Dienstag, 26. März 2024

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ZDF-Dreiteiler "Unterleuten"
Lügen und Geheimnisse

Juli Zehs Roman "Unterleuten" war vor vier Jahren ein Bestseller. Der Roman erzählt vielschichtig und faszinierend die Geschichte eines fiktiven Dorfes in Brandenburg. Matti Geschonnecks Verfilmung für das ZDF ist stellenweise glatt inszeniert, dennoch fängt sie den Geist des Romans ein.

Von Michael G. Meyer | 09.03.2020
"Unterleuten - Das zerrissene Dorf": Rudolf Gombrowski steht mit seinem Hund vor den Feldern.
Rudolf Gombrowski (Thomas Thieme) ist der mächtigste Mann in Unterleuten (ZDF/Stefan Erhard)
"Lassen Sie sich nichts erzählen, von niemandem - egal, wer was behauptet, wer was zu wissen glaubt. Niemand weiß genau, was wirklich geschah."
Die Erzählerin des Romans nimmt die Zuschauer am Anfang des Films an die Hand und weist bereits auf das hin, was kommen wird: Das fiktive Dorf "Unterleuten" ist nicht der idyllische Ort, der er zu sein scheint. In elegischen Bildern zeigt Regisseur Matti Geschonnek die goldgelben Kornfelder: Bäume wiegen im Wind, malerisch liegen die alten Häuser inmitten der Brandenburger Mark. Doch hinter den Mauern: Neid, Missgunst und Misstrauen; alte Rechnungen, die noch offen sind.
Politik, Privates und Geheimnisse
Der Reiz der Geschichte von Juli Zeh ist, dass sich mehrere Ebenen vermischen: Politik und Privates, verdrängte Geheimnisse treffen auf neue Umstände.
Da wäre zum einen die Figur des knorrigen Rudolf Dombrowski, den Thomas Thieme spielt, Chef eines finanziell klammen landwirtschaftlichen Betriebes, vormals eine LPG. Das Projekt eines neuen Windparks direkt vor der Haustür käme ihm sehr gelegen. Da stört ihn auch eine zweifelhafte Firmen-Vertreterin und ein gieriger Unternehmer aus Bayern kaum. Das Projekt eines Windparks gefällt aber nicht allen im Dorf:
"Was willst Du?"
"Windräder… dass ich da nicht früher drauf gekommen bin, ärgert mich fast ein bisschen."
"Freut mich zu hören."
"Eine Hand wäscht die andere: Der Bürgermeister holt sich seien Gewerbesteuer, Du vergoldest Dir irgendeinen wertlosen Acker und wir anderen können zum Dank Eure Windräder anglotzen! Diesmal gehst Du zu weit, dieses Dorf ist nicht dein privater Knochen, den Du abnagen kannst!"
Dombrowskis Problem: ihm fehlen zwei Hektar Land, dass er der Windpark-Firma veräußern müsste. Um an diese heranzukommen, ist ihm fast jedes Mittel recht. Auch privat macht Dombrowski sein eigenes Ding: Er lebt seit Jahren in einer Art bleiernen Dreiecksbeziehung, die ein dunkles Geheimnis birgt, das in die Nachwendezeit zurückreicht. Auch von dieser Vergangenheit wird noch zu reden sein im Verlaufe der Geschichte.
Ein anderer Fokus des Films ist ein Paar, das mitsamt Kind der Großstadt entflieht und sich auf dem Land etwas Ruhe verspricht. Gerhard und Jule Fließ, gespielt von Ulrich Noethen und Rosalie Thomass, wollten fernab der Hauptstadt Berlin in einer Idylle leben, jedoch wird ihnen das erschwert durch einen schrulligen Schrotthändler, der Reifen anzündet. Andere Dorfbewohner tun ebenfalls merkwürdige Dinge, werfen etwa mitten in der Nacht Steine auf Dächer von Nachbarn.
Eigene filmische Dramaturgie
Der Roman "Unterleuten" bestach durch sein multiperspektivisches Erzählen, jedes Kapitel ist aus einer anderen Sichtweise einer Figur geschrieben. Dieses Prinzip konnte und wollte Regisseur Matti Geschonnek nicht aufrechterhalten:
"Wir haben unsere eigene Dramaturgie erfunden - aber ohne, dass es der Multiperspektive der Autorin widerspricht. Aber wir hatten so starke Schauspieler, dass es sich nicht stellt, diese Frage."
Und auch Autorin Juli Zeh hatte keine Einwände, dass man die Struktur des Romans im Film verändern musste zugunsten einer anderen Balance, einer auktorialen Erzählweise:
"Das Buch verteilt die Geschichte auf viele Perspektiven. Was der Film analog macht, ist, dass alle Schauspieler fast gleich gewichtet sind. Also es gibt nicht wirklich einen Protagonisten und dann zwölf Nebendarsteller, sondern jede Figur bekommt wirklich einen Schwerpunkt, so dass wir als Zuschauer die Möglichkeit haben, auch die Psychologie zu verstehe. Und das ist dann fast auch sowas wie eine Multiperspektive, nur dass wir natürlich nicht durch die Augen der Figuren gucken, sondern wir gucken durch die Kamera."
Müssen es immer Stars sein?
Was man der Verfilmung vorwerfen mag, ist, dass manches etwas zu glatt inszeniert ist, etwas eindimensional gezeichnet. Auch stellt sich die Frage, ob es unbedingt immer eine Starbesetzung sein muss, bei manchen Figuren wäre ein etwas weniger prominentes Schauspielergesicht hilfreicher gewesen, um sich besser in die Charaktere hineindenken zu können. Doch es handelt sich um eine ZDF-Event-Produktion, und da müssen eben prominente Namen her. Dennoch fängt die Verfilmung den Geist des Juli-Zeh-Romans gut ein, wer das Buch kennt, wird kaum enttäuscht werden.
Am Ende der Geschichte, so viel sei verraten, sind sämtliche Figuren gebrochen, die kleine Gemeinschaft des Dorfes fällt auseinander. Die Annahme, dass alle Menschen nur das Schlimmste im Schilde führen, muss unweigerlich in ein dramatisches Ende münden. Am Schluss bleiben nur Versehrte des von ihnen selbst heraufbeschworenen Konflikts.