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Zerbrechliche Kunst

Das Glasstudio Derix in Taunusstein hat weltweit einen hervorragenden Ruf, denn Derix hat sich seit vier Generationen der Kunst aus Glas verschrieben. Doch für Wilhelm Derix IV. bedeutet "weltweit gefragt" auch, dass das alte Handwerk des Glasmalers heute mit den ebenso aktuellen wie unangenehmen Auswirkungen der internationalen Finanzkrise fertig werden muss.

Von Michael Köhler | 25.07.2008
    "Ich stelle gerade eine Bleiverglasung her, für den Markus Lüpertz, die St. Andreas Kirche in Köln."

    Das Werkzeug, mit dem Natalie Gryffer an dem kleinteiligen Kirchenfenster aus zahlreichen unterschiedlichen Glasarten arbeitet, ist das Gleiche wie vor Jahrhunderten: kleiner Bleihammer und sichelförmiges Bleimesser.

    Nach dem modernen Gerhard-Richter-Fenster für den Kölner Dom arbeitet Natalie Gryffer mit ihren Kolleginnen gerade am Kirchenfenster für die romanische Kirche Sankt Andreas in Köln, gestaltet vom Düsseldorfer Kunstakademiedirektor Markus Lüpertz. In diesen Tagen wird das moderne Fenster fertig.

    Wilhelm Derixleitet das inhabergeführte Unternehmen im Taunus nun in vierter Generation. Er errichtet aber nicht nur Kirchenfenster in gotischen Kathedralen oder Gedenkstätten wie die St. Josephs Chapel, das Catholic Memorial am New Yorker Ground Zero, sondern fertigt auch für ganz andere Bauten.

    "Da sind Flughäfen, da sind Versicherungsgebäude, da sind convention centres, da sind Bahnhaltestellen, jetzt in England, in Glasgow, Schottland, haben wir acht so orientation panels gemacht, das war ein großer Umsatz für uns. Kaufhäuser in England haben wir mehrere gemacht, was es in Deutschland leider überhaupt nicht gibt."
    Die Bauherren in Deutschland haben kein Interesse an der Kunst aus Glas, sagt der Firmeninhaber. Sie vermieten ihre Läden auch so. In den USA, Brasilien, da wollen die Leute Kunst und Glasfenster als Identifikationsmerkmal. Darum macht der gelernte Glasmaler einen großen Teil des Geschäfts längst außerhalb von Deutschland

    "Unser Umsatz ist über die Hälfte im Ausland, ja!"
    Im vergangenen Jahr hat Wilhelm Derix indes seine Belegschaft von knapp siebzig Mitarbeitern auf fünfzig absenken müssen.

    Schuld daran ist paradoxerweise sein Erfolg. Von den knapp fünf Millionen Euro Umsatz, die er macht, entfällt ein Großteil auf den Dollar-Raum.

    "4,7 Mio. Euro, die hatten wir letztes Jahr davon 3,6 Millionen, ja, letztes Jahr: 60 Prozent war im Ausland, im Dollarbereich, und das war unser großes Pech, weil der Dollar letztes Jahr um 40 Prozent gesunken ist, und das hat uns, das können sie sich ausrechnen, knapp 800.000 Dollar Verlust eingebracht, den wir auch nicht absichern konnten."

    Ob die internationalen Flughäfen von Chicago oder Kaohsiung in Taiwan, oft sind es riesige und künstlerisch außerordentlich anspruchsvolle Aufträge, die das Glasstudio im Taunus abwickelt. Alles Einzelstücke. Montiert wird mit eigenen Leuten am Nutzungsort. Es gibt nur ein Problem:

    "Unsere Kunden sind genauso künstlerisch angehaucht wie ihre Zahlungsmethoden. Und die sind sehr phantasievoll."

    Phantasievoll muss Wilhelm Derix auch angesichts neuer Entwicklungen sein. Die Industrie rückt mit Digitaldrucken dem alten Handwerk auf die Pelle.

    Die produzieren natürlich billiger. Kostendruck und Rohstoffpreise sind für Wilhelm Derix auch ein Problem. Und seine vorwiegend weiblichen Mitarbeiter verdienen ohnehin zu wenig, nicht brutto, aber netto, sagt er. Eine ausgelernte Kraft geht hier mit tausend Euro netto nach Hause. Es gehöre bei allen Beteiligten viel Enthusiasmus dazu, sonst könne man das nicht machen.

    "Das ist ein echt-antik Überfangglas und nennt sich Goldrose extrasatt."

    Allein 3000 verschieden farbige Gläser hat das Glasstudio Derix vorrätig. Wer aber glaubt, hier ginge ständig etwas zu Bruch oder die Mitarbeiter schneiden sich dauernd am Glas, irrt. Mareike Himmelreich ist wie ihre Kolleginnen sehr ruhig, geduldig und konzentriert bei der Arbeit, wenn sie Wachs vom blutroten Glas abstreift.

    "Mit der Zeit hat man da ein Händchen wie man packen kann und was passiert und es kommt vor, dass man sich schneidet, aber letztendlich ist man es gewohnt."

    In Deutschland gibt es etwa 600 Kunstglasereien, oft kleine Betriebe mit ein bis zehn Beschäftigten. Begriffe wie Wachstum und Rendite haben da eine ganz andere Bedeutung.

    "Ich strebe nicht nach Wachstum. Ich versuche in der Qualität zu wachsen. Ich versuche darin zu wachsen, dass unser Metier endlich international anerkannt wird als Kunstträger."

    Man merkt allen Beschäftigten die Begeisterung für ein altes Handwerk an. Ohne die geht es auch nicht.

    "Früher hieß unser Beruf eigentlich Glasmaler, heute heißt es Glasveredler, ist aber der gleiche Aufgabenbereich. Wir bemalen das Glas, ätzen das Glas oder sandstrahlen das Glas, nutzen Airbrush-Technik, also sehr vielfältig."

    Seit 1908 darf sich das Glasstudio im Taunus auch päpstliche Hofglasmalerei nennen, weil es den Vatikan beliefert und bedient. Doch sakrale Glaskunst ist heute, wo das große Nachkriegsgeschäft mit dem Wiederaufbau von Kirchenfenstern längst vorbei ist, nur ein Standbein des Unternehmens. Auch wenn Restaurierungen immer wichtiger werden setzt Wilhelm Derix IV. deshalb eher auf Profanbauten. Auch wenn die Auftragslage für diesen Herbst nicht so rosig ist, bleibt für ihn aber der künstlerische Aspekt seine Arbeit das Wichtigste.

    "Mein Traum wäre, mit den größten der Kunstszene zu arbeiten, mit allen mal, um ein tolles Fenster zu machen. Das wäre mein Traum."