Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen

Moralische Verpflichtung zur Wiedergutmachung

Das Gebäude, in dem sich die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen befindet, aufgenommen am 05.12.2012 in Ludwigsburg (Baden-Württemberg).
Die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg ist untergebracht in einem ehemaligen Frauengefängnis. © dpa / picture alliance / Marijan Murat
Von Bernd Ulrich · 06.11.2018
Die Zentrale Stelle zur Aufklärung von nationalsozialistischen Verbrechen in Ludwigsburg hat seit ihrer Gründung 1958 erfolgreich zur Aufarbeitung der NS-Verbrechen beigetragen – trotz Widrigkeiten. Heute ermittelt sie noch bis zu 30 Täter pro Jahr.
"Der lebhafte Widerhall auf die von den Justizministern und Justizsenatoren der Länder auf ihrer Konferenz in Bad Harzburg im Oktober dieses Jahres beschlossene Errichtung einer Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen beweist mir die breite Anteilnahme der Öffentlichkeit an dieser Frage."
Ob wirklich eine "breite Anteilnahme" zu verzeichnen war? Ein Großteil der Deutschen schwankte zwischen Desinteresse und Ablehnung gegenüber dem, was Wolfgang Haußmann, liberaler Justizminister von Baden-Württemberg, im Dezember 1958 über den Rundfunk bekanntgab: die Gründung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen.

Eine reine Vor-Ermittlungsbehörde

Gut einen Monat zuvor, am 6. November 1958, war die einschlägige Verwaltungsvereinbarung der Justizminister und – in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen – der Justizsenatoren auf den Weg gebracht worden: das eigentliche Gründungsdokument der in Ludwigsburg beheimateten Zentralen Stelle. Ausdrücklich stellte die neue Behörde – freilich auch das schon nach Ansicht vieler Beobachter viel zu spät – keine quasi übergeordnete Staatsanwaltschaft dar. Vielmehr war es eine reine Vor-Ermittlungsbehörde. Sie hatte nur eingeschränkte Möglichkeiten und konnte etwa eigene Durchsuchungen oder gar Verhaftungen nicht anordnen.
"Dabei soll die Verantwortung für die Durchführung der Maßnahmen, die aus den Ergebnissen der Tätigkeit der Zentralen Stelle zu folgern sind, voll und ganz bei den örtlich zuständigen Strafverfolgungsbehörden verbleiben, denen die Zentrale Stelle das von ihr erarbeitete Material überlässt und die sie erforderlichenfalls bei der Durchführung des Strafverfahrens lediglich unterstützt."

Erfolge in der strafrechtlichen Aufarbeitung

Damit schienen die Vorteile einer zentralen, bundesstaatlichen Verfolgung von NS-Verbrechen wieder aufgehoben. Doch wie schon der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer 1961 ausführte:
"Es geht nicht nur um Strafprozesse, in Wirklichkeit geht es um einen ganzen Prozess deutscher Geschichte, und einen Prozess neuer Bewußtseins- und Moralbildung in der Bundesrepublik. Im Grunde genommen müsste ich eigentlich sagen, es handelt sich um einen unendlichen Prozess. Aufgabe all dieser Prozesse ist im Grunde genommen, nicht nur Geschichte zu schreiben, sondern – wenn es auch vielleicht vermessen klingt – beizutragen, Geschichte zu machen."
Eine schwarz-weiß Aufnahme von Fritz Bauer aus dem Jahr 1961.
Fritz Bauer verstand die Aufarbeitung der Nazi- Verbrechen als Voraussetzung einer demokratischen Nachkriegsgesellschaft.© picture-alliance/ dpa /Goettert
Das machte die Zentrale Stelle durchaus – trotz etlicher Widrigkeiten und juristischer Fallstricke, mit denen immer wieder versucht wurde, die Arbeit der Behörde einzuschränken oder ganz zu unterbinden. Untergebracht in einem ehemaligen Frauengefängnis, personell eher unterbesetzt und tätig in einer Bundesrepublik, deren Justiz und Polizei lange Zeit noch von einstigen Tätern geradezu durchsetzt war, fehlte es nicht an Anfeindungen. Dietrich Kuhlbrodt, der als junger Staatsanwalt Mitte der 1960er-Jahre in Ludwigsburg arbeitete, berichtet:
"Vor unseren Fenstern zog dann an irgendeinem Tag mit klingendem Spiel wieder die Bundeswehr vorbei, denn der SS-General Sepp Dietrich wurde zu Grabe getragen und dann reckten sich Fäuste, und wir hörten die Rufe: Wir kriegen euch noch! Das war Ludwigsburg 1966."

NS-Täter können noch ermittelt werden

Tatsächlich war der einst populäre Generaloberst der Waffen-SS, Kriegsverbrecher und unverbesserlicher Nazi, Sepp Dietrich im April 1966 in Ludwigsburg gestorben und wurde unter großer Beteiligung von rund 5000 Waffen-SS Veteranen und im Beisein einer inoffiziellen Abordnung der Bundeswehr zu Grabe getragen. Der dabei gezeigte Hass auf die angeblichen "Menschenjäger" der Zentralen Stelle verdeutlicht in aller Drastik, in welcher Atmosphäre die Behörde ihre Ermittlungen durchführen musste. Und dennoch waren Erfolge in der strafrechtlichen Aufarbeitung der NS-Verbrechen zu verzeichnen.
Ohne die Arbeit der ermittelnden Staatsanwälte aus Ludwigsburg wären ab 1963 weder die von Fritz Bauer initiierten Frankfurter Auschwitzprozesse noch der in Düsseldorf zwischen 1975 und 1981 durchgeführte dritte Majdanekprozess möglich gewesen.
Der Angeklagte Oswald Kaduk wird von drei Polizisten in einen Gerichtssaal geführt.
Der Angeklagte Oswald Kaduk (Mitte) zum Auftakt des Auschwitz-Prozesses im Jahr 1965.© picture alliance / dpa / dpa team
Aber der bis 2015 amtierende Chef der Zentralstelle, Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm, hat schon Recht: "Das Anklagen ist nicht so wichtig, sondern die Aufklärung ist wichtig. Es gibt eine moralische Verpflichtung und zwar die Wiedergutmachung gegenüber den Opfern, bzw. den Überlebenden. Wir nehmen ernst, was damals geschehen ist, und wir tragen das Unsere dazu bei, dass sich Solches eigentlich nicht mehr wiederholen sollte."
Dieser Arbeit geht die Zentrale Stelle Ludwigsburg bis heute nach. Bis zu 30, freilich mittlerweile hochbetagte NS-Täter können immer noch Jahr für Jahr ermittelt werden.
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