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Zeitgeistanalyse
"Wir sind eine abgeklärte Generation"

"Wer sind wir eigentlich?" - diese Frage ist Thema der nächsten Ausgabe von "Epilog", Zeitschrift für Gegenwartskultur. Gemeint ist die Generation der zwischen 1985 und 1995 Geborenen. Eine gemeinsame kohärente Haltung zu finden, sei dabei sehr schwierig, sagte der Herausgeber Mads Pankow im Corso-Gespräch. Dennoch könne man erkennen, dass die Generation eine abgeklärte sei, die es sich nicht so einfach mache.

Mads Pankow im Corso-Gespräch mit Ulrich Biermann | 03.01.2017
    Ein junger Mann und eine Frau sitzen in einem Café.
    Ein junger Mann und eine Frau sitzen in einem Café. (imago stock&people)
    Ulrich Biermann: Lost Generation, Babyboomer, Hippies, Punks – bis zum Ende des 20. Jahrhunderts galt so ungefähr jedes Jahrzehnt eine neue Generation, neue Stile, neue Moden, neue Musik. Die Digitalisierung, die hat es verändert. Die Bezeichnungen der Nuller Jahre sind schon vergessen, Nerd und Hipster schwirren noch irgendwo rum, Generation X und Y auch noch, aber kein Begriff scheint wirklich zu treffen. "Wer sind wir eigentlich?" fragt in ihrer nächsten Ausgabe die Zeitschrift zur Gegenwartskultur, die "Epilog". Es wird die sechste Ausgabe sein. Zugeschaltet aus Berlin jetzt, Mads Pankow, Herausgeber, Berater bei der zentralen Intelligenzagentur. Er hat in Marburg, Malmö und Weimar Medien- und Organisationswissenschaft studiert und sich auf technik-philosophische und -soziologische Fragen spezialisiert. Hallo, Herr Pankow!
    Mads Pankow: Hallo, Herr Biermann!
    Biermann: Wenn Sie fragen, wer sind wir eigentlich, was heißt das denn eigentlich in Bezug auf Altersgruppe, mal ganz banal?
    Pankow: Wir haben natürlich, wie bei jedem Generationenpamphlet zuerst immer an uns gedacht. Und wir, gerade in der Redaktion, sind eine Kohorte zwischen '85 und '95, das, was weitläufig als Generation Y bezeichnet wird, ob man diesen Begriff nun übernehmen möchte oder nicht.
    "Ursprünglich war die Idee, tatsächlich mal eine Ansage zu machen"
    Biermann: Warum Pamphlet?
    Pankow: Ursprünglich war die Idee, tatsächlich mal eine Ansage zu machen, zu sagen, so, wir sind die nächsten. Wir kommen jetzt, wir werden gerade, wir jetzt als Zeitschriftenmacher, werden bald die Kulturinstitutionen, das Design, den Sound, die Inhalte prägen. Und je weiter wir uns in das Thema vertieft haben, desto schwieriger wurde es tatsächlich, so einen gemeinsamen Sound zu finden, desto spannender wurden aber die Fragen, die man an so einen Begriff wie Generation stellen kann, oder gerade an die, die gern über Generationen sprechen wollen, weil sie möglicherweise sich abgrenzen wollen nach unten hin, von den Jüngeren.
    Biermann: Abgrenzen, oder ist das nicht auch eine Behauptung, zu sagen, hallo, hier sind wir? Weil das wollten Sie ja tun mit dem Pamphlet. Und Sie haben gemerkt, wenn ich Sie gerade richtig verstanden habe, hallo, da gibt es ja noch ein paar Definitionsfragen.
    Pankow: Ja, das ist die klassische Tragik, wenn man zumindest den Anspruch hat, ansatzweise auch mit Kulturtheorie oder Theorie mithalten zu können in seinen Gedanken, auch wenn man sich nicht so umständlich äußern möchte. Es ist wirklich nicht so einfach. Ich glaube trotzdem – also natürlich kommen wir. Wir müssen bald die Stellen besetzen, die die Babyboomer, wenn man in diesen Generationsbegriffen sprechen möchte, frei halten gerade noch für uns. Aber eine gemeinsame kohärente Haltung zu finden oder einen Sound, ist schwieriger, als es sich das Feuilleton im Moment macht. Ich glaube, es ist trotzdem möglich, aber es lässt sich nicht einfach nur reduzieren auf "die jungen Leute wollen weniger arbeiten, die sind ambitionslos, Generation Praktikum, die sind beziehungsunfähig, die haben aber ganz große Ansprüche, für die sie nichts tun wollen." Das hat man eigentlich auch schon über die Achtziger gesagt, über die Achtundsechziger, über die Zwanziger, wahrscheinlich sogar über die Belle Epoque. Also das sind die Generationsklischees, die von mal zu mal über die Jugend wiederholt werden.
