Dienstag, 19. März 2024

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ZDF-Journalist über Klima-Berichterstattung
Claus Kleber: "Wir haben einen Aufklärungsauftrag"

Der ZDF-Moderator Claus Kleber sieht nach der Hochwasser-Katastrophe die Medien in einer verstärkten Aufklärungspflicht. Jetzt sei vor allem eine schonungslose Aufarbeitung der Dinge notwendig, die in den vergangenen Tagen schiefgelaufen seien, sagte er im Dlf. Hier sei investigativer Journalismus gefragt.

Claus Kleber im Gespräch mit Barbara Schmidt-Mattern | 20.07.2021
Der "heute-journal"-Moderator Claus Kleber spricht am 20.12.2017 im ZDF-"heute"-Studio in Mainz (Rheinland-Pfalz) bei einem Interview. Foto: Thomas Frey/dpa
Der "heute journal"-Moderator Claus Kleber fordert dringende Aufklärung, wie es zu den vielen Toten bei den Fluten in NRW und Rheinland-Pfalz kommen konnte (dpa/picture alliance/Thomas Frey)
Bei einem ist sich die Wissenschaft einig: Extremwetterereignisse werden sich in Zukunft häufen. Doch ob die Überflutungen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Bayern ein direktes Ergebnis des Klimawandels sind, darüber herrscht Uneinigkeit unter Fachleuten. Die Herausforderung für die Medien sei dabei "plausible andere Sichtweisen nicht auszuklammern", sagte Claus Kleber: "Als Privatmensch kann man das machen, als Journalist darf man das nicht". Es sei nicht die Aufgabe der Medien, die Menschen von der Notwendigkeit des Klimaschutzes zu überzeugen, so Kleber weiter: "Wir haben einen Aufklärungsauftrag."
So müsse zum Beispiel geklärt werden, wie eine so hohe Zahl an Todesopfern in Deutschland überhaupt möglich werden konnte. Auch bei der Kommunikation der Einsatzkräfte habe es offenbar Schwierigkeiten gegeben, denen nachgegangen werden müsse, so Kleber.
Drängender als die ebenfalls wichtige Debatte, ob der Klimawandel menschengemacht sei, sei zurzeit die Frage, wie sich das Land und sein Katastrophenschutz an die veränderten Klimabedingungen anpassen müssten, um eine solche Katastrophe zukünftig zu verhindern, betonte der Journalist. Dies sei für ihn die zentrale Frage, die sich aus den Bildern der Flut ergebe. Sich damit zu befassen, sei eine klassische Aufgabe der Presse – gerade weil einige Politiker vielleicht gar kein Interesse daran hätten, aufzuklären, wer hier möglicherweise versagt habe.
Christian David steht mit Schirm und Mikrofon am Rheinufer, im Hintergrund der Kölner Dom
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Im Nachhinein hätte er gerne entschieden, im Radio nach Mitternacht ein eigenes Sonderprogramm zu machen, sagte Stefan Brandenburg, beim WDR verantwortlich für das Aktuelle, im Deutschlandfunk.

