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Zeitungs-Shops und Leserreisen
Die Bauchläden der Medienhäuser

Um ihre journalistische Arbeit zu bezahlen, verdienen Zeitungsverlage längst auch an Reisen, Designermöbeln und Konferenzen. Der jüngste "Spiegel"-Titel hat eine alte Diskussion neu entfacht: Wie unabhängig können privatwirtschaftliche Medien agieren?

Von Annika Schneider | 13.08.2019
Die Zeitung "Die Welt" aus dem Haus Axel Springer wirbt am 27.02.2016 in Berlin in der Nähe der Springer-Zentrale mit einem großen Gasballon.
Die Zeitung "Die Welt" nutzt ihre Marke auch, um Leserreisen und Kunst zu verkaufen - wie viele andere Medienhäuser (picture alliance / Wolfram Steinberg)
Es ist ein uralter Konflikt im Journalismus: Auf der einen Seite sollen Journalistinnen und Journalisten unabhängig berichten, ohne sich dabei an den Interessen von Parteien oder Unternehmen auszurichten. Auf der anderen Seite muss jedes privatwirtschaftliche Medienhaus auch Geld verdienen – und das geht nur mit Querfinanzierung.
Zeitungen und Zeitschriften zum Beispiel lassen sich eben nicht allein über den Kaufpreis finanzieren, sondern verkaufen seit jeher auch Werbeanzeigen. Umso wichtiger ist die klare Trennung von redaktionellen und werbefinanzierten Inhalten, die Ziffer 7 des Pressekodex unmissverständlich einfordert - damit soll verhindert werden, dass der finanzstarke Anzeigenkunde verlangt, dass die eigene Firma nur positive Schlagzeilen macht.
"Spiegel"-Artikel passt nicht zu eigenen Leserreisen
So weit, so klar. Dass die Lage inzwischen aber um einiges komplexer ist, zeigt die aktuelle Ausgabe des "Spiegel". Deren Titelbild kreuzt ein bedrohlich dampfendes Schiff. Darüber die Worte "Wahnsinn Kreuzfahrt – die dunkle Seite des Traumurlaubs". Zehn Seiten widmet das Magazin den ökologischen und sozialen Nebenwirkungen des Kreuzfahrerbooms. Das Pikante: Gleichzeitig bietet der Verlag selbst Leserreisen mit dem Expeditionsschiff "Ocean Diamond" nach Island und Grönland an.
Im konkreten Beispiel macht die Redaktion den Interessenskonflikt selbst deutlich: "Beim ‚Spiegel‘ agieren Verlag und Redaktion unabhängig voneinander", lautet die Erklärung im Editorial des Heftes. Die Titelgeschichte ist quasi der Beleg dafür, dass in dem Haus kritische Berichterstattung ohne Rücksicht auf das eigene Reiseportfolio möglich ist.
Wein und Schmuck im Zeitungsshop
Fraglich ist, ob diese Trennung immer so einfach ist. Denn seit sich mit Print-Abos immer weniger Geld verdienen lässt, entdecken die Verlagshäuser andere Geschäftsmodelle für sich. Sie verkaufen ihren Leserinnen und Lesern Reisen in alle Welt, veranstalten hochkarätige Konferenzen und unterhalten eigene Online-Shops.
Die "Süddeutsche Zeitung" zum Beispiel vertreibt online nicht nur bayerische Souvenirs, Schmuck und Designobjekte, sondern kuratiert in der "SZ Vinothek" auch Wein. Das Angebot der "tageszeitung" reicht vom Hanfrucksack bis zum Babybody. Auch im Shop der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" findet sich allerlei, darunter ein Faltrad, Goldmünzen mit Sonderprägung und Möbel.
Werbung deutlich kennzeichnen
In einem eigenen Tochterunternehmen unterstützt die FAZ außerdem Projekte "rund um Digitalisierung und digitale Kommunikation". Das "Handelsblatt" betreibt mit seinem "Wirtschaftsclub" ein Angebot, dass "Inspiration, Austausch und Vorteile in einer exklusiven Gemeinschaft" verspricht. Wer das Blatt abonniert, wird automatisch Mitglied und bekommt unter anderem Zugang zu Netzwerktreffen und Rabatte bei Partnerunternehmen. Leserreisen sind da fast schon ein Klassiker: Die "Welt" bietet genauso wie viele Lokalblätter ein breites Spektrum von Tagesausflügen bis hin zu mehrtägigen Fahrten in Luxuszügen.
Um die redaktionellen von den kommerziellen Inhalten zu trennen, finden sich die Angebote meist auf eigenen Portalen, separiert von der redaktionellen Berichterstattung. Verlinkungen darauf sind im Idealfall mit dem Wort "Anzeige" gekennzeichnet - ähnlich wie die Werbeseiten in Zeitungen.
Ökonomischer Einfluss auf redaktionelle Entscheidungen
Trotzdem beobachtet Gerret von Nordheim vom Institut der Journalistik an der TU Dortmund eine Veränderung. Früher habe es zum guten Ton gehört, gerade kritisch über regelmäßige Anzeigenkunden zu berichten: "Man wollte nicht in den Verdacht geraten, dort Hofberichterstattung zu betreiben." Ob das heutzutage im Zuge der ökonomischen Krise noch der Fall sei, dürfe bezweifelt werden, sagte Nordheim im Dlf.
Der Autor des Buchs "Journalismus ist kein Geschäftsmodell" betonte, Journalismus sei nur solange unabhängig, solange auch die Geschäftsmodelle halbwegs funktionierten - und das täten sie nicht mehr so wie früher. "Deswegen kann man tatsächlich leider häufiger beobachten, wie ökonomische Rationalität anfängt, redaktionelle Entscheidungen zu beeinflussen."
Neue Finanzierungsmodelle gesucht
Ein Beispiel dafür seien auch Inhalte, die Journalisten gezielt an Facebooks Algorithmen ausrichteten, um mehr Sichtbarkeit und Klicks zu erzielen, sagte Nordheim: "Das ist ja auch eine Form der Vermischung von ökonomischen Motiven und redaktioneller Arbeit." Gleichzeitig warnte er davor, journalistische Normen auf das Anzeigengeschäft zu übertragen: "Das ist meiner Meinung nach getrennt zu denken."
Um die Finanzierung von Journalismus zu sichern, müsse mehr über Journalismus geredet und sein Wert für die Gesellschaft verdeutlicht werden, forderte der Wissenschaftler: "Da sind auch Journalisten selbst gefragt." Außerdem müssten die Verlage mehr interessante digitale Produkte für Jüngere anbieten: "Spotify für Regionalzeitungen wäre beispielsweise so eine Idee."
Wenn das nicht genüge, müsse Qualität und Vielfalt des Journalismus medienpolitisch gesichert werden. Facebook und Google könnten zum Beispiel durch gemeinwohlorientierte Intermediäre ersetzt werden, die ähnlich wie der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk organisiert werden könnten.