibt es jedoch gute Gründe. Mehr als 2000 energieintensive Betriebe sind beispielsweise von der EEG-Umlage befreit. An der will BDI-Präsident Ulrich Grillo nicht rütteln:

    "Das ist lebensnotwendig im internationalen Wettbewerb, sonst wandert sie ab, sie wandert schon schleichend ab, wenn wir das weiter beobachten, dann gefährden wir unsere gesamte Wertschöpfungskette und damit den Industriestandort Deutschland."

    Auf der Gesprächsliste der Koalitionäre steht vielleicht auch die Abgeltungssteuer für Kapitalerträge. Mit deren Anhebung könnten sie nämlich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Einnahmen generieren und eine Gerechtigkeitslücke im Steuersystem schließen. Darauf verweist Lorenz Jarass, Steuerexperte an der Fachhochschule Wiesbaden:

    "Die gesamte Bevölkerung, nicht nur die ganz Großen, hat den Eindruck, dass sie vom Staat ausgeplündert werden. Der normale Lohnbezieher, der zum Beispiel halbes Durchschnittsgehalt hat, dem nimmt der Staat schon über 60 Prozent an Steuern und Sozialabgaben von der Lohnerhöhung weg. Das ist natürlich abenteuerlich. Dem gleichen Menschen nimmt der Staat, wenn er Kapitalerträge hat, nur 25 Prozent Kapitalertragssteuer weg."

    Und Handlungsbedarf sieht Jarass auch bei der Erbschaftssteuer.

    "Weil es ist ja nicht nur eine Frage von Groß und Klein. Es ist ja auch eine Frage, die alleinerziehende Kindergärtnerin, die 2.000 Euro brutto verdient, der nimmt man von der Lohnerhöhung fast zwei Drittel weg. Wenn die gleiche Kindergärtnerin zehn Millionen Euro erbt, und sie ist im Vorfeld bereits gut beraten, dann kann sie das steuerfrei erben und die ganzen Erträge aus dem Erbe kann sie auch alle legal steuerfrei stellen."

    Höchstwahrscheinlich wird das Bundesverfassungsgericht ohnehin bald eine Reform der Erbschaftssteuer verlangen. Für eine radikale Reform fehlt der Politik aber wohl der notwendige Mut. Denn höhere Erbschaftssteuern sind in der Bevölkerung unbeliebt, selbst wenn es hohe Freibeträge gibt. In Ländern wie den USA oder Großbritannien sind die Erbschaftssteuern jedenfalls deutlich höher.

    Knöpft sich die nächste Bundesregierung also erneut die Mehrwertsteuer vor? Vielleicht die Liste der Gegenstände, für die bis heute ein ermäßigter Steuersatz von sieben Prozent zu bezahlen ist? Wenn der Staat auf alle Waren – mit Ausnahme von Lebensmitteln, Büchern oder Theaterkarten – künftig den normalen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent erheben würde, könnten sechs bis sieben Milliarden Euro mehr in die Kasse des Finanzministers fließen. Die Verbraucher müssten für Tierfutter, Blumen, Holz oder Pellets dann aber tiefer in die Taschen greifen.

    Gegen eine komplette Vereinheitlichung sprechen sozialpolitische Erwägungen. Michael Hüther etwa würde es beim ermäßigten Steuersatz für Lebensmittel belassen:

    "Grundidee ist mit dem ermäßigten Steuersatz eigentlich, Grundversorgung des Menschen weniger stark zu belasten. Und das ist ja nicht ganz verkehrt."

    Eine Anhebung der Mehrwertsteuer von heute 19 auf 20 Prozent würde sich noch mehr lohnen – ein Prozentpunkt mehr bedeuten zusätzliche Einnahmen von neun bis zehn Milliarden Euro. Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband lehnt diese Idee aber entschieden ab.

    "Eine Mehrwertsteuer wäre sicherlich die unsozialste Steuererhöhung, die man vornehmen kann. Mehrwertsteuer heißt, dass jeder gleich viel zahlen muss für das, was er konsumiert."

