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ZHD-Präsident
"Wir haben Fachkräftemangel in fast allen Branchen"

Die Geschäfte der Handwerker in Deutschland laufen "eigentlich sehr gut", die Handwerker hätten hohe Vorlaufzeiten, sagte Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, im DLF. Was fehlt sind Fachkräfte und der Nachwuchs. Die Politik müsse jetzt handeln, damit es der Branche auch künftig noch gut gehe.

Hans Peter Wollseifer im Gespräch mit Christoph Heinemann | 09.12.2016
    Der Präsident des Zentralverbandes Deutsches Handwerk, Hans Peter Wollseifer, spricht bei einer Pressekonferenz.
    Der Präsident des Zentralverbandes Deutsches Handwerk, Hans Peter Wollseifer: "Wir wollen dieses Jahr, im kommenden Jahr 2017, das Berufsabitur an den Start bringen." (pa/dpa/Pedersen)
    Vor dem heutigen Besuch von Kanzlerin Merkel beim Handwerkstag in Münster forderte Wollseifer die Bundesregierung auf, weiterhin gute Rahmenbedingungen für die Betriebe zu schaffen. Es sei vor allem wichtig, den Mittelstand zu stärken und Bildungsanreize für junge Menschen zu schaffen. Handlungsbedarf sieht er auch beim Thema Rente: "Wir müssen das Problem ganzheitlich angehen und nicht nur an der einen oder anderen Stellschraube drehen." Das Thema dürfe jedoch nicht zum Spielball im Bundestagswahlkampf verkommen, wichtig sei vielmehr eine sachliche Debatte, die man aus dem Wahlkampf ganz heraushalten sollte. Der ZDH-Präsident äußerte sich auch zur Diskussion über das Renteneintrittsalter. Gerade im Handwerk sei es wichtig, dass diejenigen eine "auskömmliche Erwerbsminderungsrente" bekämen, die im Alter nicht mehr arbeiten könnten.
    Integration von Flüchtlingen
    Um künftig mehr junge Menschen für einen Handwerksberuf zu begeistern, wolle der Zentralverband 2017 das sogenannte Berufsabitur an den Start bringen. Positiv sei auch die Erfahrung, die die Handwerksbranche bei der Integration junger Flüchtlinge durch die Mitgliedsbetriebe gemacht habe. Das Handwerk habe bereits 2.500 Flüchtlinge in der Berufsausbildung. Gerade mit Blick auf den eklatanten Fachkräftemangel sei diese Entwicklung zu begrüßen: "Wir sprechen nicht nur über das Thema, wir lassen dem auch Taten folgen", sagte Hans-Peter Wollseifer vom Zentralverband des Deutschen Handwerks im Deutschlandfunk.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Ich weiß nicht, wie viele unserer Hörerinnen und Hörer heute Handwerkern die Wohnungstür öffnen werden. In der Regel kann man sich sicher sein: Da kommen Fachleute, die das Problem lösen. Dass das nicht selbstverständlich ist, weiß jede und jeder, die oder der in anderen Ländern Erfahrungen gesammelt hat. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks bekommt heute Besuch: Angela Merkel reist nach Münster zum Verbandstag und spricht dort unter anderem mit Hans-Peter Wollseifer, dem Präsidenten des ZDH. Guten Morgen!
    Hans-Peter Wollseifer: Ja, guten Morgen!
    Heinemann: Kennen Sie die Meistersinger?
    Wollseifer: Ja, natürlich kenne ich die.
    Heinemann: Und?
    Wollseifer: Ja. Ich finde, dass Sie das sehr schön anmoderiert haben und dass das vielleicht auch ein guter Auftakt jetzt für unser Gespräch ist.
    Heinemann: Genau. Denn in der Oper kommen ja lauter Handwerker vor.
    Wollseifer: Genau.
    Heinemann: Alle möglichen Berufe. Die Geschäfte laufen gut wie zurzeit auch im deutschen Handwerk. Im deutschen im Moment fast zu gut, denn der Nachwuchs fehlt, habe ich gelesen. Warum?
    Wollseifer: Ja, Sie sagen es. Die Geschäfte, die laufen eigentlich sehr gut und unsere Handwerker haben hohe Vorlaufzeiten. Das ist auf der einen Seite gut, wenn die Auftragsbücher voll sind. Auf der anderen Seite ist es natürlich für die Kunden nicht so schön, wenn sie lange warten müssen. Das Problem zurzeit ist, dass wir Personalmangel haben. Wir haben Fachkräftemangel in fast allen Branchen und uns fehlen auch die jungen Leute, obwohl wir tolle Angebote machen in 130 Berufen, auch Karrierepläne erarbeiten für die jungen Leute. Aber trotzdem müssen wir uns verstärkt darum kümmern, dass wir Jugendliche bekommen, dass wir Fachkräfte bekommen.
    "Wir wollen 2017 das Berufsabitur an den Start bringen"
    Heinemann: Wie möchten Sie junge Leute gewinnen?
