Donnerstag, 25. April 2024

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Zentrale Einrichtungen für Asylverfahren
"Das ist mit Sicherheit hilfreich, um Menschen zu desillusionieren"

Im 28-seitigen Sondierungspapier haben Union und SPD festgehalten, Asylverfahren künftig in zentralen Einrichtungen durchzuführen. Dadurch könnten Menschen vor allem schnell aus dem Land getrieben werden, sagte Thomas Oberhäuser, Anwalt für Asyl- und Ausländerrecht, im Dlf. Er kritisierte, dass dort "faktisch keine Rechtsberatung" stattfinde.

Thomas Oberhäuser im Gespräch mit Martin Zagatta | 13.01.2018
    Flüchtlinge stehen am 25.08.2015 im Erstaufnahmelager für Flüchtlinge in Friedland (Niedersachsen). Das eigentlich für rund 700 Menschen konzipierte Lager im Landkreis Göttingen ist zur Zeit mit mehr als 3000 Menschen belegt.
    In den geplanten Aufnahme- und Entscheidungslagern für Zuwanderer sei faktisch keine Rechtsberatung möglich, kritisiert der Jurist Thomas Oberhäuser im Dlf (picture-alliance/ dpa / Swen Pförtner)
    Martin Zagatta: Am Asylrecht wird nicht gerüttelt, das betonen CDU/CSU und SPD ausdrücklich in der Übereinkunft, die sie jetzt in den Sondierungsgesprächen über eine Neuauflage der Großen Koalition ausgehandelt haben, aber sie wollen die Zuwanderung von Flüchtlingen begrenzen und höchstens 220.000 Menschen im Jahr ins Land lassen, mit zentralen Einrichtungen für Flüchtlinge und auch mit einer Neuregelung beim Familiennachzug. Der Nachzugstopp für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus wird aufgegeben, aber 1.000 Familienangehörige pro Jahr, auf diese Zahl wird er begrenzt.
    Was ist da jetzt zu erwarten, was bedeutet das in der Praxis, und wie wird sich das auswirken? Das kann ich jetzt Thomas Oberhäuser fragen, er ist Fachanwalt für Asyl- und Ausländerrecht und auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Ausländer und Asylrecht im deutschen Anwaltsverein. Guten Morgen, Herr Oberhäuser!
    Thomas Oberhäuser: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Oberhäuser, Sie haben diese Sondierungsvereinbarung ja auch schon durchgelesen. Auf den ersten Blick: Ist das jetzt sinnvoll, sind das Maßnahmen, mit denen man die Zuwanderung tatsächlich begrenzen kann?
    Oberhäuser: Nun, das ist natürlich differenziert zu sehen. Die Zuwanderung legal zu begrenzen mit Maßnahmen, die den Nachzug einschränken, ist natürlich möglich. Die Frage ist immer, was passiert dann. Was machen die Menschen, wenn sie keine legalen Zugangsmöglichkeiten finden, wenn ihre Angehörigen nicht kommen dürfen. Da wird sich die Frage schon stellen, ob das tatsächlich an der Zuwanderung selber im Ergebnis etwas ändert.
    "Keine Gerechtigkeit in kurzer Zeit"
    Zagatta: Aber Sie sagen, das sei legal. Also wenn wir jetzt mit dem Stichwort Familiennachzug beginnen für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus, der soll jetzt wieder zugelassen werden, aber nur für maximal 1.000 Angehörige pro Monat. De facto ändert sich damit jetzt sehr viel. Es gibt ja auch schon – deswegen frage ich das –, es gibt ja auch schon entsprechende Gerichtsurteile, an die sich die Bundesregierung halten musste.
    Oberhäuser: Das angesprochene Gerichtsurteil ist das erste in diesem Zusammenhang, das positiv ausgegangen ist, und das war auch ein jahrelanger Rechtsstreit, und in diesem jahrelangen Rechtsstreit ist ein Kind, das als Kind hier eingereist ist, älter geworden und hat so viel Schaden erlitten, dass man nicht sagen kann, das Gericht hat nun die ideale Lösung gefunden, an der wir uns alle orientieren können, sondern es war eine Lösung, die eben nach Jahren erstritten wurde, und in der Zeit hat das Kind unglaublich viel gelitten, und das wird, wenn man alles auf die Gerichte schiebt und sagt, Härtefälle müssen halt die Gerichte lösen, halt weiter passieren.
