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Zerstörung von Kulturgütern
Katastrophe für Menschheit und Wissenschaft

Zerstörungen in den assyrischen Städten Hatra und Nimrud, im Antikenmuseum von Mossul und der Bibliothek der Stadt, die Bedrohung der Oasenstadt Palmyra - der Vandalismus des IS macht deutlich, dass Krieg nicht nur mit menschlichem Leid verbunden ist, sondern auch mit mutwilliger Zerstörung des kulturellen Erbes.

Von Barbara Weber | 28.05.2015
    Terrormiliz Islamischer Staat zerstört bedeutende antike Bildwerke in Mossul
    Screenshot aus einem Video, das von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) am 26.02.2015 veröffentlicht wurde und zeigen soll, wie IS-Anhänger das Museum der Stadt Mossul verwüsten (picture alliance / dpa / Foto: Islamic State / Handout)
    Es sind die Orte der Wiege der Zivilisation: Hier entstand die Schrift, wurden die ersten Gesetze erlassen, komplexe Staatengebilde gegründet. Was lässt sich dem entgegensetzen? Wie können Wissenschaftler reagieren, damit dieses kulturelle Erbe der Menschheit nicht verloren geht? Und welche Strategien kann es geben, auch für nachfolgende Generationen dieses Erbe zu retten?
    Barbara Weber traf Wissenschaftler, die sich mit diesen Fragen in international zusammengesetzten Teams beschäftigen und versuchen, zu retten was zu retten ist.

    "Palmyra ist ein außergewöhnliches Weltkulturerbe. Jede Zerstörung von Palmyra ist nicht nur ein Kriegsverbrechen. Es ist ein enormer Verlust für die Menschheit. Die Zerstörung von Nimrud und Hatra und die Plünderung des Museums von Mossul dürfen sich nicht wiederholen.
    Wir brauchen die absolute Mobilisierung der internationalen Gemeinschaft. Wir brauchen die Appelle der politischen und religiösen Führer, um die Zerstörung zu verhindern. Wir sprechen bei Palmyra von der Geburt der Zivilisation. Wir sprechen von etwas, was der ganzen Menschheit gehört."
    Irina Bokova, Generaldirektorin der UNESCO, in einer vergangene Woche ausgestrahlten Video-Botschaft.
    "Natürlich sind die Leute berührt und natürlich, wenn sie darüber reden, merkt man schon, dass ihnen etwas am Herzen blutet."
    Issam Ballouz, deutsch-syrischer Wissenschaftler, über seine Kollegen in Aleppo.
    "Wie alle, die in Syrien geforscht haben - wir haben in Berlin, in Deutschland eine wunderbare Syrienforschung, ein lange Tradition, das sind unglaubliche Schätze, die wir wissenschaftlich erarbeitet haben - sehen, wie das alles verloren geht, waren lange in einer Schockstarre, zwei Jahre lang hat keiner von uns gewusst, was er machen soll, weil es war für uns unfassbar, was passiert."
    Professor Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin.
    "Und dann haben wir angefangen, mit dem Deutschen Archäologischen Institut und Auswärtigen Amt zu überlegen, was kann man machen, und haben gesagt, die Dinge, die wir hier schon mal erforscht haben, wenn wir die digitalisieren und nachher für den Tag X für den Wiederaufbau zur Verfügung stellen, dann können wir einen kleinen Beitrag leisten."
    Es war die Geburtsstunde des "Syrian Heritage Archive"-Projektes am Museum für Islamische Kunst. Unter Leitung von Stefan Weber arbeitet ein deutsch-syrisches Wissenschaftler-Team am Aufbau einer Datenbank, um das syrische Weltkulturerbe zu erfassen. Die Wissenschaftler durchforsten den Kunstmarkt nach verdächtigen Objekten aus Raubgrabungen und dokumentieren Museumsbestände, Fotos und Skizzen, um sie einer systematischen wissenschaftlichen Aufarbeitung zugänglich zu machen.
    Ein Beispiel für die hohe Qualität syrischer Antiken ist das Aleppo-Zimmer von 1601, Anfang des 20. Jahrhunderts wegen seiner prachtvollen Ausstattung und Malerei vom Museum aufgekauft.
    "Man kommt hier rein, hat so drei kleine Nischen, das ist ein T-Grundriss, und überall an den Wänden sind diese wunderbaren Holzmalereien."
    Es war ursprünglich das Haus einer samaritanischen Familie. Die Samaritaner bilden eine Religionsgemeinschaft, die wie die Juden aus dem Volk Israel hervorgegangen ist.