    Wollseifer: Wir bemühen uns zum Beispiel mit der Image-Kampagne des deutschen Handwerks und bewegen uns ganz stark in den sozialen Netzwerken. Wir fertigen Filme, wir informieren über das Handwerk, über die einzelnen Berufsbranchen. Wir bieten gute Bildungschancen. Wir haben die höhere Berufsbildung in den letzten zwei Jahren mit dem Bundesbildungsministerium kreiert und wollen dieses Jahr, im kommenden Jahr 2017, in dem kommenden Schuljahr dann das Berufsabitur an den Start bringen, wo Jugendliche innerhalb von vier Jahren eine volle Ausbildung mit Abschluss und auch das Vollabitur machen können. Und sie haben die Möglichkeit, sich vier Jahre später für ihren späteren Berufsweg zu entscheiden, weil mit 16 oder 17 nach der Zehn ist das schon sehr schwierig.
    Heinemann: Herr Wollseifer, Angela Merkel kommt ja heute zu Besuch. Welche Unterstützung benötigen Sie dabei?
    Wollseifer: Ja. Wir werden Frau Merkel sagen, dass es dem Handwerk gut geht, dass wir aber diese besprochenen Probleme haben und dass die Politik Rahmenbedingungen schaffen muss, dass es uns auch in der Zukunft noch gut geht, weil wir sorgen für Beschäftigung in hoher Anzahl. Wir sorgen für Ausbildung in hoher Anzahl, für Steueraufkommen. Das wollen wir auch in der Zukunft noch machen können und dafür brauchen wir die Unterstützung. Ich glaube, es kommt in den nächsten Jahren ganz deutlich darauf an, dass der Mittelstand in unserem Land gestärkt wird und dass wir auch vor allen Dingen die Bildungsanstrengungen noch weiter verstärken, in der akademischen und in der beruflichen Bildung.
    "Wir haben bereits 2.500 dieser jungen Leute in der Ausbildung"
    Heinemann: Welche Erfahrungen haben Ihre Betriebe mit den jüngst zugewanderten Menschen gemacht?
    Wollseifer: Wir haben der Bundesregierung versprochen, dass wir uns in diesen Integrationsprozess, nämlich die Integration der jungen Leute in den Arbeitsmarkt einbringen, und beim Handwerk ist das so: Wir sprechen nicht nur darüber, wir lassen dem Ganzen auch Taten folgen. Wir haben bereits 2.500 dieser jungen Leute in der Ausbildung. Wir haben quer durch Deutschland sehr viele Projekte, die auf Ausbildung vorbereiten, weil die sind in der Regel nicht ausbildungsfähig. Wir bereiten sie auf die Ausbildung vor. Wir haben ein großes Programm, 10.000 Wege in die Ausbildung für diese jungen Leute aufgelegt mit dem Bundesbildungsministerium, mit der BA, und werden dann auch 10.000 junge Leute innerhalb von zwei Jahren in die Ausbildung bringen. Unsere Betriebe, die sind sehr aufnahmebereit und nehmen dies auch sehr gerne an.
    Heinemann: Und das Echo ist positiv?
    Wollseifer: Das Echo ist positiv und wir können wirklich sagen: Diejenigen, die diese Berufsvorbereitung machen, die Ausbildungsvorbereitung machen, die werden von den Betrieben wirklich gut übernommen und auch begehrt.
    Heinemann: Schauen wir auf die Sozialpolitik. Die Wirtschaftsverbände haben ja vorher die Einführung des Mindestlohns kritisiert. Hat der dem Handwerk geschadet?
    Wollseifer: Ach wissen Sie, wir haben ja im Handwerk wesentlich höhere Mindestlöhne und unsere Mindestlöhne liegen ja deutlich über dem gesetzlichen Mindestlohn. Von daher hat er dem Handwerk sicher nicht geschadet. Und wir wissen natürlich auch, dass wir unsere Mitarbeiter gut bezahlen müssen, und das ist in den Betrieben verhaftet und das wollen wir natürlich auch tun.
    "Wir werden unsere Sozialsysteme zukunftssicher machen müssen"
    Heinemann: Das sozialpolitische Zukunftsthema ist die Alterssicherung. Die Stellschrauben sind höhere Beiträge, höhere Arbeitgeberzuschüsse, Steuerfinanzierung oder auch die private Vorsorge. Wohin sollte die Reise gehen?
    Wollseifer: Eins haben Sie vergessen: das längere Arbeiten.
    Heinemann: Stimmt! Da hätte ich als Nächstes nachgefragt.
