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Zellforschung
Warum der Stammbaum des Menschen neu gedacht werden muss

Ein in der Tiefsee entdeckter Mikroorganismus wirbelt derzeit die traditionelle Sicht über den Stammbaum des Lebens durcheinander. Es geht um die Ursprünge der höheren Lebewesen wie Pilze, Pflanzen und Tiere, die alle Zellen mit einem Zellkern besitzen und damit zu den Eukaryonten zählen. Doch der neue Fund zeigt: Es könnte alles anders gewesen sein.

Von Dagmar Röhrlich | 07.05.2015
    Man könnte sagen, dass wir Menschen eigentlich Archaeen sind - so spitzt der Thijs Ettema von der Universität Uppsala seine Forschungsergebnisse zu. Typischerweise wird das Leben auf der Erde in drei Domänen aufgeteilt. Da ist die Domäne der Bakterien und die Domäne der Archaeen. Das sind beides Organismen, die aus einfachen Zellen ohne Zellkern bestehen und die deshalb allesamt Prokaryonten genannt werden. Die dritte Domäne, das sind die Eukaryonten, zu denen die Hefepilze ebenso gehören wie wir Menschen.
    Es sind Lebewesen mit sehr viel größeren, komplex aufgebauten Zellen, die einen Zellkern besitzen und Zellorganellen wie Mitochondrien zur Energieerzeugung. Die Eukaryonten müssen sich aus den Prokaryonten heraus entwickelt haben. Die Frage ist nur - wie.
    Aufgrund früherer Forschungen war klar, dass die Archaeen näher mit uns verwandt sind als die Bakterien. Wir schienen einen gemeinsamen Vorfahren zu haben, aus dem beide Gruppen entstanden sind. Archaeen und Eukaryonten wären danach "Geschwister":
    Überraschungen im Tiefseeschlamm
    "Als in den vergangenen Jahren immer mehr Gensequenzen analysiert wurden und uns immer bessere Techniken zur Verfügung standen, begann sich diese klassische Sicht der drei Domänen etwas zu verändern."
    Und als sich Thijs Ettema und seine Kollegen jetzt mit hochmodernen Methoden zur genetischen Analyse die zehn Gramm Tiefseeschlamm aus dem Nordatlantik vornahmen, die sie als Probe erhalten hatten, machten sie eine überraschende Entdeckung: Sie fanden mit Lokiarchaeota ein Archaeon, das die traditionelle Einteilung des Lebens über den Haufen werfen könnte:
    "Wir haben es geschafft, das Genom von Lokiarchaeota zu rekonstruieren. Wir stellten fest, dass die Angehörigen dieser Gruppe direkte Verwandte des gemeinsamen Ahnen von Archaeen und Eukaryonten sind. Unseren Forschungen zufolge landen die Eukaryonten dann tatsächlich in der Domäne der Archaeen. Wenn wir es genau nähmen, wären Eukaryonten in Wirklichkeit Archaeen."
    Wenn man so will, wäre es also eine Beziehung wie zwischen Eltern und Kind. Lokiarchaeota - kurz Loki genannt - besitzen rund 100 Gene, die bislang nur von Eukaryonten bekannt sind. Einige dieser Gene legen nahe, dass Loki eine einfache Apparatur besitzt, um sich andere Zellen einzuverleiben. Genau diese Eigenschaft hätte die Zelle besitzen müssen, aus der die Eukaryonten entstanden sind:
    "Eukaryonten besitzen Endosymbionten, also Abkömmlinge von einstmals selbstständigen Bakterien. Die Mitochondrien sind ein Beispiel dafür. Sie waren Bakterien, die vor etwa zwei Milliarden Jahren, während einer frühen Phase der Eukaryonten-Evolution, in die Zellen integriert worden sind. Das Archaeon Loki besitzt also bereits ein primitives Werkzeug, das bei der Aufnahme von Endosymbionten eine Rolle gespielt haben könnte."
    Ein großer Durchbruch
    Bislang ist nur Lokis Genom bekannt, es konnte noch nicht im Labor gezüchtet werden. Deshalb ist offen, ob die Gene bei einem Archaeon die gleichen Funktionen erfüllen wie bei einem Eukaryonten. Aber anscheinend deckt Loki die erste Phase des Übergangs ab, ist nahe am "missing link". Und so beurteilt Martin Embley von der University of Newcastle die Arbeit seiner Kollegen:
    "Diese Studie ist ein großer Durchbruch, aber erst der erste Schritt. Wir können mit dem von Ettema und seinen Kollegen gewählten Methoden auf die Suche nach noch näheren Verwandten der Eukaryonten gehen."
    Auf diese Weise ließe sich der letzte gemeinsame Ahn von Archaeen und Eukaryonten immer besser rekonstruieren.