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Zehnter Todestag von Robert Enke
Medialer Druck für psychisch kranke Sportler noch immens

Am 10. November 2009 nahm sich der an Depression erkrankte Fußballnationalspieler Robert Enke das Leben. Sein Tod löste Bestürzung aus: Nie wieder sollte ein Sportler eine psychische Erkrankung aus Angst vor der Öffentlichkeit verschweigen müssen. Doch Sport und Medien tun sich damit immer noch schwer.

Von Matthis Jungblut | 07.11.2019
Fußballtor im Nebel
Die Fußball-Branche sucht immer noch nach einem richtigen Umgang mit dem Thema Depression (dpa / picture alliance / imageBROKER / Bernard Jaubert)
"Wie traurig ist es, dass jemand nicht wagen kann über Depression und Krankheit zu sprechen, weil unsere Gesellschaft das als Schwäche ansieht."
Die damalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann spricht diese Worte am 15. November 2009. Es ist der Tag der Beerdigung von Robert Enke in Hannover.
"Wir müssen uns klarmachen: Leid und Schwäche und Krankheit sind Teil unseres Lebens. Dafür darf es keine Pfiffe geben in unserer Gesellschaft."
Enke fürchtete die Öffentlichkeit
Robert Enke wollte seine Depressionen auf keinen Fall öffentlich machen. Eine stationäre Therapie kam für ihn nicht in Frage – aus Angst, das Sorgerecht für seine Tochter zu verlieren, aber auch, weil er die Öffentlichkeit fürchtete. Aber ohne stationäre Therapie konnte Enke die Krankheit nicht besiegen.
Der ehemalige Fußball-Nationaltorwart Robert Enke
Der ehemalige Fußball-Nationaltorwart Robert Enke starb am 10. November 2009 (dpa / picture alliance / Jan Woitas)
"Wir müssen es anpacken, indem wir – aus dem was hier geschehen ist – versuchen auch für uns Erkenntnisse zu gewinnen. Für uns persönlich, aber auch für die vielen jungen Menschen, die unserer Gesellschaft, aber auch dem Sport und dem Fußball anvertraut sind", sagte Theo Zwanziger.
Der damalige DFB-Präsident versprach Veränderungen: Der Umgang im Profifußball sollte bei psychischen Erkrankungen sensibler werden. Die Robert-Enke-Stiftung wurde gegründet, die unter anderem die Erforschung der seelischen Gesundheit von Leistungssportlern fördert.
ARCHIV - Ein Hannover 96-Fan trägt sich am 11.11.2009 vor der AWD-Arena in Hannover in ein Kondolenzbuch für den toten Nationaltorwart Robert Enke ein. Enkes Todestag jährt sich am 10.11.2011 zum zweiten Mal. Foto: Kay Nietfeld dpa/lni (zu dpa-KORR "Stiftung: Mehr Sensibilität seit dem Enke-Tod" vom 09.11.2011) +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit
Robert-Enke-Stiftung: Depression als Krankheit begreifen, nicht als Schwäche
Etwa 20 Prozent der Menschen erkranken in ihrem Leben an einer Depression - zugeben aber mag das kaum einer. Vor allem unter Leistungssportlern ist das Thema ein Tabu. Die Robert-Enke-Stiftung will das ändern.
Reaktionen "leider unkalkulierbar"
Auch die Medien sollten in ihrer Berichterstattung fairer werden und vor allem zwischen berechtigter Leistungskritik und Beurteilung einer Persönlichkeit trennen.
Marlis Prinzing lehrt Medienethik an der Hochschule Macromedia Köln. Für Sportler habe sich die Situation nur bedingt verändert.
"Es hat sich manches verbessert, doch im Kern ist es nach wie vor noch ein Riesenproblem, wenn man mit einer psychischen Schwäche an die Öffentlichkeit gehen würde. Man muss um den Platz in der Mannschaft fürchten oder hat zumindest den Eindruck, dass man das tun muss. Man muss fürchten, dass man ganz anders in der Öffentlichkeit und über soziale Medien wahrgenommen wird. Es ist leider unkalkulierbar und das ist leider geblieben."
Das Thema Depressionen sei in der Gesellschaft weniger ein Tabu als noch vor zehn Jahren, doch im Profi-Fußball habe es nur wenige Veränderungen gegeben.
"Psychische Gesundheit wird bei Sportler-Karrieren vorausgesetzt"
