Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Zeichen gegen den Krieg

Es hört sich nicht gut an, und das muss es auch nicht. Das städtische "Khan-Theater" in Jerusalem spielt "Fighting for Home", eine Satire nach Aristophanes, in der eine Gruppe von Frauen beschließt, so lange nicht mehr mit ihren Männern zu schlafen, bis der Krieg zu Ende ist. Denn im Jerusalem des Jahres 2013 herrschen immer noch militärische Gewalt, Hunger und Zerstörung. Ein Siedler-Ehepaar spielt durchweg in gebückter Haltung, weil ihnen Kugeln um die Ohren pfeifen, sobald sie sich aufrichten. Unerhört scharf wird in dem Stück auch in Richtung Militär geschos-sen. Die Soldaten ziehen die Esel der Landbevölkerung ein, als Essen für die Kompanie – ein Affront für jeden gläubigen Juden. Höhepunkt aber ist das Feuerge-fecht mit einigen Toten, das ein Siedler mit seinem kurzen Weg zum Klo provoziert. Am Ende schließen zwei Familien einen ganz kleinen, ganz privaten Frieden. Nur wenn die Menschen aufeinander zu gehen, sagt der versöhnliche Schluss, gibt es Hoffnung auf ein Ende der Gewalt.

Karin Fischer | 27.10.2003
    Der tiefere Witz des Stückes aber lautet: alle die es ernst meinen, kommen hier nicht mehr weiter. Und das ist traurige Wahrheit: Israels Friedensbewegung ist tot, gemeuchelt im Steinhagel und von den Selbstmordattentätern der zweiten Intifada. Und alle, die für Austausch standen, für Verständigung, sind auf sich selbst zurückgeworfen. Der blinde Lyriker Erez Biton sagt:

    Ich muss leider sagen, dass wir im Moment nicht genug Gelegenheit haben uns zu treffen, Israelis und Palästinenser. Wir, die Intellektuellen, die Schriftsteller, die Dichter beider Seiten, versuchen eine Brücke zu schlagen zwischen beiden Gesellschaften. Aber seit der Intifada können oder wollen palästinensische Autoren die israelischen nicht mehr so treffen wie früher. Der politische Konflikt scheint stärker zu sein als die Bereitschaft der Menschen.

    Erez Biton kam mit seinen Eltern aus Marokko nach Israel; im Alter von 10 Jahren wurde er von einer Granate verletzt. Als ausgebildeter Psychologe und langjähriger Sozialarbeiter, als Lyriker und als ehemaliger Vorsitzender des israelischen Schriftstellerverbandes baut er auf die Kraft des Wortes – und kann sich noch nicht wirklich eingestehen, dass die Arbeit vielleicht umsonst war.

    Die palästinensische Schriftstellerin Aida Nasrallah versucht, von der "anderen Seite" den Weg des Verständnisses zu gehen. Sie hat es ungleich schwerer: als Frau, als Unterdrückte Palästinenserin, und als Schreibende ohne Publikum, denn wer in den besetzten Gebieten sollte ihre Erzählungen drucken oder lesen?

    Als ich 1990 im Lager von Jenin war, erzählten mir die Kinder dort, dass Soldaten, die gegenüber dem Haus standen, ihre Katze getötet hatten. Als ob sie wütend seien über das Glück der Kinder. Doch einer der Soldaten hat sein Gesicht abgewandt und geweint. – Diese Geschichte schrieb ich auf dem Höhepunkt der Intifada, und ich wurde von meinem Volk sehr hart dafür kritisiert, denn wie kann man bloß die andere Seite als ‚menschlich’ beschreiben, wenn sie ständig deine Leute töten?! – Und dieser Punkt hat mir die Augen geöffnet. Wenn das wirklich passiert war, dass ein Soldat das Gesicht wegdreht und weint, dann ist da etwas, das wir Schriftsteller finden müssen. Selbst wenn der andere grausam ist, müssen wir die ‚andere Seite’ beschreiben, die humane Seite.

    In den Augen ihrer Leute macht sie damit gemeinsame Sache mit dem Feind. Aida Nasrallah sagt offen, wie hoch der Druck ist, Position zu beziehen:

    Die Moslem-Bewegung in Um-El-Fahem will die ganze Macht in Händen halten. Und jeden, der anders denkt, werden sie ersticken, psychologisch natürlich. Sie sagen dir nie laut: "Tu das nicht!" Aber sie wissen, wie sie dich deprimiert und verzweifelt kriegen.

    Bleibt Etgar Keret, der berühmte israelische Jung-Star, dessen Kurzfilme international bekannt und dessen Kürzestgeschichten "Gaza-Blues" oder "Mond im Sonderangebot" in viele Sprachen übersetzt sind. Sie haben praktisch nichts mit Politik zu tun, handeln aber von einer zwiespältigen Wirklichkeit, in der die Menschen merkwürdige Wahrheiten oder die totale Verwirrung erleben. Und sie sind so schräg, dass sie eigentlich nur in diesem Wahnsinnsland entstehen konnten. Keret ist einer der wenigen, der die Verhältnisse ironisch betrachtet; er möchte den Nahost-Konflikt ein bisschen tiefer hängen:

    Der politische Diskurs in Israel ist seit Jahren zu einer Art Stammesritual verkommen, in dem man seinen Stamm wählen muss wie seine Fußballmannschaft. Es ist ein Pauschalarrangement, in dem es immer heißt: "Die Situation ist einfach, sie ist lösbar, und das ist Weg, mit der einfachen lösbaren Situation umzugehen". Und wenn man das nicht tut, sagen sie, du bist hedonistisch oder oberflächlich oder was auch immer. Und ich glaube wirklich, dass dieses Denken sehr gefährlich ist.

    Viele der israelischen Friedenskämpfer sind verstummt oder werden nicht mehr gehört; viele Schriftsteller ziehen sich auf die "privaten Themen" zurück. Edgar Keret zeigt die Schizophrenie der so genannten einfachen Wahrheiten auf. Und ist damit politischer als so mancher, der immer noch die Versöhnung beschwört.