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Zeitgeschichtliches Panorama

Im Wechsel zwischen persönlichen und politisch-sozialen Ereignissen entsteht die Spannung und Dynamik des Romans "Die Wandlung der Susanne Dasseldorf". Ihn zu schreiben war Joseph Breitbach ein inneres Bedürfnis. Die Handlungen des Romans im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Frankreich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs sind historisch verbürgt.

Von Cornelia Staudacher | 26.03.2007
    Die im Titel avisierte Wandlung der Susanne Dasseldorf findet auf den letzten 20 Seiten des Romans statt. Denn es handelt sich bei dem 1932 erschienenen Roman von Joseph Breitbach nicht, wie man meinen könnte, um einen Entwicklungsroman. Vielmehr entwirft der Autor auf mehr als 500 Seiten ein zeitgeschichtliches Panorama, das exakte Einblicke in die politischen und gesellschaftlichen Konstellationen im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Frankreich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs vermittelt.

    "Die Wandlung der Susanne Dasseldorf" spielt zwischen Dezember 1918 und September '19 in Koblenz, der Geburtsstadt Breitbachs. Die Stadt ist von amerikanischen Soldaten besetzt; eine Annexion der linksrheinischen Gebiete durch die Franzosen ist vorerst abgewendet. Die Bevölkerung arrangiert sich mit den Amerikanern. Trotz eines strengen Fraternisierungsverbots blühen Schwarzhandel, Korruption und Prostitution. Hunger und Armut treiben junge Männer und Fräuleins in die Arme der gut situierten Besatzer.

    Breitbach berichtet aus der Perspektive zweier sozial unterschiedlicher Familien, der wohlhabenden Fabrikantenfamilie Dasseldorf und der Gärtnerfamilie Hecker, die auf dem Dasseldorfschen Grundstück wohnt. In die herrschaftliche Villa werden Soldaten einquartiert, im Hof wird eine Feldküche eingerichtet. Susanne, die Tochter des Hauses, eine eigenwillige, tatkräftige, moderne junge Frau, hält die Fäden in der Hand. Sie führt die Geschäfte, verhandelt mit Heinrich Schnath, dem ehrgeizigen Sekretär der Firma, und greift schlichtend ein, wenn zwischen den Bewohnern des Hauses und den Militärs Streitigkeiten drohen. Sie ist es auch, die die alternden Eltern im eigenen Motorboot ins neutrale Königswinter schippert. Die nächtliche Flucht über den Rhein in der "Nixe", umschifft von Kohlenschiebern, die aus ihren Kähnen Briketts und Eierkohlen anbieten, und beobachtet von der bewaffneten Strompolizei, die den illegalen Geschäften von der Steuerbrücke ihres Dampfers mit Scheinwerfern zu Leibe zu rücken versucht, ist eine der gelungensten Szenen des Romans.

    "Das Geschrei und die Schüsse drangen immer lauter von der Mosel herüber. Frau Dasseldorf und Lisa hielten sich weinend die Ohren zu, Susanne aber starrte nach der Moselmündung.

    Jetzt schob sich der Lichtkegel auf den Rhein. Die Helligkeit tappte zuerst in der Luft, fraß sich einen Weinberg auf dem rechten Ufer hinauf und wieder hinab, über das Eisenbahngelände, auf das Wasser --- da.... jetzt war der Scheinwerfer richtig eingestellt, in seinem Licht zappelte wieder der Kahn mit den beiden Männern. Ein Jahrmarktspanoptikum hätte kein grausigeres "Lebendes Bild" erfinden können. Wie in einem Angsttraum schien der Kahn, in dem die Gesichter der wildrudernden Männer sich wie gelbe Wachsflecken ausnahmen, nicht von der Stelle zu kommen. Das Licht spielte mit ihm, zog sich zurück, fuhr über ihn her, nahm ihn von der Seite oder kitzelte den Männern flackernd die Augen;
    Die Polizeiboote selbst lagen im Dunkel, ihrem Lichtwurf nach schwärmten sie im Abstand nebeneinander und trieben den Kahn vor sich her."

    Die Handlungen und Ereignisse des Romans sind historisch verbürgt und exakt lokalisiert. Die krisenhafte Entwicklung der Rheinlandpolitik und das Verhalten der alliierten Siegermächte wird in den Gesprächen zwischen Louis, Susannes Bruder, der als Journalist in Berlin lebt, und dem amerikanischen Major Cather thematisiert, der von Zeit zu Zeit in diplomatischer Mission nach Paris reist. Die Versuche der Franzosen, eine rheinische Republik auszurufen, waren am Widerstand der Bevölkerung gescheitert, die sogar einen Generalstreik erklärt hatte.

    "'Der Generalstreik hat in Paris Eindruck gemacht', erzählte Cather, als sie sich wieder oben in Cathers Zimmer gegenübersaßen, 'Wilson hat sich diesmal zu einem formalen Einspruch gegen die französische Rheinpolitik aufgerafft. Sicher werden die Rheinländer jetzt eine Zeitlang Ruhe vor diesen Abenteuern haben.'

    'Aber sonst! Wie sieht es dafür bei uns aus! Diese Friedensbedingungen!' sagte Louis traurig.
    Cather schwieg eine Weile. 'Ja, was hat man aus Wilsons idealem Programm gemacht', sagte er endlich.......Louis sah ihn erstaunt an.