Ex-Nationalspieler Per Mertesacker sprach im vergangenen Jahr ganz offen über Angstzustände an Spieltagen, über Panikattacken und den übermenschlichen Druck, den er bei der Fußball-WM 2006 in Deutschland gespürt habe. Die Reaktion von Sky-Experte Lothar Matthäus: Verachtung. Wie könne Mertesacker mit so einer Einstellung künftig als Jugendtrainer arbeiten und jungen Spielern Professionalität vermitteln.
Das Bild zeigt Per Mertesacker im Trikot des Vereins FC Arsenal im September 2017.
Per Mertesacker: Ein stückweit Realität
Vor zwei Monaten hat ein Interview im "Spiegel" die Fußballwelt mit einem Tabuthema konfrontiert: Weltmeister Per Mertesacker sprach offen über Angst und den Umgang mit Druck. Die Branche tut sich mit dem Thema schwer.
Prinzing: "Die psychische Gesundheit wird bei Sportler-Karrieren schlicht vorausgesetzt. Keiner aus dem Publikum heraus will Versager sehen, keiner aus dem Medienbereich heraus will Versager sehen. Wir lieben dort die Heldengeschichten und wollen da, was psychische Krankheiten angeht, sehr wenig differenzieren."
Auch der Sportjournalismus tut sich schwer, seine Versprechungen zu halten. Traditionell vergeben viele Sport-Medien nach dem Spiel Schulnoten für einzelne Spieler. Der "Kicker" macht das, die "Bild"-Zeitung, aber auch viele Regionalzeitungen.
Nach dem Suizid von Robert Enke versprach der damalige "Bild"-Vize-Sportchef Walter Straten, dass sie künftig mit extremen Noten sensibler umgehen wollen. Nur zwei Monate nach Enkes Tod gab die Bild dann trotzdem allen Spielern von Hannover 96 die Note 6 und titelte: "Rote Voll-Versager".
Mehr noch: Eine Studie der Universität Mainz zu Folge hat sich die durchschnittliche Bewertung der Bundesligaspieler in den vergangenen Jahren sogar leicht verschlechtert.
Fußballfans von Hannover 96 gedenken ihres früheren Torwarts Robert Enke mit einem Plakat. 
Sportpsychiater: "Wir müssen uns um die seelische Gesundheit kümmern"
Der Sportpsychiater Valentin Markser behandelte Fußballer Robert Enke. Im Dlf-Sportgespräch kritisiert er Vereine und Verbände – sie hätten nach Enkes Tod noch nicht genügend getan.
Spieler stehen unter Dauer-Kritik
Marlis Prinzing fordert im emotionsgeladenen Sport daher vor allem eine stärkere Differenzierung in der Berichterstattung.
"Zwischen einer Kritik an einer Person und der Kritik an einem sportlichen Thema, also wo es darum geht, wie jetzt jemand in dem und dem Spiel eine sportliche Leistung gezeicht oder nicht gezeigt hat. Da wird zu wenig – nach wie vor – unterschieden und da müsste sich in manchen Redaktionen der Sportjournalismus deutlich professionalisieren."
Ohis Felix Uduokhai liegt geschalgen auf dem Rasen nach dem Spiel gegen den Hamburger SV am 28.04.2018 in Wolfsburg.
Bundesliga: Psychologische Betreuung - eine Seltenheit
Ein Großteil aller Bundesliga-Vereine bieten keine sportpsychologische Betreuung an. Dabei könnte genau die frühzeitig helfen, psychische Erkrankungen wie Depressionen wahrzunehmen.
Aber es sind nicht nur Sportjournalisten, die Fußballer kritisieren. Seit ein paar Jahren wird in den sozialen Medien jede kleine Bewegung von Sportlern beobachtet. Der Spieler steht unter Dauer-Kritik. Jeder Fehltritt wird gnadenlos ausgeschlachtet.
So wie die Fehler von Loris Karius im Mai 2018. Der deutscher Torwart vom FC Liverpool hatte zwei Tore im Champions League Finale gegen Real Madrid verursacht. Sein Verein verlor und Karius wurde Opfer massiver Hasskommentare in den sozialen Medien, darunter Morddrohungen gegen ihn und seine Familie.
Ein paar Wochen nach seinen Patzern wechselte Karius nach Istanbul. Als Grund nannte er den immer größer werdenden Druck durch die Öffentlichkeit und die Medien.
Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen, Suizidgefährdete und ihre Angehörigen: Wenn Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Situation befinden, zögern Sie nicht, Hilfe anzunehmen.

Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800-1110111 (kostenfrei) und 0800-1110222 (kostenfrei) oder online unter telefonseelsorge.de an. Eine Liste mit bundesweiten Beratungsstellen gibt es hier.