    "Dieser Wille zur Macht hat einen weniger großen Stellenwert"
    Biermann: Aber Sie haben zumindest Ironie in Ihrem Aufruf. Mit viel Power zur Prokrastination, also viel Energie darauf verwenden, dann am Ende doch nichts zu tun.
    Pankow: Was wir schon festgestellt haben, ist zum Beispiel, dass dieser Wille zur Macht einen weniger großen Stellenwert hat als bei Generationen vor uns. Ich glaube, das hat viel mit nicht eingelösten Versprechen zu tun. Unsere Elterngeneration, die Generation unserer großen Brüder und Schwestern auch noch, haben mit viel Energie Karrieren verfolgt, Selbstverwirklichungsszenarien, bis aufs Letzte, bis zur Selbstzerstörung fast ausgekostet, und scheinen damit nicht vollständig glücklich geworden zu sein. Und da muss man sich natürlich die eine oder andere Frage neu stellen. Also, wenn ich jetzt eine gemeinsame Haltung formulieren sollte, könnte man daraus vielleicht sagen, wir sind eine abgeklärte Generation, eine, die es sich nicht so einfach macht.
    Biermann: Jetzt haben wir beide vier Minuten miteinander geredet, und noch gar nicht ist der Begriff "Digitales" gefallen. Smartphone, Computer, IT, nichts von alldem. Hat das nichts mit Ihrer Generation zu tun.
    Pankow: Doch, absolut, ja, natürlich. Aber das sind Oberflächenphänomene. Ich glaube nicht, dass man mit einem Begriff wie Generation Handy oder so oder Generation digital weit kommt. Man kann sagen, dass die Technologie die Art und Weise, wie wir kommunizieren und wie wir uns gemeinsam organisieren, wie wir uns verstehen, verändern. Zum Beispiel demokratisiert das Öffentlichkeit, das Internet. Jeder kann ein beliebig großes Publikum erreichen. Das hat dann positive Wirkungen wir den Arabischen Frühling. Das hat aber auch negative Wirkungen wie Fake News oder Hate Speech. Das sind natürlich alles Phänomene, mit denen unsere Generation groß geworden ist. Da gibt es viele Sorgen, dass wir möglicherweise damit nicht umgehen können, dass wir nicht unterscheiden können zwischen qualifizierten Quellen, verifizierbaren Informationen und Nachrichten, oder nicht. Aber gerade, wenn man sich junge Leute anschaut, das sind die, die gerade sehr gut mit so was umgehen können. Leute, die da in die Falle tappen, sind die, für die Digitalisierung noch etwas Neues ist. Also ich möchte vielleicht zusammenfassend sagen, Digitalisierung ist für uns eigentlich schon so selbstverständlich, dass es nicht mehr als herausstechendes Merkmal zur Selbstbeschreibung tauglich sein könnte.
    "Man muss sich populäre Alltagsphänomene anschauen"
    Biermann: Aber wie analysiert man dann die eigene Generation, überhaupt Zeitgeist, den Generationenbegriff, wenn es so schwammig ist, so weit. Oder definiert den einfach die Generation danach – was ja bitter wäre.
    Pankow: Ja, was meistens passiert. Im Feuilleton findet das so statt. Die Generation danach sagt, ihr seid Generation Praktikum oder freie Liebe oder was weiß ich. Ich fühle mich nicht drin aufgehoben, und kaum jemand anderes tut es. Ich glaube, um so was wie einer Zeitgeist-Kohorte, so möchte ich vielleicht die Generation mal umschreiben, näherzukommen, muss man sich populäre Alltagsphänomene anschauen von tatsächlich dann vielleicht auch im Digitalen, Memes, Videos, Musik, und da schauen, was ist da vielleicht eine übergreifende Haltung, was hält da zusammen. Schön finde ich zum Beispiel, dass es – möchte ich behaupten – in meiner Generation eine Leidenschaft dafür gibt, Dinge schlecht zu machen. Also nicht im Sinne von "Ich rede etwas schlecht", sondern einfach nicht gut, handwerklich nicht gut zu machen. Das kann man in der Musik häufig sehen – na gut, das gab es natürlich im Punk schon, da war es aber so ein Konfrontationsbedürfnis. Jetzt gerade, auch in der Literatur, Stefanie Sargnagel und so, die arbeiten mit einer handwerklich desolaten Form, mit einer Sprache, die eigentlich nicht mehr Konfrontation ist, sondern die sagt, eurer Perfektionswut der Nachkriegsgeneration, die hat zu gar nichts geführt, die interessiert mich nicht mehr. Ich glaube einfach, eine bestimmte Form von schlauen Gedanken kann man besser in dummen Worten sagen. Die kommt da viel klarer heraus. Vielleicht das, was man früher so was wie Bauernschläue nannte, und die dann leider zu Stammtischparolen verkommen ist, die kommt jetzt gerade wieder mit so einem befreiten Sound des etwas proletarisch handwerklich lapidaren Aufspielens.