    "Man hat also Paneelen, die nebeneinander aufgereiht sind, und entlang der Paneele dann verschiedene Themen, das können ein Pfau sein, aus dem dann ein Blumendekor emporrankt oder in Medaillons kleine thematische Schwerpunkte. Hier hinten zum Beispiel haben wir "Das letzte Abendmahl" und Szenen aus dem Leben Jesus. Auf der linken Seite sehen wir ein typisch orientalisches Picknick, wenn man so sagen kann, also ein Herrscher, der im Park sitzt und dort auch im Freien mit der Falkenjagd und mit Gewehren auf Panthern jagen geht. Und das sind so ganz normale Themen im frühen 17. Jahrhundert in dieser multireligiösen Gesellschaft von damals."
    Ob dieses Zimmer noch heute in der umkämpften Stadt Aleppo so existieren würde? Man darf es bezweifeln.
    "Ich bin froh, dass in Deutschland ein kleines Artefakt aus Syrien noch mal ein bisschen Heimatgefühle vermittelt", sagt der Architekt Issam Ballouz. "Leider ist es so, dass wir jetzt bangen müssen um den Bestand vieler solcher sehr, sehr wertvoller, sehr seltener mittlerweile architektonischer Objekte, ob es nun Häuser, Kirchen oder Moscheen sind."
    Diese Fülle an qualitativ hochwertigen antiken Gebäuden, Objekten und kunstvollen Arbeiten lässt sich nur durch die herausragende historische Bedeutung Syriens erklären.
    "Wenn man durch Syrien fährt, dann hat man verschiedene Kulturzonen. Man hat die Streifen am Mittelmeer mit den großen Städten der Antike. Aber dann, wenn man weiter reingeht ins Land, hat man dann eine Achse von mehreren Städten: Aleppo, Homs, Hama und Damaskus, alles alte Städte, tausende von Jahren alt. Also die Kernentwicklung der Städte fand auch in Syrien statt. Und wenn man dann weiter nach Osten geht, kommen die großen weiten Steppen und Wüsten, und dort findet man auch immer wieder zum Beispiel entlang der Flüsse oder auch der großen Handelsstraßen, Anlagen, Städte. Das Tolle an diesen Orten, dass sie alle von Weltruhm sind, einmalig."
    Zum Beispiel Aleppo:
    "Aleppo ist die Handelsstadt über Jahrhunderte, Jahrtausende gewesen. Hier traf sich die Seidenstraße mit der Weyrauch-Straße. Hier wurden die großen Waren umgeschlagen, daher eine enorm große Stadt, reich an Baukultur, die Häuser prachtvoll, aber natürlich auch die öffentlichen Gebäude."
    Aleppo ist auch ein Schwerpunkt des Projektes, über das mehrere Tafeln im Museum informieren. Auf einer sind zwei Fotos abgebildet:
    "Das eine ist ein Zustand vorher, das andere ein Zustand nachher in einer Satellitenaufnahme über Google Earth aufgenommen", sagt Issam Ballouz. "Und hier kann man sehr gut erkennen, einmal ist hier die Kolonnaden-Straße, hier ist sie auch zu sehen, die Kolonnaden-Straße. Man sieht grüne Felder dort, wo etwas auszugraben ist. Es war gedacht, in der Zukunft daran zu arbeiten. Und jetzt sieht man hier überall kleine Löcher, das heißt, dort wurden an tausenden Stellen punktuell Raubgrabungen betrieben, um entweder Mosaiken oder auch andere wertvolle Gegenstände herauszuholen. Das ist somit aus seinem Kontext gerissen und somit verloren für die Wissenschaft."
    Ein zweites prominentes Beispiel nennt Ballouz: "Das ist der Zustand, nachdem dieses Minarett, was Sie hier rechts sehen, in sich zusammengefallen ist. Hier sieht man noch die Reste der Steine, noch etwas Qualm, das wurde beschossen und ist dann in sich zusammengefallen."
    Stefan Weber: "Man muss sich vorstellen, das ist ja nicht nur ein normales Gebäude. Das ist die Omaijaden-Moschee von Aleppo, das ist ungefähr so, als hätte man einen Dom, einen der großen Dome Deutschlands zerstört."
    Die Omaijaden-Moschee stammt aus dem 8. Jahrhundert und ist im Verlauf der Jahrhunderte durch Anbauten gewachsen wie das inzwischen zerstörte Minarett aus dem 12. Jahrhundert.
    Um über die angerichteten Schäden informiert zu sein, arbeiten die Berliner Wissenschaftler mit mehreren Projekten zusammen, darunter auch Heritage for Peace.
