Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Zeichner Jens Harder
Gilgamesch als Comic

In einer kiloschweren Serie zeichnet Jens Hader die Geschichte der Menschheit. Und nun hat er sich die antike Sage "Gilgamesch" vorgenommen. Warum er vor allem die großen Themen der Welt im Comic verarbeitet, erklärt er im Dlf.

Jens Harder im Corsogespräch mit Andrea Heinze | 19.12.2017
    Panel aus "Gilgamesch": Gilgamesch findet seine Frau
    Jens Harder hat sich bei der Umsetzung seines Comics von antiken Wandfriesen inspirieren lassen (©Jens Harder, "Gilgamesch", Carlsen Verlag 2017)
    Jens Harder gehört zu den ungewöhnlichsten Comickünstlern. Er hat es geschafft, die gesamte Erdgeschichte zu zeichnen. "Alpha" hieß der erste Teil der Serie - im Augenblick arbeitet er an der Fortsetzung "Beta2" - und im Abschlussband "Gamma" will er sich dann der Zukunft der Erde widmen. Und als kleine Fingerübung zwischendurch hat er sich das "Gilgamesch"-Epos vorgenommen - es gilt als die älteste bekannte, schriftlich verfasste Geschichte.
    Andrea Heinze hat Jens Harder zum Corsogespräch getroffen und als erstes gefragt, worum es in dem Epos eigentlich geht.
    Gilgamesch ist ein Vorläufer von Herakles
    Jens Harder: Also, ganz konkret um einen König von Uruk, der vor circa 4500 Jahren lebte; und er gilt als der Erbauer einer der größten Stadtmauern zu der Zeit, die wirklich mehrere Kilometer lang und neun Meter hoch gewesen ist und von Türmen und Toren unterbrochen - das war seine große Leistung. Und im Gilgamesch-Epos wird beschrieben, wie er die Bevölkerung zum Bau dieser Mauer antrieb oder knechtete, wie Sklaven das Ding erstellen ließ, aber den Ruhm natürlich selber erntete. Und die Götter beschlossen, ihn auf den Boden der Realität zurückzuholen, indem sie ihm Aufgaben auferlegten und eingangs auch ein Wesen an die Seite stellten, das dann zu seinem engsten Freund und Partner, aber anfangs auch Konkurrent erwächst, und zwar "Enkidu", ein aus Lehm geformtes halb-menschliches Wesen, das die ganze Geschichte dann antreibt.