    Es wird keine Gerechtigkeit in kurzer Zeit stattfinden, sondern es wird über Jahre ausgefochten werden, und in der Zeit wird das Kind alt und älter und möglicherweise volljährig, und dann ist es eh vorbei mit dem Nachzug. Also das ist mit Sicherheit kein Königsweg.
    Und die 1.000 Personen, die da angesprochen werden, die da pro Monat kommen sollen, angesichts der ohnehin schon bestehenden Restriktionen beim Nachzug in faktischer Hinsicht, weil die Botschaften ja immerhin die verteilen müssen – das geht alles nicht so furchtbar schnell –, wenn man jetzt noch 1.000 mehr da zulassen würde, das ist auch keine nennenswerte Zahl.
    "In diesen Lagern faktisch keine Rechtsberatung"
    Zagatta: Aber das wäre dann für die Betroffenen zumindest ja schon mal eine Lösung. Die Befürworter haben da ja, glaube ich, von 60.000 insgesamt gesprochen. Also das wäre dann in fünf Jahren zumindest auch erfüllt.
    Aber zweites Thema: Asylverfahren sollen künftig in zentralen Aufnahmeentscheidungs- und dann auch in Rückführungseinrichtungen durchgeführt werden, also ähnlich wie das jetzt in Bayern, in Bamberg und manchen bei Ingolstadt ja schon geschieht. Wie sind da Ihre Erfahrungen? Ist das tatsächlich hilfreich, um Asylverfahren zumindest zu beschleunigen?
    Oberhäuser: Das ist mit Sicherheit hilfreich, um Menschen zu desillusionieren. Das mit Sicherheit auch geeignet, um Menschen möglichst schnell aus dem Land wieder zu treiben, denn was in diesen Lagern stattfindet, das ist eben genau nur eine Seite der Medaille, die beschleunigt und befördert wird und nicht die Seite, wie versuche ich, die Verfahren möglichst kurz zu halten, also nicht die Seite, wie versuche ich den Menschen ihr Recht zukommen zu lassen, denn in diesen Lagern findet faktisch keine Rechtsberatung statt. Man kommt nicht mal als Anwalt, ohne dass man bereits engagiert ist, in diese Lager rein. Also das sind alles Sachen, die führen schlicht dazu, dass das Grundrecht auf Asyl in faktischer Hinsicht sehr wohl angetastet wird.
    Zagatta: Aber eigentlich müsste man doch davon ausgehen, wenn dort die entsprechenden Spezialisten sitzen, wenn sie sich auskennen, vielleicht auf Länder auch spezialisiert sind, dass das solche Verfahren leichter, überschaulicher, gerechter machen würde.
    Oberhäuser: Ja, aber das ist doch heute auch so. Die sitzen halt nicht in diesen Lagern, sondern die sitzen halt an bestimmten Entscheidungszentren im Bundesgebiet, und da werden halt die Personen angehört oder zumindest werden die Entscheidungen dort getroffen. Das ist kein Unterschied. Der einzige Unterschied ist, dass die Leute eben in diesen Lagern nun drinsitzen und ihr ganzes Verfahren quasi hier nicht rauskommen. Das ist schon ein massiver Eingriff, und wie gesagt, die wichtige Frage ist ja, werden die Rechte dieser Personen dadurch hinreichend gewahrt, und da habe ich meine gewichtigen Zweifel.
    "Von Integration faktisch ausgeschlossen"
    Zagatta: Warum werden die dort schlechter gewahrt, also die weil die Begleitumstände schlechter sind oder warum?
    Oberhäuser: Ja, weil die Asylverfahrensberatung dort kaum stattfinden kann. Die haben das große Problem, wie gesagt, als Anwalt kommt man da kaum rein. Es gibt ganz wenige Sozialarbeiter, die da beschäftigt sind und für viele Schutzsuchende eine Beratung liefern sollen, die ihnen ermöglicht zu erkennen, was denn eigentlich ihre Verfahrensposition ist, wo sie vielleicht auch Rechte haben, diese geltend machen können.
    Zagatta: Das könnte man ja wahrscheinlich verbessern.
