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Zeitungssterben
Digitale Ablösung

Michael Fleischhacker ist sich in "Die Zeitung - ein Nachruf" sicher: Die Zeitung wird sterben. Das ist für ihn jedoch nicht unbedingt etwas Negatives: Digitale Medien könnten eine dialogischere öffentliche Kommunikation fördern.

Von Ludger Fittkau | 03.03.2014
    Ein Mann sitzt in einem Cafe und liest eine Zeitung.
    Irgendwas verpasst? Das sind die Themen des Jahres, über die niemand mehr spricht. (dpa / picture alliance / Paul Zinken)
    Die gedruckte Zeitung wird sterben. Daran gibt es für Michael Fleischhacker keinen Zweifel. Wie lange es noch Papierzeitungen geben wird, darüber will er nicht orakeln. Aber sterben werden sie. Ihre Inhalte werden auf neuen technischen Wegen via Computer und Internet einfacher, schneller und billiger transportiert. Die Druckausgaben der Zeitungen haben nur noch eine Frist, bevor sie in den elektronischen Wellen des digitalen Zeitalters untergehen werden. Auch Online-Abos werden die gedruckte Zeitung auf lange Sicht nicht retten, ist der österreichische Journalist überzeugt.
    "Dass Meldungen wie jene, dass die New York Times 2012 erstmals mehr Vertriebs- als Anzeigenerlöse verzeichnete, als positive Nachrichten präsentiert werden, ist ein Zeugnis weitgehender Ahnungslosigkeit: Es bedeutet nur, dass die Anzeigenumsätze weiter erodieren. Und es gibt zurzeit keine Anzeichen dafür, dass sie durch neue Vertriebserlöse im Netz auch nur annähernd substituiert werden können. Im Herbst 2013 meldete die New York Times, dass sie die Zahl ihrer Online-Abonnenten um 28 Prozent steigern konnte. Der Gesamtumsatz des Unternehmens stieg um zwei (!) Prozent."
    Kriege als Erfolgsgaranten für Zeitungen
    Die Einnahmen, die die Zeitungsverlage im Internet machen, kompensieren die Abo- und Anzeigenverluste bei den Papierzeitungen in der Regel nicht. Mit ihren Druckerpressen machen die Medienhäuser weltweit immer weniger Gewinn. Michael Fleischhacker drückt es drastisch aus: "Der Tageszeitungsmarkt wird von Untoten bevölkert". Es sei deshalb an der Zeit, sich von der gedruckten Zeitung mit einem angemessenen Nachruf zu verabschieden. Auf 150 Seiten bietet der Autor eine knappe, aber höchst lesenswerte Geschichte des Zeitungswesens vom Beginn des 16. Jahrhunderts bis heute. Kriege sind es, die maßgeblich zum Erfolg der Zeitung als Massenmedium beitragen. Mit dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges im 17. Jahrhundert kommt es zu einer regelrechten Gründungswelle. Michael Fleischhacker:
    "Es gibt ja auch das Diktum: Der Krieg ist der Vater aller Zeitungsdinge. Gerade in der Anfangsphase war das ein wirklicher Boost, weil wir diese Serie von Einzelkriegen hatten, die wir heute als den Dreißigjährigen Krieg kennen, beginnend mit dem Prager Fenstersturz 1618. Wo einfach die Information über das Kriegsgeschehen für viele Leute substanziell war, weil der Kriegsverlauf ihnen sagte, wo man sein kann und wo nicht."
    Nach dem Westfälischen Frieden von 1648 gibt es einen Niedergang des Zeitungswesens, den Fleischacker wirtschaftlich begründet sieht. Ende des 17. Jahrhunderts nimmt die Zahl der Zeitungstitel dann wieder deutlich zu. Zeitungen und dramatische gesellschaftliche Umbrüche bilden auch später immer wieder eine Symbiose. Etwa während der Französischen Revolution:
    "Die Erklärung der Bürger- und Menschenrechte am 26. August 1789, in der auch die Pressefreiheit als Menschenrecht festgehalten wird, führte zu einer in der Weltgeschichte bis dahin nie da gewesenen Explosion von Presseprodukten. Während der ersten drei Revolutionsjahre entstanden jedes Jahr mehr als 300 Zeitungen und Zeitschriften, bis zum Ende des Revolutionsjahrzehntes 1799 wurden neben 2.000 Zeitungen und Zeitschriften an die 40.000 Flugschriften veröffentlicht."