    Ballouz: "Dieses Projekt ist seit zwei Jahren mit international anerkannten Fachleuten verschiedener Nationen dabei, eine strukturierte Schadenserfassung zu machen. Die bringen jede Woche eine Schadensliste aus verschiedenen Quellen natürlich. Es geht auch hauptsächlich darum, die Vielfalt dessen, was im Internet und in den sozialen Medien ist, zusammen zu fassen und auch verfügbar zu machen. Sie haben die guten Kontakte mit Aktivisten vor Ort in verschiedenen Regionen, versuchen dann auch dort vor Ort den Leuten zu helfen und auch gemeinsam mit ihnen Projekte zu machen."
    Einer der Schnittpunkte zwischen beiden Projekten ist das Interesse an Aleppo. So stellte das Berliner Wissenschaftlerteam um Stefan Weber fest, dass zwar einige Fotos bedeutender Gebäude und Objekte aus dem Ort vorhanden sind, allerdings der genaue Überblick fehlt, um eine wissenschaftliche Dokumentation zu erstellen.
    "Die Stadt ist im Moment teils in Regierungshand, teils in Oppositionshand, das heißt, es gibt Leute und Aktivisten auf jeder Seite, die bestimmte Objekte dokumentieren könnten. Und das wollen wir versuchen, um aus unserem Material heraus bestimmte Objekte uns auszusuchen, wo die Leute sagen, es ist nicht zu gefährlich für sie, eine methodische Dokumentation zu machen für diese Monumente und daraus dann einen Gebäudeordner zu machen, wo dann das gesamte Material drin ist, altes Material, neues Material, Schadenserfassung, Schadensbegutachtung und daraus dann etwas zu haben für die Zukunft."
    Bei den Aktivisten vor Ort handelt es sich beispielsweise um Archäologen oder Architekten, ehemalige Staatsangestellte, die zum Teil in den antiken Städten vorher gearbeitet haben.
    "Und das sind meistens Leute aus dem Fach, denen das Herz blutet, unabhängig davon, auf welcher Seite sie sich gerade befinden. Die agieren natürlich so, dass sie sagen, es gibt momentan einige Gebiete in Aleppo, die hart umkämpft sind, und wenn wir ihnen sagen, können wir dazu was machen, dann sagen die uns, wartet etwas, wir können da jetzt im Moment nicht, wir können Euch aber sagen, in das oder das Gebiet könnten wir hingehen ohne Gefahr."
    Natürlich ist das erste Ziel der Aktivisten vor Ort, Objekte zu schützen, indem zum Beispiel Wandfresken zugemauert werden. Doch der zweite wichtige Aspekt ist die Dokumentation von Objekten vor der Zerstörung und die Abbildung der Schäden.
    Ziel des Berliner Projektes ist die Erstellung einer möglichst breiten Dokumentation, die auch wissenschaftlichen Anforderungen standhält, um dann die eigenen Daten international zu vernetzen.
    Das gilt auch für ein anderes Projekt. Gleichfalls geht es um Kulturstätten, die vom IS bedroht werden und um einen Staat, der auch zu den sogenannten Failed States gehört: Irak.
    Es waren zwei amerikanische Studenten, die im Rahmen eines europäischen Forschungsprojektes das Projekt Mossul initiierten:
    "Das Projekt Mossul ist aus einer Initiative des europäischen Projektes Marie Curie ITN, Initial Training Network, DCH, Digital Cultural Heritage, entstanden", sagt Professor Dieter Fritsch, Institut für Photogrammetrie der Universität Stuttgart. "In diesem Projekt haben wir zwanzig junge Wissenschaftler beschäftigt, zum einen sind diese Wissenschaftler bei Universitäten und Forschungsinstitutionen eingesetzt, zum anderen aber auch in der Industrie."
    Allein acht europäische Universitäten und einige Firmen aus der privaten Wirtschaft haben sich zum Ziel gesetzt, antike Stätten digital zu dokumentieren.
    Auslöser für das Projekt Mossul war, "dass wir alle im Fernsehen und Internet erleben mussten, wie der Islamische Staat im Museum von Mossul Weltkulturdenkmäler zerstört hat, und zwar in einer ganz grausamen Art, die ja auch als Kriegsverbrechen bezeichnet worden sind, und wir hatten dann gedacht, warum nicht unsere Technologien einsetzen, um diese verloren gegangenen Weltkulturdenkmäler digital zu rekonstruieren und zu dokumentieren."
    Das lässt sich mithilfe der Photogrammetrie durchführen:
    "Wir haben in der Photogrammetrie verschiedene Technologien. Wir können auf der einen Seite 3-D-Rekonstruktionen durchführen nur aus Bildmaterial."
    Was allerdings voraussetzt, möglich viele Bilder aus unterschiedlichen Perspektiven zu haben.
