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"Zeiten des Aufruhrs" am Schauspiel Leipzig
Trübe Tristesse auf fast leerer Bühne

Auf durchgehend fast leerer Bühne, bestückt mit nur ein paar Tischen, zeigt Enrico Lübbe am Schauspiel Leipzig Richard Yates' "Revolutionary Road". Doch die Aufführung von "Zeiten des Aufruhrs", so der deutsche Titel, gerät zum freudlosen Theater, dessen Akteure hinter ihren Möglichkeiten bleiben.

Von Barbara Bogen | 07.12.2014
    "Zeiten des Aufruhrs" lautet die Übersetzung von Richard Yates' 1961 entstandenem Roman "Revolutionary Road", ein Originaltitel, der klüger ist, böser und den Punkt, um den es hier geht, weit besser trifft. "Revolutionary Road" nämlich erzählt bereits von einer Paradoxie, einem schmerzlichen Widerspruch zwischen Sein und Schein, Wirklichkeit und Selbstinszenierung. Mit nachtschwarzem Sarkasmus zeichnet schon der Titel einen Ort, der sich komplett anders gibt als er ist. Revolutionary Road ist eine Straße in einer Vorstadt-Siedlung jenseits von New York um das Jahr 1955. Repuplikanerverehrung und Barbecuegrills scheinen das Höchste der Gefühle, gelegentlich mal eine Liebschaft im Büro oder in der Nachbarschaft. Nichts also ist unwahrscheinlicher, als ausgerechnet hier einem Revolutionär zu begegnen. Alles erstickt in der Atmosphäre von lauernder Bravheit, der Stereotypie der Gesten und geistlosen Gespräche.
    Es herrschte, so heißt es bei Yates und im Stück "eine durch nichts zu erschütternde Fröhlichkeit in dieser Siedlung", mit anderen Worten, ein durch das Milieu verordneter Daueroptimismus, ein Rollenspiel, das die Menschen bis an die Grenze der Verblödung führt, andere, sensiblere wiederum über die Grenzen der Verzweiflung hinaustreibt. April und Frank Wheeler sind so ein Paar, das anders ist oder es vor allem sein will, das die "sentimentale Lüge der Vorstädte" allmählich in den Irrsinn treibt und das doch dabei ist, sich in der Spießerhölle zu verlieren. Europa heißt ihr Fluchtpunkt, Paris die Utopie. Dahin wollen sie, und dahin natürlich, man ahnt es, kommen sie nie.
    "Es geht ja nicht nur um die Leute, mit denen ich tagtäglich im Zug sitze und ins Büro fahre. Niemand interessiert sich mehr für was, niemand begeistert sich mehr für was, es geht nur noch um ihre gottverdammte Mittelmäßigkeit."
    In Enrico Lübbes Uraufführungs-Inszenierung am Schauspiel Leipzig allerdings ist von der "durch nichts zu erschütternden Fröhlichkeit" von Anfang an rein gar nichts zu spüren. Lübbe behauptet eine durchgehend trübe Tristesse auf fast leerer Bühne, bestückt nur mit ein paar nüchternen Tischen, die ständig verschoben werden, ein großes Tischerücken, das als Sitz- und Schlaf-, mal auch als Sex- und Spielfläche dient. Übermächtig schaukelt ein riesiges Reklameplakat über der Szene, das Lust machen soll auf das Leben in den Suburbs, den Vorstädten, doch der freundlich lächelnde Herr auf dem Plakat wirkt viel mehr wie ein Dämon aus der Schule der Frankensteins. Bleiches fahles leicht gelbliches Licht legt sich über die Bühne und hält seine Protagonisten in der Erstarrung der Fünfzigerjahre gefangen.
    Dialoge von der Rampe
    Lübbe inszeniert betont reduziert und extrem konventionell. Dialoge finden häufig vorn an der Rampe statt, mit Blick ins Publikum, als wollten da Lehrer ihren Schülern die Geschichte von Frank und April erzählen. Die Endlosigkeit der Zeit, der Mangel an Leben und Lebensfreude wird zelebriert in minutenlangem Rühren in Teetassen, langen Gesprächspausen. Ein freudloses Theater über fast vier Stunden, das sichtlich vom Anspruch getragen ist, der literarischen Vorlage gerecht zu werden. Aber die große Qualität von Yates Literatur liegt in den Brüchen der Figuren, den Distanzen, den langen ambivalent geführten Reflexionen, die schließlich im krassen Widerspruch zu dem stehen, was die Menschen tatsächlich tun.
    Yates ist ein großartiger und vor allem feinsinniger Erzähler. In feinen literarischen Schichten weist er nach, wie sich die Menschen vor der Wahrheit schützen. Das Schauspeil Leipzig hat jahrelang um die Rechte gekämpft, den Roman in einer Bühnen Fassung herausbringen zu können und hat jetzt gleich die gesamte Spielzeit nach "Zeiten des Aufruhrs" benannt.
    Erst am Ende aber befreit sich der Leipziger Abend aus seinem konventionellen Korsett, und Figuren aus Aprils Vergangenheit verschmelzen mit denen der Gegenwart, sie tanzen in Slowmotion mit riesigen Puppenköpfen. Die Reklametafel dreht sich plötzlich rasend schnell, und von der Rückseite stürzen leuchtende Neonröhren wie Schwerter herunter. Multiple Symbole für die Gummispritze, mit der April ihr drittes Kind abtreiben will, wobei sie stirbt. Lübbe, ansonsten oft ein Meister der atmosphärischen Schwingungen, der unterschwelligen Abgründe, bleibt diesmal trotz seines respektablen Ensembles mit Felix Axel Preißler als Frank, Anja Schneider als April und Michael Pempelforth als der wahrheitsliebende irre Nachbar John, weit hinter seinen Möglichkeiten zurück.
    Sicher, Lebenslügen und Illusionen sind auch im 21. Jahrhundert nicht aus der Welt. Doch etwas mehr Gegenwart, in Inhalt und Inszenierungsstil, wäre dem Leipziger Schauspiel und seinem Publikum dringend zu wünschen.