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In der Eifel haben heftige Regenfälle und Dauerregen für Überschwemmungen und Überflutungen gesorgt. Im Ahrtal trat der Fluss vielerorts über die Ufer und überschwemmte nicht nur Keller sondern ganze Ortschaften. Im Bild die Straße zwischen Dernau und Walporzheim, die von den Fluten auf einem Abschnitt einfach mitgerissen wurde. Dernau, 15.07.2021
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Viele Menschen seien vom Ausmaß der Unwetterkatastrophe überrascht worden, weil sie es noch nicht gewohnt seien, mit solchen Extremwetterlagen rechnen zu müssen, sagte Wolfram Geier vom Bundesamt für Katastrophenhilfe im Dlf.
Barbara Schmidt-Mattern: Wie bereiten Sie sich auf ein derartig komplexes Thema wie den Klimawandel in seinen Moderationen vor, wenn das wieder einmal ein Thema des Tages ist?
Claus Kleber: Ich kriege meistens schon um die Mittagszeit zu jedem Thema ein umfangreiches Dossier, in dem die aktuellen Artikel, aber vor allen Dingen Hintergrundinformationen stehen, Kontaktnummern zu Leuten, mit denen man besser vorher redet, Fachleuten in der Regel. Denn als Moderator einer solchen Sendung muss man ja so tun, als kenne man sich in vier, fünf oder sechs verschiedenen Themenbereichen gleichermaßen gut aus. Diese Katastrophe jetzt hat uns natürlich innerhalb von Minuten vor einen Themenkomplex gestellt, an den man noch eine Stunde vorher nicht gedacht hat.
Schmidt-Mattern: Nun ist es ja altbekanntes Handwerk in unserer Branche, dass wir hoch komplexe Sachverhalte möglichst einfach zusammenfassen und einer breiten Öffentlichkeit vermitteln möchten, informieren möchten. Ist das in diesen Zeiten, in denen die Klimapolitik zu einem ganz großen Thema geworden ist, heutzutage schwieriger geworden?
Menschen pumpen Wasser aus einem Keller. In Folge von starken Regenfällen kam es in Teilen von Deutschland zu Überschwemmungen.
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Derzeit stießen Rettungskräfte in Kellern auf immer mehr Menschen, die das Hochwasser nicht überlebt hätten, sagte der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz (SPD), im Dlf. Es brauche bessere Vorwarnsysteme und neue Verhaltensregeln bei Hochwasser.
Kleber: Es ist jedenfalls nicht einfacher geworden. Es ist einfacher geworden, sich Informationen zu verschaffen. Ich bin ja alt genug, an Zeiten mich zu erinnern, wo man nicht mit einem Handy in der Hand das gesammelte Wissen der Menschheit innerhalb von Sekunden aufrufen kann.
Das hat die Sache einerseits sehr viel reizvoller gemacht, sehr viel breiter aufgestellt, andererseits aber die Überforderung mit komplexen Sachverhalten natürlich auf die Spitze getrieben. Und da dann das Richtige zu finden und vor allen Dingen rechtzeitig immer auch die andere Sichtweise noch mindestens in sich aufzunehmen und zu verstehen, wie man es auch sehen kann, das ist durchaus nicht einfacher geworden. Die schnellen simplen Urteile werden einem heute schwerer gemacht.

Erwartungen an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Schmidt-Mattern: Sehen Sie da, wenn Sie noch etwas konkreter werden, Versäumnisse in der medialen Vermittlung insgesamt in der Klimakommunikation?
Kleber: Das Problem ist, dass manche Leute, die feststellen, aus dem, was ich gerade geliefert bekommen von meinem, weil von mir finanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, entspricht nicht dem, was ich von diesem Problem halte, dass die oft denken, das ist jetzt einfach ein Urteil, ein Vorurteil, das dieser Reporter oder diese Moderatorin mir aufdrängen wollen.
Häufig ist das aber auch das Ergebnis von jahrelanger Beschäftigung mit einem Thema und natürlich hat jeder auch ein persönliches Urteil in seinem Kopf. Die Herausforderung ist, plausible andere Sichtweisen nicht auszuklammern. Als Privatmensch kann man das machen. Als Journalist darf man das nicht.
Mehrere Autos stecken nach Starkregen auf einer überfluteten Straße fest. Der Bach Vicht war über die Ufer getreten, das Gelände war überschwemmt.
Starkregen in Westdeutschland - Wie ist das Jahrhundert-Ereignis entstanden?
Soviel Regen innerhalb von 48 Stunden wie zuletzt im Westen Deutschlands fällt laut Deutschem Wetterdienst nur alle 100 Jahre. Grundlage dafür ist eine für Starkregen berüchtigte Wetterlage, die selten ist - aber häufiger wird.
Schmidt-Mattern: Bevor wir weiter auf die Differenzierung von Haltung einerseits und klassischer journalistischer Berichtpflicht andererseits zu sprechen kommen, möchte ich gerne noch mal auf die Katastrophenbilder der letzten Tag zu sprechen kommen. Sie haben es ja eben auch erwähnt.
Ist angesichts dessen, wenn wir jetzt neben den Bildern, die wir aus den überfluteten Regionen zeigen, auch nach den Ursachen suchen und über mögliche Präventionsmaßnahmen berichten, ist in dem Zuge mehr beziehungsweise noch mehr Aufklärung über den Klimawandel jetzt nötig? Oder ziehen wir da schon Schlüsse, die wir vielleicht noch gar nicht belegen können?
Kleber: Sehen Sie, ich glaube – das hat aber jetzt nichts mit meinem journalistischen Handwerkszeug zu tun; das hat mit meiner Rolle als Bürger zu tun -, ich glaube, wir müssen jetzt mal zwei Dinge voneinander trennen. Das eine ist die Frage, gibt es menschengemachten Klimawandel, oder ist der Klimawandel, den es gibt, menschengemacht. Das ist die eine Frage, die wir aber, glaube ich, im Moment ruhig mal ein paar Monate zurückstellen können.
Die wichtigere Frage ist, da es den Klimawandel gibt, wie passen wir uns an. Das ist vielleicht nicht die wichtigere – ich korrigiere mich. Es ist nicht die wichtigere Frage, aber die dringendere Frage und die schreit uns im Moment an nach den Bildern der letzten Tage. Denn ganz egal, was wir heute machen oder in der nächsten Wahlperiode des Bundestages und unter welchem Kanzler, unter welcher Kanzlerin auch immer machen, ist völlig gleichgültig bei der Frage, was machen wir mit unserem Katastrophenschutz, mit der Vorbereitung unseres Landes auf ein verändertes Klima.
Diese Frage ist die, die sich aus den Bildern der letzten Tage ergibt. Dass wir unseren Kindern und Enkeln nicht eine Welt überlassen wollen, in der das noch häufiger, noch schlimmer, noch drastischer ist, steht auf einem anderen Blatt, ist ebenso wichtig, aber heute nicht ganz so dringend. Da rede ich jetzt über ein paar Wochen politische Diskussion.

