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Zimmermanns Funkoratorium an Berliner Volksbühne
Witzig, vielgestaltig - und etwas brav

Bernd Alois Zimmermanns Funkoratorium "Des Menschen Unterhaltsprozess gegen Gott" war lange in der Schublade verschwunden. Die Singakademie zu Berlin hat nun aus dem Stück ein Bühnenwerk gemacht und führt es gemeinsam mit dem Ensemble der Volksbühne auf. Eine Inszenierung mit Bildungsauftrag.

Von Matthias Nöther | 26.11.2018
    Die Rad-Skulptur vor der Berliner Volksbühne.
    Das Funkoratorium Zimmermanns ist derzeit an der Berliner Volksbühne zu sehen (imago/Lem)
    Viele Versatzstücke der einstigen Materialschlachten an der Volksbühne sind an diesem Abend zu sehen, doch ein Spektakel, in welchem alles mit allem zu tun haben kann, weil nichts für den analytischen Verstand präzise zu verstehen ist – so ein Spektakel kann und will sich die Singakademie zu Berlin dann doch nicht leisten. Allerdings kommt gleich am Anfang der ehemalige Volksbühnen-Schauspieler Mex Schlüpfer als Gottvater auf dem Fahrrad auf die Bühne – und dieser Gott sieht in ramponierter altgriechischer Goldrüstung ziemlich abgewirtschaftet aus.
    Schon zum zweiten Mal arbeitet die traditionsreiche Singakademie zu Berlin mit dem Ensemble der Volksbühne zusammen. Aus dem traditionellen bürgerlichen Musikverein und der Theaterbühne mit dem linken, punkigen Image ergeben sich Synergien, sagt der Dramaturg der Singakademie und Regisseur des Abends Christian Filip.
    "Die Singakademie ist seit jeher ein kunstreligiöser Verein, die ist als der gegründet worden. Als ein Kunstverein für die heilige Musik. Und wenn es in dieser Stadt ein Theater gibt, das der Kunstreligion als Theaterform verpflichtet ist, dann die Volksbühne. Das absolute Ereignis des totalen Theaters, das ist glaub ich hier im Haus gepflegt worden, lange Zeit."
    Totales Theater als Ziel Zimmermanns
    Totales Theater, Welttheater, große weltumspannende Thesen aus dem vermeintlichen Chaos heraus: Gerade wenn die Volksbühne zur Zeit nicht mehr wie früher funktioniert, hat der Komponist Bernd Alois Zimmermann für solche Theatervisionen gute Vorlagen parat. Das totale Theater, welches Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit zugleich umfasst, war auch Zimmermanns Ziel. Bernd Alois Zimmermanns Funkoratorium "Des Menschen Unterhaltsprozess gegen Gott" beginnt mit dem Rausschmiss Adams aus dem Paradies.
    Adam ist heimatlos und erklärt seinen Vater, den lieben Gott, für verantwortlich. Er soll ihm auf der anstrengenden Erde jenseits des Paradieses bitte den Lebensunterhalt zahlen. Gott sowie Calderons allegorische Figuren des Denkmanns und des Fressmanns allerdings finden, dass Adam keinen Anspruch darauf hat. Die Sprechrolle des Fressmanns erklärte Bernd Alois Zimmermann angesichts der Hungerwinter nach dem Krieg offenbar zu einer Lieblingsfigur in seiner Partitur.
    Bernd Alois Zimmermanns Komposition dieses metaphysischen Sorgestreits im Jahr 1952 offenbart viel von seiner später berühmten musikalischen Polystilistik. Wenn es speziell um Lohnerwerb geht, meint man ein bisschen von Wagners arbeitsamen Meistersinger-Bürgern ironisch durchblitzen zu sehen – doch zugleich ist Zimmermann mit Hilfe seiner unmittelbaren Vorbilder Igor Strawinsky und Bela Bartok wach und geschmackssicher auf der Höhe seiner Zeit und begibt sich mit großer Instrumentationskunst auf die Suche nach einem eigenen Stil.