    Oberhäuser: Das muss man dringend verbessern, wenn man sowas als Ideal ansieht, aber auch ein großes Problem in diesen Lagern ist ja, da sitzen so viele Menschen, die werden das ganze Asylverfahren faktisch ausgeschlossen, irgendwie sich zu integrieren, weil die kriegen keine Möglichkeit zum Zugang zur Arbeit. Manche in Bamberg, das ist jetzt nicht unbedingt - also manche vielleicht schon, aber Bamberg ist in der, ich sage mal: Pampa, weit weg von großen Arbeitsmärkten. Die Leute, die auch arbeiten wollten, können da faktisch nicht Arbeit finden. Das ist ganz anders, wenn die Menschen in Deutschland verteilt sind, und das ist ja auch etwas, was wir eigentlich gelernt haben sollten, dass Menschen, die hierher kommen und Asyl suchen, dass viele davon bleiben und dass es sehr sinnvoll ist, die von Anfang zu integrieren.
    Zagatta: Auf der anderen Seite klagen ja viele Kommunen über Überforderung. Jetzt sollen auf die Kommunen, auf die Städte, auf die Gemeinden nur noch Flüchtlinge mit einer Bleibeperspektive dann auch verteilt werden. Das klingt doch auch irgendwie sinnvoll.
    Oberhäuser: Natürlich klingt das sinnvoll, und wenn es so isoliert zu betrachten wäre, wenn wir sagen, ja, das ist ja schön, dann wissen die Kommunen, die Leute, die kommen, die bleiben auch hier, aber, wie gesagt, die meisten, die ankommen, wahrscheinlich sogar die meisten, bleiben tatsächlich hier, auch wenn das nicht gewollt oder wahrgenommen wird, und deswegen macht es Sinn, dass man von Anfang an integriert und nicht erst dann, wenn die Leute schon ein, zwei, drei Jahre in irgendeinem Verfahren drin sind und ihnen irgendwann mal den Schutzstatus zugesprochen bekommen haben. Die zwei, drei Jahre sind verfehlte Zeit.
    Und eins müssen wir auch wissen: Es sind ja ganz viele Kulturen, sind ganz viele Menschen, sind ganz viele Kinder dabei, und diese Kinder haben einen Anspruch drauf, dass sie in die Schule gehen können, dass sie ausgebildet werden, dass sie nicht ihre Jugend und ihre Kindheit verschwenden in einem Lager, wo es keine Möglichkeiten gibt, sich zu verbessern, sich zu integrieren, und das ist in diesen Lagern schlicht nicht möglich.
    "Das ist reine Augenwischerei"
    Zagatta: Jetzt ist eine Maßnahme, die auch noch vorgesehen ist, Algerien, Tunesien und Marokko zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Wenn das gemacht wird, also wie sieht da die Praxis aus? Erleichtert das dann Abschiebungen tatsächlich?
    Oberhäuser: Das ist ein so alter Zopf inzwischen. Das haben wir schon so oft durchgekaut. Diese Erklärung zu sicheren Herkunftsstaaten beschleunigt die Asylverfahren ungefähr zehn Minuten, weil auch jetzt ist es natürlich möglich, und auch jetzt wird es auch in der Praxis durch die Bank gemacht, dass die Anträge als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden. Da brauchen wir keine Bezeichnung als sichere Herkunftsstaaten. Das ist reine Augenwischerei, und es ändert an der Frage, kann ich jemanden abschieben, überhaupt nichts.
    Es ist vielleicht jemand ausreisepflichtig aufgrund der Entscheidung, die dann vielleicht zehn Minuten früher ergeht, aber die Frage ist doch in praktischer Hinsicht, kann ich den auch abschieben, kann ich den auch in ein Land bringen, dessen Staat sagt, ach nö, den wollen wir nicht haben, wir wissen gar nicht, ob der wirklich unser Staatsangehöriger ist oder der ist vielleicht auch Gefährder, und wir haben genug Gefährder da drin, wie Tunesien gerade. Also die Staaten sind doch das Problem. Mit denen kann man vielleicht Vereinbarungen treffen, aber am Asyl, in der Hinsicht gesehen, das bringt überhaupt nichts.
    Zagatta: Sagt Thomas Oberhäuser, Fachanwalt für Asyl- und Ausländerrecht und außerdem auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht im Deutschen Anwaltsverein. Herr Oberhäuser, danke für das Gespräch!
    Oberhäuser: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.