    Wollseifer: Wir werden immer älter und wir bleiben auch im Alter immer fitter. Und wenn Sie schauen: Im Jahr 1960 hatten wir eine Rentenerwartung von zehn Jahren. Heute sind es 20 Jahre. Und damals im Jahr 1960, da kamen sechs Beitragszahler für einen Rentner auf. 1970 waren es nur noch vier, heute sind es nur noch zwei und es werden weniger werden. Das heißt, das Problem wird sich verstärken. Wir werden unsere Sozialsysteme zukunftssicher machen müssen und da sollten wir wirklich die Möglichkeiten ausschöpfen. Wir haben als Zentralverband des Deutschen Handwerks, glaube ich, ein kluges Rentenpapier auf den Weg gebracht. Wir haben es den Parteien, unter anderem natürlich auch der Regierungskoalition übergeben und wir hoffen, dass es Beachtung findet, und da sind die Möglichkeiten der Stellschrauben auch beschrieben und ich glaube, dass wir Möglichkeiten haben. Aber das sollten wir auch angehen und man sollte es ganzheitlich angehen und nicht nur die eine oder andere Stellschraube drehen.
    Heinemann: Wo liegt denn bei Ihnen bei der Lebensalterszeit die Schmerzgrenze?
    Wollseifer: Ich will jetzt nicht unbedingt Zahlen nennen, aber man könnte es ja festmachen an der Lebenserwartung, die jedes Jahr immer ein wenig länger wird, und man kann nicht erwarten, dass die Arbeitszeit kürzer wird und die Lebenserwartung und die Rentenbezugsdauer immer länger wird. Dann müssten wir natürlich deutlich mit Steuermitteln das Ganze unterfüttern. Ich glaube, das wird auch nur begrenzt möglich sein.
    Heinemann: Mich wundert ein bisschen, dass Sie das als Handwerkspräsident selbst ins Spiel bringen. Wir hören von den Sozialpolitikern oder von einigen doch immer wieder das Beispiel des Dachdeckers, der mit 70 nicht noch in schwindelnden Höhen arbeiten kann.
    Wollseifer: Ich glaube, da ist auch etwas Gutes beschlossen worden jetzt in den letzten Wochen, nämlich dass man die Erwerbsminderungsrente erhöht. Genau diese Leute, die wirklich nicht mehr können, die muss man unterstützen. Man braucht nicht bestimmte Klientelgruppen besserzustellen. Ich spreche die 63er-Rente an. Aber die, die wirklich nicht mehr am Arbeitsprozess teilnehmen können, weil sie wirklich genug geschuftet haben, denen müssen wir helfen und die brauchen die Unterstützung. Die brauchen auch eine auskömmliche Erwerbsminderungsrente. Dazu gehören auch viele Selbstständige im Handwerk.
    "Die Rente, die darf nicht zum Spielball der Parteien werden"
    Heinemann: Stichwort Rente mit 63. Sie haben, Herr Wollseifer, vor Wahlgeschenken gewarnt. Was befürchten Sie mit Blick auf das kommende Jahr?
    Wollseifer: Ach wissen Sie, die Rente, die darf nicht zum Spielball der Parteien werden jetzt im Vorfeld der Wahlen, im Wahlkampf. Mit der Zukunft unserer Jugend, unserer Kinder und Enkel spielt man nicht und von daher sollte man diese Polarisierung bezüglich der Rente doch aus dem Wahlkampf heraus lassen.
    Heinemann: Was heißt das bitte?
    Wollseifer: Das ist ein sehr wichtiges Thema, ein sachliches Thema, und nur mit sachlichen Argumenten und Überlegungen und mit Vertrauensbildung können wir dieses Thema lösen.
    Heinemann: Rente mit 63 ist für Sie kein sachliches Thema?
    Wollseifer: Das ist für mich kein Thema, kein zukunftsfähiges Thema, weil wir dort nur eine gewisse Klientelgruppe in den Vordergrund stellen, nämlich zwölf Jahrgänge. Die läuft ja dann aus, die Rente mit 63. Warum sollen nur diese zwölf Jahrgänge bevorteilt werden? Und es sind auch weniger Frauen oder sehr wenig Frauen, die davon profitieren können. Es sind in der Regel, das haben wir statistisch festgestellt, gut verdienende Männer, die davon profitieren.
    Heinemann: Das haben Sie der Kanzlerin sicherlich schon mehrfach gesagt.
    Wollseifer: Und Frau Nahles auch.
    Heinemann: Und Frau Nahles auch. Und wie reagieren beide?
    Wollseifer: Sie sehen, wie die Politik voranschreitet. Wir haben uns ja auch noch weiter in dieses Thema eingebracht und haben auch Fortschritte erzielen können. So bewerte ich es. Hinsichtlich der Flexirente zum Beispiel. Dort haben wir jetzt höhere Hinzuverdienstgrenzen. Das ist vielleicht noch nicht der große Wurf, aber es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, dass man, wenn man länger arbeiten möchte, wenn der Betreffende es will und wenn der Betrieb es will, dass dann auch der Arbeitnehmer etwas mehr davon hat. Der muss ja auch davon profitieren. Diesen Weg will man gehen, den haben wir vorgeschlagen und den finden wir gut, den unterstützen wir auch.
    Heinemann: Hans-Peter Wollseifer, der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Wollseifer: Ja gerne! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.