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ZDF-Zweiteiler in schwerer See

In Gdingen soll am 28. Januar 1945 die "Wilhelm Gustloff" starten, das Paradeurlaubsschiff der Naziorganisation "Kraft durch Freude". Menschen auf der Flucht vor der Roten Armee. Sie hoffen, per Schiff nach Kiel flüchten zu können. Ein ZDF-Zweiteiler mit viel Werbung erzählt die Geschichte des Untergangs der Gustloff. Ist das Geschichtsfernsehen in der Lage, historische Wahrheit zu transportieren?

Moderation: Michael Köhler | 02.03.2008
    Michael Köhler: Die Frage ging an Sabine Horn, Historikerin an der Uni Göttingen, sie befasst sich mit Geschichtsfernsehen. Nach "Dresden" im Jahr 2006, "Die Flucht", 2007, ist das nun die dritte Großproduktion des Fernsehens zur deutschen NS-Geschichte unter Blickwinkel des deutschen Leids. Wie beurteilen Sie das Werk? Wie viel historische Wahrheit steckt drin, oder ist es Ihnen insgesamt zu rührselig?

    Sabine Horn: Ja, wenn ich mir so einen Film anschaue, dann tue ich das ja immer grundsätzlich aus zweierlei Sicht. Die eine Sicht ist, ich schaue mir das als Privatmensch zu meinem Vergnügen an, und die zweite Sicht ist, ich schaue es mir als Historikerin an. Und ich muss sagen, aus beiderlei Sicht finde ich den Film doch eine herbe Enttäuschung. Im Vorspann und in der ganzen PR-Maschinerie wurde ja immer sehr viel darauf gesetzt, dass der Film sehr authentisch ist, und das ZDF hat das auch immer wieder in vielen Interviews von sich gegeben, dass mit vielen Zeitzeugen und mit vielen Recherchen gearbeitet wurde. Und wenn ich mir den Film angucke, ist es doch in erster Linie eine Liebesgeschichte, um die halt sich die Geschichte der Versenkung der "Gustloff" rankt.

    Köhler: Das heißt, das Rezept Personalisierung quotensichernde bekannte deutsche Schauspieler ist wieder mal bemüht worden und scheint zumindest so die Rechnung aufzugehen, hinterlässt Sie aber historisch unbefriedigt?

    Horn: Ja, ich meine grundsätzlich ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Spielfilm auf Personalisierungsstrategien setzt. Ein Spielfilm muss ja auch interessant sein für die Zuschauer. Allerdings finde ich es in diesem Film an einigen Punkten ziemlich schwierig, weil wie gesagt der Regisseur und der Drehbuchautor ja ganz stark darauf setzen, dass ihr Film so authentisch wie möglich ist. Sie verfolgen dann aber in der Interpretation des historischen Ereignisses eine ganz bestimmte Sabotagetheorie, und zwar in der Figur des Funkers. Der Funker stellt in diesem Film sozusagen einen von Kommunisten infiltrierten Saboteur dar. Und diese These ist auch in der Geschichtswissenschaft natürlich sehr, sehr umstritten. Und es gibt bislang auch noch keine Belege dafür, was den Film natürlich ein bisschen Geschmäckle beibringt.

    Köhler: Es ist ja auch so ein bisschen symbolisch. Nazi-Deutschland geht unter, wird versenkt, wehrlose Zivilisten zahlen die Zeche für die Welteroberungspläne eines Wahnsinnigen. Historisch ist das ein bisschen unterkomplex, passt aber so in den gegenwärtigen Opferdiskurs, hat so eine gewisse, ja, nicht nur Hinweis auf ergangenes, ertragenes deutsches Leid, sondern auch so eine gewisse Entsöhnungsfunktion? Es gibt sehr heftige Kritiken teilweise im "Stern" und in anderen Blättern. Es gibt auch teilweise Lob. Aber es hat eine gewisse Kontroverse ausgelöst.

    Horn: Ja, ja, ich kann das auch sehr gut verstehen. Nehmen wir einfach mal an, was das Thema Mitschuld der deutschen Bevölkerung angeht. Ganz am Anfang des Films befindet sich ein ganz kurzes Intro, das die Goebbels-Rede "Wollt ihr den totalen Krieg" einspielt. Das war es dann aber auch schon in dem ganzen Film. Und das ist einfach nur eine Sicherungsstrategie des Regisseurs, damit er nicht diesem Revisionismusvorwurf ausgesetzt ist. Allerdings muss sich Vilsmaier schon gefallen lassen, dass er das in dem Film nicht durchzieht. Das ist das Problem an dem Film.

    Köhler: Frau Horn, muss Geschichtsfernsehen, damit wir uns ein bisschen jetzt mal davon lösen, so aussehen, wie es bei uns heute aussieht, oder gibt es andere Möglichkeiten?

    Horn: Wir haben bis jetzt ja nur über das Spielfilmformat gesprochen. Es gibt noch das Dokumentationsformat und das Living-History-Format, was ich persönlich sehr, sehr spannend finde.

    Köhler: Erklären Sie es mit einem Satz?

    Horn: Laienzuschauer versetzen sich zurück in eine Geschichte wie die Steinzeit, das Schwarzwaldhaus, also 1900, und versuchen Handlungsoptionen der damaligen Bevölkerung nachzuvollziehen.

    Köhler: Wie sah das eigentlich in der Vergangenheit aus? Wenn ich versuche, mich als Kind so zu erinnern, da gab es so was kaum. Wenn man Glück hatte, gab es aus Dokumentarmaterial mal eine halbe Stunde, aber nicht zweiteiliges Event-Abendfernsehen.

    Horn: Früher sah es halt so aus, dass hauptsächlich das Dokumentationsformat eine Rolle spielte im Fernsehen. Und das war sehr, sehr dröge, sehr aktenbasiert, zum Teil wurden einfach Akten auch eingeblendet. Und was auch interessant ist, Historiker zum Beispiel haben auch sehr dröge ihre Geschichtsdeutung von sich gegeben. Musik zum Beispiel in Dokumentationen, wie wir es auch heute haben, heute liegt ja fast ein ständiger Klangteppich auch unter den Guido-Knopp-Sendungen und auch in der ARD, das gab es ganz, ganz selten. Emotionalisierung im Geschichtsdokumentationsformat, das war selten.

    Köhler: Kann so was mehr bewirken als eine quotensichernde Abendunterhaltung über den Tag hinaus, oder könnte das auch Einfluss nehmen auf unsere Erwartungen an Geschichtsvermittlung, die ja auch auf solche Formate inzwischen abstellt?

    Horn: Für die Geschichtsvermittlung finde ich insgesamt betrachtet die Entwicklung schon positiv. Das ist allein einfach, was die verschiedenen Formate angeht, dass es verschiedene Zugänge mittlerweile zur Geschichte gibt. Das finde ich positiv zu bewerten, dass das Fernsehen da doch jetzt das Ganze ein bisschen spannender gestaltet. Man muss natürlich auf die Inhalte gucken, was für Geschichtsbilder, was Erinnerungsbilder werden dabei transportiert. Und das ist, um auf "die Gustloff" zum Beispiel zu kommen, ist das natürlich höchst fragwürdig.

    Köhler: Sagt Sabine Horn von der Uni Göttingen, die sich mit Geschichtsfernsehen befasst.