    Die Einkommensteuer zahlen aufgrund des progressiven Tarifs die Bezieher mittlerer und höherer Einkommen. Das heißt: Etwa ein Viertel aller Einkommensbezieher zahlt drei Viertel der Einkommensteuer. Umgekehrt ist es bei den indirekten Steuern. Haushalte mit den niedrigsten Einkommen werden am stärksten belastet.

    "Wir haben gerade mal noch etwa 30 Prozent Einkommensteuer am gesamten Steueraufkommen. Über 50 Prozent machen stattdessen indirekte Steuern mittlerweile aus, also Mineralölsteuer, Alkoholsteuer, Branntweinsteuer, Mehrwertsteuer, all das, und das wird von allen gezahlt. Und das ist wirklich die große Ungerechtigkeit und die große Unvernunft."

    Zumal der Staat durchaus mehr Geld einnehmen könnte - ohne gleich an der Steuerschraube zu drehen. Wenn beispielsweise der Fiskus die Steuern konsequenter eintreiben würde, wären die öffentlichen Kassen um Milliarden Euro reicher. In den für die Finanzbehörden zuständigen Ländern fehlt es jedoch am nötigen Personal. Darauf weist Thomas Eigenthaler hin. Als Vorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft vertritt er die Interessen der Finanzbeamten.

    "Wir hatten in den letzten zehn Jahren fast in allen Bundesländern einen Personalabbau. Aber es wird noch schlimmer kommen. Wir haben in fast allen Finanzämtern ganz große Altersabgänge in den nächsten fünf Jahren, und es ist überhaupt nicht ersichtlich, wie diese Lücken, sowohl von der Zahl her, aber auch vom weggehenden Know-how, wieder auffüllt werden können."

    Schon jetzt reicht das Personal nicht mehr aus für Kontrollen.

    Neulich erst hat der bayerische Oberste Rechnungshof für Bayern festgestellt, dass die Betriebsprüfung zu 20 Prozent unterbesetzt ist. Statt hundert Betriebsprüfungen gibt es also nur 80, wie soll man da wirkungsvoll überprüfen. Und ähnliche Zahlen haben wir auch in der übrigen Republik.

    Entsprechend selten werden Unternehmen in Deutschland überprüft. In Bayern beispielsweise werden Betriebe mit mittlerer Größe im Schnitt nur alle 20 Jahre kontrolliert, Kleinbetriebe sogar nur alle 40 Jahre. Dabei würde sich laut Thomas Eigenthaler jede Neueinstellung beim Personal für die Länder rechnen:

    "Ein Finanzbeamter, eine Finanzbeamtin kostet im Jahr, wenn man Altersvorsorge, Büroausstattung, EDV usw. einrechnet, etwa 75.000 bis 80.000 Euro im Jahr. Aber jeder dieser Prüfer wird bei Betriebsprüfungen und bei Steuerfahndungen im Jahr Mehrsteuern von etwa einer Millionen, manchmal sogar deutlich darüber, generieren."

    Warum sich Bayern dagegen so wehrt? Das wäre eine interessante Frage an Ministerpräsident Horst Seehofer, der als CSU-Chef mit am Koalitionstisch sitzt.

    "Nun wir haben einen Länderfinanzausgleich, der zu Passivität verführt. Die Länder, die in den Finanzausgleich einbezahlen, sagen sich, warum sollen wir noch mehr Steuern generieren auf unserem Territorium, wir müssen es ja nur anderen geben, nachher bleiben wir nur auf den Personalkosten sitzen. Und die Länder, die erhalten, die Nehmerländer aus dem Finanzausgleich, sagen sich, warum sollen wir in eigenes Personal investieren, wir bekommen ja die Steuer via Länderfinanzausgleich."

    Wenn in den Koalitionsverhandlungen in den nächsten Wochen, vielleicht Monaten, über Steuern diskutiert werden wird, dürften Mängel in der Steuerverwaltung jedoch kaum eine Rolle spielen. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Der Finanzausgleich zwischen Bund und den Ländern läuft im Jahr 2019 aus. Im Zuge der Neuregelung könnte der Bund darauf drängen, die Steuerfahndung und damit die Betriebsprüfung zu übernehmen. Eine Bundessteuerverwaltung ist denkbar. Um die in den Bundesländern durchzusetzen, könnte eine Große Koalition hilfreich sein.