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Zerstörung und Schuldhaftigkeit der Nachkriegszeit

Der Roman von Harry Mulisch "Das steinerne Brautbett" handelt von einem ehemaligen amerikanischen Bomberpiloten, der an der Zerstörung Dresdens beteiligt war und als Zahnarzt Jahre später an diesen Ort zurückkehrt. Eine bearbeitete Fassung wurde als Theaterstück in Dresden uraufgeführt.

Von Hartmut Krug | 02.10.2011
    Ein Mann fällt vom Himmel auf die leere Bühne: Norman Corinth aus Baltimore ist in Tempelhof gelandet. Weiter geht es mit dem Auto nach Dresden durch eine gespenstische Ruinenlandschaft, die auf der Bühnenrückwand als riesiges Diapositiv vorbeizieht. Corinth, eingeladen zu einem Zahnarztkongress in Dresden 1956, kommt zurück in eine noch zerstörte Stadt, - und ist zurück in seiner eigenen, unverarbeiteten Vergangenheit. Denn Corinth war Bomberpilot, hat an der Zerstörung der Stadt teilgenommen und ist dabei abgeschossen und schwer verwundet worden. Traumatisiert, mit Narben an der Stirn und im Herzen macht sich Corinth, den Wolfgang Michalek wunderbar intensiv und zugleich locker als spielerisch cooles Klischee eines Amis gibt, in Dresden auf die Suche. Seine Unterkunft am Weißen Hirschen ist ein an der Rampe hochragendes Baugerüst als Unfertigkeits- und Unsicherheitsymbol, - Simeon Meiers Bühnenbild öffnet den Raum für ein klar konturiertes Schauspielertheater mit tieferer Bedeutung.

    Regisseur Stefan Bachmann, von 1998 bis 2005 Schauspieldirektor am Theater Basel und derzeit als Hausregisseur am Burgtheater Wien arbeitend, steht für ein lebendig-genaues Text- und Schauspielertheater. Bei seiner ersten Arbeit in Dresden hat er gemeinsam mit Felicitas Zürcher den Roman von Harry Mulisch figuren- und texttreu für die Bühne eingerichtet. Episch eingebettet in die Handlung durch eine Erzählerin, spielen sich acht Darsteller durch die in der rückblendenden Erinnerung erzählte Geschichte.
    Einmontiert sind drei sprachlich an Homer orientierte Gesänge, in denen die fünfköpfige Bombercrew den Angriff auf Dresden nachspricht und -spielt.

    Corinth bekommt beim Bombenangriff eine Erektion, und auch die Crew empfindet das zerstörerische Eindringen ins "Steinerne Brautbett" Dresden als lustvolle, sexuell konnotierte Überwältigung, während sie "It´s a long way to tipparary" singt. Eine weitere Zerstörung in Dresden begeht Corinth an Hella, seiner Betreuerin und Übersetzerin beim Kongress, indem er die entflammte Frau, die Karin Plachetka aus kühler Distanziertheit in die verwirrte Offenheit spielt, nach exstatischer Liebesnacht sofort verlässt.

    Regisseur Bachmann gelingt eine erstaunlich elegante und zugleich witzige Inszenierung, ohne die Ernsthaftigkeit der Themen Zerstörung und Schuldhaftigkeit dabei aus den Augen zu verlieren. Und wie hier alle Figuren, in eine klare Uneindeutigkeit getrieben werden, zwischen Schuld und Unschuld, zwischen Täter und Opfer, das gibt dem Abend seine Spannung und Kraft. Der westdeutsche Kongressgast in grünem Loden, dem Thorsten Ranft viele Facetten gibt, könnte auch KZ-Arzt gewesen sein, während Hella, die als aufrechte Kommunistin angeblich lange im KZ gesessen hat, nun auch bei der Stasi sein könnte. Selbst wenn in einer Kneipe Dresdner Bürger Corinth ihre Leiden bei der Bombardierung Dresdens erzählen, wird nicht klar, was wirklich passiert ist, - ob zum Beispiel ein Tieffliegeranflug auf hilflose Menschen in der Elbe wirklich stattfand und ob Corinth daran beteiligt war. Deutlich aber wird immer, dass der Krieg alle Menschen nicht nur körperlich, sondern auch seelisch tief zerstört hat, - und dass niemand schuldlos blieb.

    Bachmann bietet bewusst keinen Realismus, sondern immer Theaterspiel. Zwei Sessel, aneinandergeschoben im offenen Raum, können ein Auto, aber im roten Licht auch eine Kneipe sein. Zu munterer 50er-Jahre-Musik kutschiert ein Chauffeur Corinth im Sesselauto durch leere Diapositiv-Landschaften, und der virtuose Stefko Hanushvsky spielt den Chauffeur im Wechsel von Hitlergruß über die körperliche Verrenkung als Hakenkreuz bis zum Nachspiel der Hitler-Parodie von Charlie Chaplin mit dem Globus in "Der große Diktator". Schön wird die Stagnation der DDR in den 50er-Jahren eingefangen, wenn der Kongress mit einem Videowandbild illustriert wird: Kronleuchter aus den 50er-Jahren leuchten über einem Wandbild mit glücklichen Volksgenossen, darunter die Schrift "Seit an Seit mit der Sowjetunion", während bunt international bunt kostümierte Kongressteilnehmer herum stehen.

    Die Kunstfiguren dieser Inszenierung vereinen mehrere und gegensätzliche Möglichkeiten von Handlungsformen, aber auch von Klischees in sich. Die Gegenwart erscheint durchlässig für die Vergangenheit, und der Preis des Krieges sind zerstörte Menschen, in und mit denen Geschichte weiter lebt. So setzt Corinth zum Schluss das Auto, mit dem er in Dresden herum fuhr, in Brand, und wieder brennt es in Dresden.