    Biermann: Also gespielte Unfertigkeit als Widerstand.
    Pankow: Das ist gar nicht gespielt. Das ist einfach – ich glaube, das ist eine Leidenschaft für die Spontaneität, zu sagen, ich denke was, darum sage ich das jetzt gleich, und ich sage das genau in dieser Einfachheit und Schlichtheit, wie es aus mir herauskommt, denn ich glaube nicht daran, dass ich so lange meine Gedanken destillieren und verfertigen kann, bis sie auf alle Zeit Gültigkeit haben. Ich meine, das sind die griechischen, vielleicht antiken Autoren, die so was vielleicht mal geschafft haben. Aber in der Gegenwart – ich bitte Sie, da ist doch alles morgen überholt. Da muss man dann vielleicht auch einfach mal rausrotzen, was gerade so auf der Seele brennt.
    Biermann: Aber warum denn dann eine Zeitschrift wie die "Epilog", die regelmäßig erscheinen sollte, wollte. Klappt jetzt nicht so ganz.
    Pankow: Doch, doch, einmal im Jahr.
    Biermann: Am Anfang wollten Sie mehr.
    Pankow: Ja, am Anfang wollten wir viermal im Jahr. Das ist wahnsinnig viel Aufwand, dafür, dass so was natürlich wirtschaftlich Unsinn ist.
    Biermann: Auch eine Generationenfrage?
    Pankow: Ja. Na ja, klar. Damit hätte ich – ich würde – das birgt jetzt die Gefahr, in genau die Klischees abzudriften, die wir vermeiden wollen. Aber die Art und Weise, zu sagen, ich mache etwas aus Leidenschaft, das bringt jetzt kein Geld, aber mal schauen, wo es mich sonst hinbringt, gerade jetzt in Fragen des kulturellen Kapitals, der Aufmerksamkeit, die man mit so was erzeugt. Ich würde hier nicht sitzen, wenn wir nicht eine Zeitschrift machen würden, mit der wir nichts verdienen, die uns aber sehr viel Freude bringt, und die genau das macht, wovon wir glauben, dass wir es gut können, und zwar Zeitgeistanalyse.
    Biermann: Zeitgeist – ein Begriff, den ich zum letzten Mal in den Achtzigern gehört habe.
    Pankow: Neunziger auch noch mal. Die großartige Zeitschrift "Tempo" hatte es, glaube ich, in ihrem Titel. "Magazin für Zeitgeist".
    Biermann: Ich hatte ihn vergessen. Ich bin älter.
    Pankow: Sie sind – na ja, "Tempo" war '86 bis '96. Das könnte vielleicht –
    Biermann: Nein, die habe ich noch gelesen. Ich bin Jahrgang '60. Das heißt, ich bin nicht digital, definitiv nicht.
    Pankow: Da kommen Sie ja jetzt gar nicht mehr drumherum, müsste man ja fast behaupten.
    Biermann: Ich habe es mir angelernt.
    Pankow: Ja, das reicht ja auch. Das sollte man nicht zum Lebensprinzip machen, glaube ich. Es ist nur eine Technologie.
    "Ich glaube, es gibt eine Abgeklärtheit einfach in Sachen von Ambition und Muße"
    Biermann: Das klingt erleichternd. Haben Sie das Gefühl, Ihre Generation ist frei von diesen Ansprüchen?
    Pankow: Frei von Ansprüchen? Nein, natürlich nicht – vielleicht verschieben sich die Ansprüche hin zu so einem reflektierten "Ach Gott, was ist das gute Leben". Das haben sich natürlich auch vorher schon Leute gefragt.
    Biermann: Was ist die Muße?
    Pankow: Ja, was ist die Muße. Das wäre vielleicht dieses Selbstverwirklichungsding. Das ist, glaube ich, eher so eine Kohorte vorher. Das sind die Leute, die das Berlin und München der Nuller Jahre geprägt haben. Die haben noch gedacht, was ist die Muße, wie kommen wir jetzt auf ganz tolle Ideen. Ich glaube, da sind wir abgeklärter und sagen, ach Mensch, so eine Schreinerlehre ist irgendwie auch scharf, weil dann kann ich mir mein Wohnmobil selbst ausbauen. Super, mache ich. Ich glaube, es gibt eine Abgeklärtheit einfach in Sachen von Ambition und Muße. Heißt ja nicht, dass man nicht tolle Sachen machen kann, aber ob man dafür sein Leben nun vollständig dafür hingeben muss, ist eine andere Frage. Meinten Sie das mit Muße?
    Biermann: Genau. die-epilog.de im Internet. Und wann erscheint die Print-Ausgabe?
    Pankow: Am 27. März wieder, zum Thema Generationen.
    Biermann: Wir sind gespannt. Herzlichen Dank, Mads Pankow!
    Pankow: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.