    'Ja', sagte Cather, 'etwas haben die amerikanischen Delegierten doch gegen die Franzosen durchgesetzt...... Diese Pläne der Franzosen haben wir verhindert. Die Freiheit der deutschen Verwaltung ist doch im großen ganzen sichergestellt, und vor allem ist die Legitimierung des Belagerungszustandes verhindert."

    Die stilistische Klarheit und Nüchternheit, die den Roman als ein gelungenes Beispiel der Neuen Sachlichkeit ausweist, behält Breitbach auch bei, wenn er über die persönlichen Verwicklungen seiner Protagonisten berichtet - über Susannes anfängliche Aversion gegen Major Cather, der heftig um ihre Gunst wirbt, und über die unglückliche Liebe Schnaths zu Peter Hecker, den attraktiven Gärtnerssohn, der die gesellschaftlich instabile Situation für seine Dienst' zu nutzen weiß und im promisken Soldatenmilieu immer mehr auf die schiefe Bahn gerät.

    " Einen prachtvolleren Körper kann es nicht geben, dachte Schnath, während er, im Bett knieend, den Schlafenden betrachtet. Ob er weiß, wie toll er gebaut ist? Ahnt er, dass ihm keine Frau, wenn sie ihn jetzt sähe, widerstehen könnte?

    Diese Gedanken erfüllten ihn mit Rührung für Peter. Er beugte sich tief über ihn und strich ihm behutsam über den weichen, schwarzen Flaum auf den Oberschenkeln. ... Schließlich streckte er sich neben ihm aus und legte seine Hand auf Peters Hüfte, die andere auf die Waden.

    Er hatte ihn kaum berührt, da warf Peter sich mit einem unverständlichen Murmeln herum. Schnath knipste rasch das Licht aus, dabei musste er sich ein wenig aus dem Bett hinausbeugen. Als er sich zurücklegte, umfingen ihn zwei Arme. Peter presste ihn stumm an sich.

    'Einen Augenblick, meine Brille!' flüsterte Schnath ergriffen und bog zugleich ängstlich den Kopf zur Seite.

    Als er die Brille auf das Nachttischchen legte, kicherte Peter leise vor sich hin. Dann packte er Schnath mit eisernen Armen."

    Im Wechsel zwischen persönlichen und politisch-sozialen Ereignissen entsteht die Spannung und Dynamik des Romans, den zu schreiben Breitbach ein inneres Bedürfnis war. Es sei die Empörung über die Ungerechtigkeit gewesen, die ihn zu dem Roman motivierte, resümieren Alexandra Plettenberg-Serban und Wolfgang Mettmann im Vorwort des von ihnen herausgegebenen Begleitbandes. Er enthält neben einem instruktiven Editionsbericht Briefe Breitbachs aus den Jahren 1921 bis '35 an Alexander Mohr, einen Freund aus Jugendtagen, der wie er, aus gutbürgerlichem Elternhaus stammend, den Idealen des klassischen Humanismus verpflichtet war und seit 1932 mit seiner Frau Elsa als Maler in Athen lebte. Breitbachs homoerotische Avancen an den Freund treten im Laufe der Jahre etwas zurück, doch beklagt er sich immer mal wieder über die kühle Distanz der "Bimssteinbriefe" seines Freundes.

    "Ich war gestern den ganzen Tag krank, so hat mich die lieblose Trockenheit, die aus jeder Zeile deines Briefes spricht, gekränkt und empört.... Der Gedanke, dass Du ein Mensch ohne Herz sein sollst, schmerzt mich und ist mir geradezu unerträglich."

    Vor allem aber sind es die gefährlichen Entwicklungen in Deutschland, die wachsende Ungerechtigkeit und Intoleranz, die ihn beunruhigen. Politik ging ihm ebenso nahe wie Ereignisse im Freundes- oder Familienkreis.

    "Wenn ich über meinen Manuscripten und Notizen sitze, packt mich oft die Verzweiflung angesichts der Indifferenz eines so großen Volkes an den geistigen Werten. ..... Die alte Zeit ist verächtlich, die neue wird in der ersten Generation noch verächtlicher sein, ich schneide beiden meine Fratzen und möchte dieser allgemein habgierigen, verfressenen Menschheit den Spiegel an den Hintern halten, wo sie sich erkennen soll. Dieses Jahrhundert hat den Bauch mit dem Gesicht, und den Schwanz mit dem Herz verwechselt. Man stelle sich daneben und lache über diese Parade."

    Die Briefe sind nicht nur als Informationsquelle eine interessante, zudem spannend zu lesende Ergänzung zu dem Roman. In ihrer emotionalen Spontaneität und stilistischen Kunstfertigkeit legen sie auch auf bewegende Weise Zeugnis ab von der Unangepasstheit und der inneren wie äußeren Rebellion eines Mannes, der ebenso freiheitsliebend wie liebeshungrig, ebenso deutsch patriotisch wie frankophil, ebenso ästhetisch ambitioniert wie sozial engagiert war: Joseph Breitbach, ein homme de lettres, der sich zeit seines Lebens für Toleranz, Mitmenschlichkeit und die deutschfranzösische Aussöhnung einsetzte.