    Die sogenannte "vierte Gewalt" im Staate, für die die Presse stehen soll, hält Michael Fleischhacker vor allem für eine "Nachkriegskonstruktion" aus der Zeit nach 1945. Ob die "Süddeutsche Zeitung" oder die französische Zeitung "Le Monde": Diese Neugründungen gehen auf Umerziehungs-Initiativen der Alliierten zurück, beschreibt Fleischhacker. Die Rede von der "vierten Gewalt" hält der Autor heute für problematisch:
    "Die Idee, dass die Medien die "vierte Gewalt" (…) oder der "vierte Stand" (…) seien, ist zumindest in Frankreich und England fast so alt wie die Idee der Gewaltentrennung selbst. Freilich wird in der zeitgenössischen Debatte gern vergessen, dass Montesqieu, wie fast ein Jahrhundert davor Hobbes, in erster Linie der Rechtsstaatlichkeit, nicht der Demokratie ein institutionelles Fundament bauen wollte. Das hat damit zu tun, dass man inzwischen alles, was man an gesellschaftlichen Konventionen für wünschenswert hält, zu "demokratischen Werten" erklärt."
    Medien müssen unabhängig bleiben
    Michael Fleischhacker plädiert auch klar gegen jede Überlegung, das Zeitungssterben durch staatliche Subventionen - etwa aus Rundfunkgebühren - zu verzögern. Massenmedien wie die Zeitung oder eben das Nachfolge-Medium Internet erfüllten in modernen Gesellschaften nur ihre Funktion, wenn sie unabhängig blieben, betont der Autor:
    "Arthur Miller hat für mich dazu den schönsten Satz geprägt, nämlich: Eine gute Zeitung ist das Gespräch einer Nation mit sich selbst. Ich glaube, es spricht nichts gegen die Ansicht, dass das auch digitale Medien übernehmen können."
    Fleischacker vermutet, dass digitale Medien - anders als gedruckte Zeitungen - die Chance bieten, wieder zu einer dialogischeren öffentlichen Kommunikation zu kommen als sie im Zeitungszeitalter möglich war:
    "Es gibt eine ganz starke und uns sehr liebe Tradition der dialogischen Wissens- und Denkensentwicklung. Und die ist wieder stärker da. Und so sehr man sich auch lustig machen kann aus guten Gründen über Dinge wie diesen Kurznachrichtendienst Twitter, in dem von der Celebrity - Liebesentzugserklärung bis zum politischen Kommentar alles steht: Was wir tun heute, wir schreiben sprechend und wir sprechen schreibend. Twitter sind simulierte Gesprächssituationen auf der Grundlage von Text."
    Sekundäre Oralität nennt Fleischhacker diese Entwicklung - gestützt auf einige Medienwissenschaftler. Sein Buch ist eine glänzend geschriebene "kleine" Geschichte der Zeitung mit anregenden Ausblicken auf die digitalen Massenmedien der Gegenwart und der Zukunft. Auch die medientheoretischen Überlegungen bleiben jederzeit nachvollziehbar. Michael Fleischacker stimmt eine Art fröhlichen Abgesang auf die gedruckte Zeitung an, ohne ihre Bedeutung vor allem für die moderne Demokratiegeschichte gering zu schätzen. Als Einführungsbuch zur Geschichte des Zeitungswesens unbedingt empfehlenswert.
    Michael Fleischhacker: Die Zeitung - ein Nachruf. Brandstätter-Verlag, 150 Seiten, 19,90 Euro