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"Zellen"
Louise-Bourgeois-Ausstellung im Haus der Kunst in München

Von Christian Gampert | 01.03.2015
    Wer von Louise Bourgeois redet, muss von den Spinnen sprechen, den riesenhaften, krakenhaften Skulpturen, die "Maman" heißen und ein Flair von skurriler Bedrohung auf öffentliche Plätze bringen, überall in der Welt. Mutti als Monster, das scheint der letzte Schrei, obgleich die Künstlerin selbst es doch liebevoll gemeint haben will: Ihre Mutter war Weberin (wie die Spinne halt auch), Tapisserie-Restauratorin, sie hatte für die kleine Louise Bourgeois eine Art Schutzfunktion. Aber sie war auch krank und leidend und nahm die Tochter über Gebühr in Anspruch.
    Die Frage ist: Wie kann es eigentlich sein, dass eine Gregor-Samsa-artige Horrorvision weltweit soviel Zustimmung auslöst? Dass alle sich im Schrecklichen geborgen fühlen? Offenbar erzählt die persönliche Leidensgeschichte der Louise Bourgeois von viel allgemeineren Ängsten, von den Schrecken unserer Sozialisation. Und so ist "Maman", die Riesenspinne, auch in München präsent: Sie hockt wie ein Wächter über einem gefängnisartigen, vergitterten Raum, in dem einsam ein Sessel steht.
    "Zellen" nennt Louise Bourgeois diese Environments, die ihr Spätwerk bilden und vielleicht ihr Œuvre resümieren. Sie sind Orte der Absonderung und des Ausgeschlossensein, Kloster- und Gefängniszellen, Isolationsräume - aber auch Schutzbunker. Zellen in einem biologischen Sinne, als Kraftquell, aber - implizit - auch eine Absage an den Kunstbetrieb, meint die Kuratorin Julienne Lorz.
    "Es ist auch eine formale Sache - indem sie sich sozusagen vom Ausstellungsraum abgrenzt und ihren eigenen Raum im Ausstellungsraum kreiert und das dann vollpackt mit verschiedenen Objekten, mit ihren eigenen Skulpturen, mit Kleidungsstücken, die sie selber getragen hat oder ihre Mutter getragen hat."
    Bourgeois' Installationen sind vor allem Erinnerungsräume. Bourgeois' Vater schlief mit dem Dienstmädchen, die Mutter litt und kränkelte, die Tochter wurde missachtet. Diese Themen tauchen immer wieder auf, am stärksten in "The Destruction of the Father", wo die Innereien des Vaters kleingehäckselt auf dem Abendbrottisch liegen, diabolisch beleuchtet; und natürlich in der "Passage dangereux": ein vergitterter Korridor, wo eine Kinderschaukel und eine Art Thronsessel (oder elektrischer Stuhl?) zu vier eisernen Füßen führen, die durch ihre Stellung ein kopulierendes Paar andeuten.
    Aber, jenseits der Autobiografie, sind das die Schrecken der westlichen Welt. Ihr Leben lang hat Bourgeois ziemlich radikale Zeichnungen, Gemälde und Skulpturen gefertigt (sie hatte bei Fernand Léger gelernt), die auf verschiedene Strömungen der zeitgenössischen Kunst Bezug nehmen und die Verletzbarkeit des Menschen, der Frau thematisieren. Die Fondation Beyeler hat Bourgeois 2011 im Kontext ihrer Zeitgenossen gezeigt; in München sind Entwürfe und einzelne Objekte nur in den Nebenkabinetten zu sehen.
    Aber die Hauptsache, diese große Zahl von "Zellen", ist wahrscheinlich noch nie so gut, so düster, so theatralisch, so geisterbahnhaft inszeniert worden wie in dieser Ausstellung. Die "Zellen" bestehen zum Teil aus Drahtgittern, in einer früheren Werkphase auch aus Fenstern und ausrangierten Türen, die abgeschlossene Räume bilden. Sie sind schiere Körperlichkeit. Huis Clos, geschlossene Türen. Man sieht dort als irgendwie ungebetener Gast hinein. Man erkennt gynäkologische Werkzeuge und Reaganzgläser, Hocker und Stahlrohrbetten, riesige runde Objekte, die wie Brüste im Doppelpack auftreten, Spiegel und Zerrspiegel, Abgüsse von Körperteilen und Knochen, Puppen, wirbelsäulenartige Skulpturen, von der Decke hängende Kleidungsstücke.
    Es sind Bühnenbilder, in denen man Platzangst bekommt und bekommen soll. Mnemotechnische Sperrmüll-Butzen. Symbolwerkstätten der Psychoanalyse. Edward Kienholz und George Segal haben, im Dunstkreis der Pop-Art, formal stringentere Environments menschlicher Entfremdung geschaffen - aber an die theatralische Kraft von Louise Bourgeois und ihrer Horrorkabinette reichen sie nicht heran.
    Das "Haus der Kunst", der alte Nazi-Bau mit seiner düsteren Pathetik ist genau der richtige Ort für diese Ausstellung. In einer der letzten von Bourgeois konstruierten "Zellen" führt dann eine Wendeltreppe nach oben - ins Freie. Ein Hoffnungsschimmer.