    Regisseur Christian Filip lässt zu diesen Klängen auf der Bühne ein grünes trojanisches Pferd auffahren – ein Arbeitstier und zugleich eines, mit dem die Griechen ja einst die Arbeit ihres trojanischen Krieges geschickt umgingen und beendeten. Es ist auch ein Stück darüber, ob man in seinem Leben Arbeit ausführt oder vermeidet.
    "Adam stellt diesen Prozess gegen Gott deshalb an, weil er nicht arbeiten will. Also er sagt, er ist der Sohn Gottes, er hat's nicht nötig zu arbeiten, er wird nicht arbeiten, er braucht so etwas wie ein regelmäßiges Grundeinkommen. Und ich glaube, diese Frage ist eine, die gerade die jüngere Generation sofort versteht, weil wirklich die Frage ist: Ja was ist das denn mit dem Arbeitsbegriff jetzt, wenn die Maschinisierung weiter zunimmt und so die üblichen Jobs wegfallen? Ich glaube, das fragen sich ganz viele: Was ist denn dann Arbeit noch? Und diese Vorstellung eines katholischen Staates, das ist das Zentrum eigentlich, das da verhandelt wird. Adam klagt den Wohlfahrtsstaat ein."
    Vielgestaltige, aber auch etwas brave Inszenierung
    Der dramaturgische Faden, der die Geschichte auserzählt, ist in dieser Aufführung fester und auch didaktischer geknüpft als sonst für den Theaterstil der Volksbühne üblich. Man muss der witzigen und vielgestaltigen, aber nach Volksbühnen-Maßstäben etwas braven Aufführung zu gute halten, dass die Singakademie auch einen Bildungsauftrag gegenüber ihren jungen Mitgliedern hat. Der wiederum funktioniert nur, wenn man hier echte Kunst und nicht nur Bildungs- oder Schultheater versucht – da ist sich auch der musikalische Leiter der Singakademie Kai-Uwe Jirka sicher, wenn er sich seine jungen Chormitglieder so anhört.
    "Gestern sagten einige, sie wüssten überhaupt nicht, wie sie die Musik beschreiben sollten, aber sie sind ganz fasziniert davon. Und gleichzeitig das Gefühl von Bedeutung. Also die Inhalte, die verhandelt werden, sind irgendwie bedeutend. Und dass natürlich die jungen Mädchen der Singakademie, aber auch die Jungen des Staats- und Domchores mitsingen, die sonst in religiösen Kontexten Gottesdienste auch gestalten, jetzt an der Volksbühne so ein Stück mit der Konzeption Zimmermanns und mit diesem Setting und mit den Schauspielern machen können, das ist natürlich schon was ganz besonderes. Ich denke, das wird auch nachwirken. Da gehen ja so Prozesse los, wo man gar nicht weiß, wohin die Gedanken führen. Aber das Gefühl von allgemeiner Dringlichkeit, dass das Thema jetzt irgendwie dran ist, dass das irgendwas mit ihrem Leben zu tun hat, das spüre ich schon ganz stark."
    Regisseur Christian Filip legt über das allegorische Fronleichnamsspiel des spanischen Barock mit der Musik eines modernen Komponisten noch eine Ebene, die Bernd Alois Zimmermann als historischen Wahrheitssucher zeigt: Die Nürnberger Prozesse laufen auf der Bühnenrückwand als Film ab. Nach dem menschengemachten Recht, das ein mörderisches Unrecht war, wird nun wieder das Naturrecht in Kraft gesetzt. Genau wie der Gott der Aufführung sich am Ende dem Naturrecht unterwerfen muss und Adam seine Alimente zahlen muss. Doch diese letzte Pointe ist ein gedanklicher Schlenker zu viel, in der vielschichtigen und reichen Aufführung kann das Publikum eine solche Assoziation nur erahnen.