Archiv


Zeitschriftenkritik: EDIT, Nr. 25

Das Leistungsprofil für junge Autoren, die sich hierzulande die Attribute "modern" und "zeitgenössisch" verdienen wollen, sieht vor allem rhetorische Qualifikationen vor. Er sollte eloquent sein, unser junger Autor, geistreich, mitteilungsfreudig, ironisch, smalltalkfähig und hinreichend schlagfertig, um für alle kommunikativen Erfordernisse der Event-Kultur gerüstet zu sein. Wer aber ein wirklicher Schriftsteller ist, der macht ganz andere Erfahrungen, und zwar wird er jener Verlustangst ausgesetzt sein, die weiland auch Hugo von Hofmannsthals Lord Chandos erfasste, so dass er in seinem berühmten Brief bekennen musste: "Mein Fall ist, in Kürze, dieser: Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen."

Michael Braun |
    Über beide Schriftstellertypen in der jungen Literatur: den formulierungsflinken, kommunikationshungrigen und modebewussten Pop-Autor einerseits, und den sich unablässig zergrübelnden, an der Grenze zum Wahrnehmungsverlust entlangschreibenden Sprachskeptiker andererseits erhalten wir in der Leipziger Literaturzeitschrift EDIT zuverlässige Auskunft. Seit nunmehr acht Jahren präsentiert sich EDIT als bedeutendste Probebühne für literarische Begabungen und junge, aufstrebende Autoren. Im Jubiläumsheft von EDIT, der Nummer 25, wird mit dem Schweizer Autor Michael Stauffer ein später, der Zerstreutheit anheim gefallener Nachfahre von Hofmannsthals Lord Chandos vorgestellt, der seine Wahrnehmungs- und Beschreibungsunfähigkeit ironisch zur Schau stellt.

    In seiner Prosa hat es sich Stauffer zur Methode gemacht, alle Fiktionen einer Ich-Identität und alle festen Positionen eines erzählenden Subjekts aufzulösen. Hier stolpert ein Ich-Erzähler verdrießlich durch die Welt, der auch zu den einfachsten alltäglichen Lebensvollzügen nicht befähigt scheint. Es handelt sich hier, wie Matthias Teiting in seinem EDIT-Porträt von Michael Stauffer schreibt, um einen Universalgelehrten als "Eigensaftschmorbraten", der sich über sein eigenes Treiben lustig macht und in lapidaren Sätzen seinen Weltverlust kommentiert:"Ich weiß alles, ohne dass es mich interessiert."

    Neben dem klugen Stauffer-Porträt enthält die neue EDIT eine bizarre, hoch beschleunigte Erzählmontage von Nils Mohl, in der sämtliche Akteure dem finalen Crash entgegenstürzen, und phantastische Prosaminiaturen von Paul Brodowsky, die als Naturbeobachtungen daherkommen, aber unversehens bedrohliche Wendungen nehmen.

    Aus den Naturszenarien heraus, und mitten hinein in das großstädtische Nachtleben vergnügungssüchtiger Jungmenschen aus der Werbebranche führt schließlich eine Textprobe aus Rainer Merkels demnächst erscheinenden Roman "Das Jahr der Wunder". Hier suchen die Akteure verzweifelt nach emotionalen Ekstasen, finden aber immer nur die Leere des eigenen Narzissmus. Am Ende des EDIT-Jubiläumshefts steht ein aufregendes Gespräch mit Georg Klein, der hier mit funkelnden Pointen zum Verhältnis von Geld und Geist und von alten und neuen Medien seine Poetik deponiert hat. Auch eine Provokation des liberalen Literaturbetriebs darf selbstverständlich nicht fehlen. Nachdem er von einem gewalttätigen Zwischenfall in einer Berliner U-Bahn berichtet hat, resümiert Klein: ">Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein < ist ein hohl dröhnender Spruch. Allerdings gibt es immer wieder Momente, in denen ich stolz darauf bin, ein Schriftsteller deutscher Sprache zu sein."

    Über den Stolz und die Fron, ein Schriftsteller deutscher Sprache zu sein, wird wohl nirgendwo so produktiv gestritten wie in der Leipziger Literaturzeitschrift EDIT. Die Jubiläumsnummer 25 von EDIT erhalten sie beim "Literaturverein EDIT"- im Gerichtsweg 28, 04103 Leipzig. 66 Seiten kosten 9 Mark.