"Eine schonungslose Aufklärung"

Schmidt-Mattern: Aber jetzt kommen wir vielleicht zum Pudels Kern, sage ich einmal. Sie sagen, das schreit uns an, und Sie sprechen von den Kindern und Enkeln, denen es gilt, eine gesunde Umwelt zu hinterlassen. Bewegen wir uns da schon journalistisch auf wackeligem Terrain? Sind wir da schon auf einem Balanceakt zwischen Haltung und Neutralität? Oder wie differenzieren Sie das in Ihrer Arbeit als Fernsehmoderator und Journalist?
Kleber: Ich fühle mich, ehrlich gesagt, in der Debatte, die jetzt notwendig ist, noch ein Stück wohler. Was wir dringend brauchen, ist jetzt eine schonungslose Aufklärung der Frage, wie kann es sein, dass ein Hochwasser – und sei es noch so massiv und egal aus welchem Grund es entstanden ist – 150, 160, 170 (die Zahlen sind ja noch nicht endgültig) Menschen in Deutschland tötet.
Wie kann es sein, dass Polizeieinheiten herumstromern ohne Führung, weil die Führung nicht kommunizieren kann, weil die Einheiten nicht kommunizieren können? Wie kann es sein, dass ein Tal der Ahr in keiner Weise vorbereitet ist auf solche Fluten, und wo an anderer Stelle in Deutschland sind ähnliche Punkte, die Deutschland hochrüsten muss? Das ist, wenn Sie so wollen, eine eher Reporterfrage.
Da können Sie die philosophischen Debatten über Klimawandel jetzt wirklich mal auf die Seite legen, sondern da ist Aufklärung, da ist investigativer Journalismus auch gefragt, weil nicht jeder Politiker gerne möchte, dass man aufklärt, wer da versagt hat und wo. Aber es geht am Ende nicht darum, wer versagt hat; es geht darum, was in Zukunft besser gemacht werden muss, und das ist eine klassische Aufgabe der Presse, da jetzt ranzugehen.
Schmidt-Mattern: Haben Sie denn Verständnis für die Stimmen, die durchaus kritisch auf Medien und Journalismus blicken und sagen, da gibt es einige Vertreter, Frauen wie Männer in den Medien, die Nachricht und klassische journalistische Berichterstattungspflicht verwechseln mit Aktivismus?
Kleber: Das gibt es, ja. Das beobachte ich auch und wir müssen verdammt aufpassen, dass wir auf diesem schmalen Grat nicht ausrutschen. Wir dürfen uns einerseits nicht von den üblichen Framing-Techniken und diesem "Whataboutism", wenn deine Tatsache stimmt, was ist denn dann mit dem, was in Indien zurzeit passiert und so weiter, diese Argumentationstechniken, die von der Hauptsache ablenken, die müssen wir aufdecken und verhindern.
Aber wir dürfen nicht unsere Haltung von vornherein in eine erzieherische umwandeln. Wir sagen gelegentlich in unseren Redaktionen, wir machen keinen Um-zu-Journalismus. Wir berichten nicht heute Abend, um die Menschen von der Notwendigkeit des Klimaschutzes zu überzeugen. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir berichten über ein Thema wie zum Beispiel die Frage, muss man nach dieser Katastrophe Klimaschutz anders angehen, und informieren über Argumente dafür und dagegen.
Aber wir haben keinen volkserzieherischen Auftrag, weder in der einen Richtung noch in der anderen. Wir haben einen Aufklärungsauftrag und deshalb sagte ich vorhin, mir gefällt diese Debatte um die Infrastruktur in Deutschland so gut, weil da sich alle billig und gerecht Denkenden eigentlich mal drauf konzentrieren und zusammenstehen könnten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.