    Andrea Heinze: Warum ist das für uns heute noch interessant?
    Harder: Die Geschichte von Gilgamesch, also das Epos, interessiert mich schon seit den 90er-Jahren, seitdem ich in einer Vorlesung zur Kulturgeschichte den kennenlernte. Und als es an die Vergabe von Hausarbeitsthemen ging, habe ich mir dann den Herkules- oder Herakles-Mythos vorgenommen; und bei der Recherche stieß ich dann darauf, dass der nicht nur ein Vorbild war für Superhelden-Geschichten der Jetztzeit - also Superman und Batman, Spiderman und andere Heroen aus den großen Comicerzählungen vom Anfang des 20. Jahrhunderts -, sondern er hatte auch eine Vorläuferfigur. Und da kam ich eben auf Gilgamesch und als ich dann die Umsetzung des Epos ging, da stieß ich dann auf noch viel mehr: Also die "Odyssee" von Homer oder das Alte Testament haben teilweise bis ins Detail Episoden oder Geschichten übernommen. Die gesamte Sintflut-Erzählung ist eigentlich in Gilgamesch angelegt.
    Fantasie statt "cooler Kampfszenen"
    Heinze: Als ich das gesehen habe, Gilgamesch, habe ich gedacht: Es sieht aus, als hätten Sie historische Tontafeln abgemalt mit Bild-Erzählungsfriesen. Warum haben Sie es so gemacht?
    Harder: Es war genau mein Anliegen, diese spezielle Atmosphäre, die im Text herrscht oder die ich da herausgelesen habe, die aufzugreifen, indem ich auch die Art der Abbildungen aufgegriffen habe, wie sie von den Rollsiegeln oder von den Wandreliefs her bekannt sind.
    Wir haben noch länger mit Jens Harder gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Heinze: Ich finde, das hat eine ganz verrückte Wirkung, weil: diese ganzen kraftstrotzenden Helden wirken dadurch unglaublich statisch. Warum tut das der Geschichte gut?
    Harder: Ob Statik der Geschichte guttut, weiß ich nicht. Aber beim Lesen hat man ja nicht das Gefühl, man ist Zeuge eines heute stattfindenden Abenteuers, auch wenn viele Abenteuergeschichten der Neuzeit auf demselben erzählerischen Grundkonstrukt beruhen: Zwei Freunde brechen auf - heute wäre das vielleicht so etwas wie "Easy Rider" auf Motorrädern - und die waren damals auf Streitwagen zu Pferd unterwegs. Also, ich empfand das als sehr adäquat, dass das eben nicht irgendwelche "coolen Kampfszenen" werden, wenn Enkidu und Gilgamesch da den Zedernwald-Wächter versuchen zu besiegen, sondern dass es auch so eine seltsame Anmutung hat, eingefrorene Bewegungen - flach von der Seite oder manchmal auch frontal -, und denen ein gewisser Zauber auch innewohnt. Und man muss es sich manchmal in seiner Fantasie dann selber vervollständigen oder zusammenreimen.
    "Das ist ein richtiges Hochrüsten gewesen"
    Heinze: Also, man merkt schon an dem was Sie hier erzählen - es gibt ein unglaubliches kulturhistorisches Interesse. Mit Alpha haben sie auch noch ein unglaubliches Interesse für die Erdgeschichte in all ihren Facetten an den Tag gelegt. Woher kommt das? Seit wann haben Sie das?
    Harder: Ich weiß nicht, warum es uninteressant sein sollte. Also als Kind, die anderen haben eben die Bundesliga-Ergebnisse auf dem Schulhof reflektiert und mich hat mehr interessiert, was hier in der Gegend zum Beispiel früher stattfand. Das fand ich früher immer unglaublich inspirierend. Ich komme aus einer Kleinstadt in der Oberlausitz; und dann die Vorstellung, dass das alles vor ein paar Jahrtausenden von Hunderte Meter dicken Gletschern überzogen war und darunter liegt aber Braunkohle, die aus zusammengepressten Regenwäldern hervorgegangen ist. Oder dass wir im Wald beim Spielen durch Bombenkrater gerobbt sind, das fand ich unglaublich spannend. Die kindliche Form von Eskapismus, so in Dinge reindenken, träumen oder die weiterspinnen oder irgendetwas auf den Grund gehen wollen, das war für mich immer so das Eintauchen in Vergangenheits-Aspekte.
    Heinze: Ich fragte mich, ob so ein Eskapismus auch nur möglich ist, wenn man wie Sie zum Beispiel aus Weißwasser kommt - kann man dem tatsächlich nur nachgehen, wenn man auch so einem abgelegenen Wald-Ort kommt?
    Harder: Mag sein, aber ich meine, in der Großstadt hat man natürlich genauso die Möglichkeit, sich damit zu beschäftigen: Wieso ist hier eigentlich Berlin und nicht Wald? Wie kommt es dazu, dass sich hier so eine Stadt in die Landschaft frisst und woanders eben nicht? Also, ich finde auch die Entwicklung von Städten superinteressant. Auch das war ein Grund, in Gilgamesch einzutauchen, weil eine der ersten Regionen, wo so eine Hochkultur sich herausbildete, die eigentlich auch nur auf Konkurrenz beruhte, also sich möglichst schnell gegenüber dem Anderen zu etablieren. Das war einer der wichtigen Antriebe in der Anfangszeit. Dadurch haben die ja solche Bauwerke überhaupt schaffen können, also große Wehranlagen und daneben auch diese Tempel - das ist so ein richtiges Hochrüsten gewesen, wenn man das mal sich so vorstellt, in dieser Steppe, was heute Irak oder Syrien ist.
    Diese Flüsse waren Voraussetzung, aber alles andere entstand dann eben durch Handel, aber auch das ständige Gegeneinander und Sich-Versuchen-Zu-Übertrumpfen oder zumindest zu Widerstehen, den immer wieder einfallenden konkurrierenden Stadtstaaten. Es war zu der Zeit eine der spannendsten, wenn nicht sogar die spannendste Region in der Welt, weil da so viel entwickelt wurde und das auch schon eine frühe Form von Globalisierung war, zumindest innerhalb dieser Region zwischen Nordafrika, Kleinasien und dem indischen Subkontinent. Das vergisst man ja, wenn man sich nur so auf einzelne Aspekte fokussiert.
    Heinze: Sie selbst beschränken sich ja in Ihren Comics überhaupt nicht auf einzelne Aspekte, sondern wollen es alles zusammenbringen: Naturgeschichte, Zivilisationsgeschichte, Kulturgeschichte. Haben Sie eigentlich so einen Hang zur Vollständigkeit?
    Harder: Nee, ich finde auch das blanke Gegenteil, das ist ja so: Man reißt ja alles nur an. Ich habe das Gefühl, ich stolpere nur von einer Baustelle zur nächsten und ich versuche dann eher, das ganze als großes, zusammenhängendes Ganzes wahrzunehmen. Also, dass sich alle Bereiche, alle Regionen und alle Aspekte gegenseitig beeinflussen. Und diese Stränge kann man zeichnerisch greifbar machen und macht es dadurch vielleicht auf eine neue Art nachvollziehbarer, als wenn man jetzt wirklich sich rein die Sachbücher vornimmt, wo man jetzt vielleicht auf Hunderten oder Tausenden Seiten ganz ausgiebig mit Informationen gefüllt wird. Aber manchmal fehlen mir da eben diese Brückenschläge. Auf jeden Fall spielten bei mir immer solche Gedankengänge eine Rolle: Was führt zur nächsten Entwicklung oder Veränderung? Was bewirkt was?
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Jens Hader, "Gilgamesch"
    144 Seiten, Carlsen Verlag