    "Und diese Fotos werden jetzt alle zusammengerechnet, das heißt, für die einzelnen Fotos können wir die einzelnen Positionen und Blickrichtungen rekonstruieren, und aus diesen Parametern der äußeren Orientierung, wie wir das bezeichnen, können wir dann sehr, sehr dichte Punktwolken berechnen, und auf diese Weise können wir dieses Pixel auch noch einfärben und erhalten dadurch eine sehr schöne, dichte 3-D-Rekonstruktion eines Objekts rein durch eine kolorierte Punktwolke."
    Soweit die Theorie. Doch wie funktioniert das Verfahren in der Praxis?
    "So, ich habe extra dazu eine kleine Power Point Präsentation vorbereitet, damit Sie auch sehen können, welche Arten von Rekonstruktion wir derzeit schon durchgeführt haben."
    Zunächst entwickelten die Wissenschaftler eine eigene Suchmaschine, um das Internet nach Fotos zu durchforsten, die Mossul oder Kunstgegenstände aus Mossul zeigten.
    "Wir haben erst einmal die ganzen Bilder hochgeladen auf eine eigene Webseite projectmosul.org eingerichtet. Diese Webseite wurde dann im Internet bekannt gegeben, sodass all diejenigen, die irgendwie Lust hatten, an diesem Projekt mitzuwirken uns ihr Bildmaterial auch hochladen konnten."
    Die Seite ist noch aktiv. Es wird weiter gesucht. Auch analoge Urlaubsbilder sind willkommen, die dann gescannt und digital weiter verarbeitet werden können.
    Wie die 3-D-Animation im Ergebnis aussieht, demonstriert Dieter Fritsch an dem vom IS zerstörten Löwen von Mossul, eine alte Steinfigur, die vermutlich ein Portal rahmte.
    "So, jetzt zeige ich Ihnen hier schon einmal ein erstes Ergebnis: Also hier haben wir den Löwen von Mossul in einer kleinen Visualisierung, den kann ich Ihnen auch mal ganz groß machen. Das ist praktisch schon das 3-D-Modell, und jetzt versuchen wir einmal dieses 3-D-Modell übers Internet abzurufen. Jetzt muss ich nur sehen, dass ich mit der Maus da drauf komme. Ah, jetzt geht es. Jetzt kommen wir auf dieses Sketchfab. Sie sehen, jetzt wird geladen. So, jetzt sehen wir hier das Modell in 3-D. Wir können es auch ganz groß machen. Sie sehen jetzt, wir haben nur einen Teil, die eine Hälfte von diesem Löwen in 3-D rekonstruiert, weil wir ganz einfach nur von diesem Teil Fotos hatten."
    Das Modell kann in verschiedene Blickrichtungen gedreht werden. Darüber hinaus lässt sich die andere Hälfte des Löwen digital rekonstruieren, sodass die Figur komplett dargestellt werden kann.
    "Damit hätte ich jetzt den Löwen in seiner dreidimensionalen Ausprägung, und wenn wir uns jetzt daran erinnern, dass ja in Barcelona bei der Sagrada Familia der größte 3-D-Drucker der Welt steht, der ja die alten Zeichnungen von Gaudi umsetzt in 3-D-Gesteinsblöcke, damit die Sagrada Familia schneller fertig wird. Wenn ich jetzt diesem Drucker dieses Modell des Löwen von Mossul zuführen würde als CAD-Modell, könnte ich mir vorstellen, dass der Löwe von Mossul innerhalb von einem halben Tag wieder in diesem 3-D-Drucker gedruckt werden könnte."
    So ließe sich in Zukunft zumindest eine originalgetreue Rekonstruktion im Museum zeigen. Darüber hinaus bietet die Kopie Archäologen die Möglichkeit des Vergleichs mit anderen Objekten. Wenn auch nur als Rekonstruktion. Das Original ist verloren.
    Doch schon die Rekonstruktion zerstörter Objekte und Gebäude am Tag X nach dem Krieg hilft der einheimischen Bevölkerung vor Ort. Sie ist es, die mit den antiken, kunstvollen Objekten, ihre eigene Identität verbindet. Den Deutsch-Syrer Issam Ballouz beschäftigt noch ein anderer Aspekt.
    "Für mich ist es weniger tragisch, ein Objekt komplett wieder aufzubauen, wenn entsprechendes Material da ist, als wenn ich merke, dass eine Gesellschaft sich entzweit. Das tut mir viel mehr weh, dass ich sehe, dass die Leute sich nicht mehr miteinander abgeben wollen oder können, und der Versuch dann über diese Gemeinsamkeit, das Kulturerbe ist beiden immer noch etwas Gemeinsames. Beide fühlen sich stolz, dass sie so etwas haben oder auch traurig, dass sie es nicht mehr haben, dass man da vielleicht wieder eine Annäherung bekommt. Zwischen den Menschen etwas wieder aufzubauen ist schwieriger als ein Gebäude wieder aufzubauen."